Aufsichtspflicht:Lieber auf Nummer sicher gehen

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Jugendleiter tragen eine große Verantwortung und haften unter Umständen persönlich, wenn den Kindern etwas passiert

Von Dietrich Mittler, München

"Jugendleiter stehen immer mit einem Bein im Gefängnis", diesen Satz bekam Stephan Waldner bereits zu hören, als er sich im Kurs auf sein neues Ehrenamt vorbereitete. Im Rückblick schlägt er immer noch drei Kreuze, dass in den sieben Jahren als Jugendleiter nichts passiert ist. Dennoch aber möchte Waldner (Name geändert) diese Zeit nicht missen, in denen er bereits in jungen Jahren bei der evangelischen Kirche im Dekanat Landshut für andere Jugendliche mitverantwortlich war: "Das waren gute Leute, eine tolle Stimmung", sagt er, "und ich habe viel gelernt - etwa, wie Gruppendynamik funktioniert."

Jugendleiter sind gefragte Leute, sei es im Fußballverein, sei es wie bei Waldner bei der kirchlichen Jugendarbeit - oder sei es eben auch im Luftsport-Verband Bayern, der auf der Homepage für dieses Ehrenamt wirbt: "Du möchtest in Deinem Verein nicht nur beim Fliegen Verantwortung übernehmen, sondern auch darüber hinaus? Dann werde Jugendleiter und lasse Dich von der Luftsportjungend Bayern professionell ausbilden!"

Verantwortungsbewusstsein ist bei allen Organisationen ein Hauptauswahlkriterium. Andi Geiß, Bildungsreferent bei der Jugend des Deutschen Alpenvereins in Bayern, weiß indes, dass Jugendleiter weit mehr Fähigkeiten vorweisen sollten. Schließlich sollen sie Jugendgruppen anführen, Freizeiten leiten oder offene Treffs betreuen. Oder, wie speziell im Alpenverein, Verantwortung dafür tragen, dass bei Touren im Fels alles ohne Probleme abläuft. "Bei uns", sagt Geiß, "spielt auch die soziale Kompetenz eine Rolle. Wir müssen uns bei potenziellen Jugendleitern vorstellen können, dass sie nicht nur für sich Entscheidungen treffen können, sondern auch für eine Gruppe." Die Kernfrage laute: "Sind die in Frage kommenden Jugendlichen in brenzligen Situationen in der Lage, gute Entscheidungen zu treffen?" Wie etwa würden sie handeln, wenn sie auf Tour in eine Schlechtwetterfront geraten?

"Wir nehmen das schon sehr ernst, wer was wo wie machen darf", sagt Geiß. Zwar gelte die Devise, dass die jungen Leute auch die Freiheit haben sollten, sich selbst als Leiter auszuprobieren. Verantwortung zu tragen, das werde einem ja nicht automatisch in die Wiege gelegt. "Das muss man irgendwo lernen", sagt Geiß. In den dafür vorgesehenen Schulungen geht es folglich nicht nur darum, alpin- und sicherheitstechnische Grundfertigkeiten zu erlangen, sondern auch die eigenen Fähigkeiten und Grenzen kennen zu lernen. "Bei uns, die wir viel in alpinem Gelände unterwegs sind, läuft daher vieles anders ab als in einem Handballverein", sagt Geiß.

Eines ist jedoch allen Jugendleitern gemein: Sie haften persönlich dafür, wenn Schäden oder Verletzungen eintreten, die auf ihr vorsätzliches Verhalten zurückzuführen sind. Wann immer es zu gravierenden Vorfällen kommt, müssen Jugendleiter also womöglich auch mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen - zumindest aber damit, dass Schadenersatzforderungen an sie herangetragen werden. Folglich wird ihnen bereits in der Ausbildung eingetrichtert, stets mögliche Gefahrenquellen zu identifizieren. Auch werden sie angehalten, ihrer Gruppe klare Vorgaben zu machen, was deren Sicherheit anbelangt - so etwa, dass ein Schwimmbecken nur unter Aufsicht genutzt werden darf.

Ein Jurist würde dies unter "Belehren und Warnen" zusammenfassen. Der nächste Schritt wäre "Überwachen und Kontrollieren" und sodann im Falle eines Verstoßes auch, die Betreffenden zu ermahnen und notfalls zu verwarnen. "Die Angst vor konsequentem Einschreiten hat später eventuell umso konsequentere Schadenersatzforderungen zur Folge", heißt es da in einer Anleitungsschrift für Jugendleiter. Wie Lehrer, die mit ihren Schülern Ausflüge oder Klassenfahren unternehmen, haben auch Jugendleiter eine Aufsichtspflicht. Bei Lehrern sind die Konsequenzen indes weit gravierender, wenn etwas passiert. "Wir haben da eine klare Rechtsgrundlage", sagt Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands. Das heißt: "Sollte etwas passieren, lautet der Straftatbestand auf Körperverletzung im Amt", sagt sie. Um diesem Vorwurf zu entgehen, seien Lehrer etwa angehalten, Vorabsprachen mit den Schülern treffen, "um sie so auf Gefahren und Regeln hinzuweisen", sagt Fleischmann. Essentiell sei es auch, alles vorab mit den Eltern zu besprechen "und sich das schriftlich attestieren zu lassen".

Auch Stephan Waldner hat sich als früherer Jugendleiter und jetziger Kampfsport-Trainer solche Verhaltensregeln intensiv vorgenommen. Für heutige Jugendleiter sind regelmäßige Fortbildungen geradezu Selbstschutz. Denn keiner, so weiß Waldner aus Erfahrung, möchte auf die Haft- und Rechtsschutzversicherung seiner jeweiligen Organisation zurückgreifen müssen. "Aber jenseits der Schuldfrage", sagt Waldner, "es will doch auch niemand, dass den Schutzbefohlenen etwas Schlimmes passiert."

© SZ vom 09.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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