Auszeichnung:Paradiesische Tage

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Helmut Haberkamms Band über fränkische Dörfer ist zu Deutschlands schönstem Regionalbuch erkoren worden

Von Olaf Przybilla, Cadolzburg

Vielleicht beginnt man die Lektüre des Buches "Kleine Sammlung fränkischer Dörfer" von Helmut Haberkamm, das kürzlich vom Börsenverein des deutschen Buchhandels und der Stiftung Buchkunst zu "Deutschlands schönstem Regionalbuch" erkoren wurde, so ziemlich am Ende dieses hübschen Bandes. Haberkamm hat seine Sammlung in Form einer lockeren Enzyklopädie aufgebaut, jedes der ausgewählten Dörfer bekommt einen eigenen Artikel - und jenen über den Flecken Unterregenbach darf man als exemplarisch nehmen für das gesamte Buch.

Da ist etwa die Größe des Ortes: 56 Einwohner hat Unterregenbach, viel größer durften die Dörfer nicht sein, um für Haberkamms Dorfkompendium in Frage zu kommen. Signifikant ist auch der Landkreis, den man besuchen muss, um sich auf Haberkamms Spuren im Fall Unterregenbach zu begeben. Fränkische Dörfer? Da kommen für Nicht-Eingeweihte vermeintlich nur drei bayerische Regierungsbezirke in Frage. Aber Franken leben eben auch andernorts, in Hohenlohe etwa, was zu Baden-Württemberg gehört. Und so lernt man, sozusagen im dezidiert enzyklopädischen Teil des Artikels, dass Unterregenbach im Kreis Schwäbisch Hall liegt und als Wallfahrtsort zu jenen Dörfern Baden-Württembergs gehört, die am intensivsten archäologisch untersucht wurden. Man lernt auch, dass dort zehn alteingesessene sowie 15 zugezogene Familien leben, dass 27 Einwohner außerhalb des Dorfes arbeiten und zwei im Dorf, dass nur eine Familie einen sogenannten Migrationshintergrund hat und 52 Einwohner evangelisch, zwei katholisch und zwei konfessionslos sind. Fünf Familien haben Felder, eine hat Nutzvieh.

Das klingt nun arg soziologisch, wird aber von der Kommunikationsdesignerin Annalena Weber - sie hatte die Idee zu so einem Buch im Cadolzburger Verlag Ars Vivendi - so ansprechend präsentiert, dass man die Daten als Grundlage gerne mitnimmt. Haberkamms Texte führen dann weit weg von den reinen Fakten. Über Unterregenbach etwa lernt man, dass sie da von einer "Stuttgarter Straße" sprechen, wo sich die Neubürger angesiedelt haben, Künstler und Exoten: "ein Grünen-Politiker mit Anwaltskanzlei, ein Kunstdesigner, ein PR-Experte, eine Tangolehrerin".

Am eindrucksvollsten aber ist die Passage über einen Dörfler, der in seinen schlechteren Tagen das Straßenschild in "Schluckspechtstraße" geändert und an sein Haus eine Plakette montiert hat: "Betreten auf eigene Gefahr! Hier wohnt der Alkoholiker!" Trotzdem habe er sich entschieden, im Ort seiner Kindheit zu bleiben, als Junggeselle und Eigenbrötler. Warum? Das Vertraute, die Ruhe und die Natur hätten ihm Sicherheit und Halt gegeben, hat er Haberkamm erzählt: "Das Dorf hat mich g'rettet. In die Stadt wenni gangen wär, wär ich g'storbe."

Haberkamm ist Dichter und Gymnasiallehrer, fünf Jahre ließ er sich freistellen, um schreiben zu können. Seine Tage in den 20 fränkischen Dörfern waren für ihn "paradiesisch", sagt er. Haberkamm ist selbst Franke, Neues hat er trotzdem erfahren über diesen Stamm. Ein Paar aus Westfalen, das seit 28 Jahren in Franken Urlaub macht, erzählte ihm: "Man setzt sich an einen Tisch, kommt sofort ins Gespräch und plaudert offen und direkt, ohne Gesülze." Der Franke als leutseliger Gasthaus-Plauderer - hui.

© SZ vom 07.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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