Artenschutz:Die Schnepfe und der Wachtelkönig

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Weil immer mehr Feuchtgebiete in überdüngte Wiesen und Äcker umgewandelt werden, sind viele Vogelarten vom Aussterben bedroht. Umweltministerin Ulrike Scharf kündigte neue Förderprogramme an, nachdem sich die alten als unwirksam erwiesen haben

Von Christian Sebald, München

Wer in Bayern Uferschnepfen sehen will, muss großes Glück haben. Dabei ist es noch nicht so lange her, da waren die großen, eleganten orange bis rostrot gefiederten Watvögel weit verbreitet. Auf feuchten Wiesen konnte man sie beobachten, wie sie mit ihren langen Schnäbeln nach Regenwürmern stocherten. Kam ihren Revieren ein Spaziergänger oder Wanderer zu nahe, versuchten sie ihn mit mal lang gezogenen, mal keckernden Rufen zu vertreiben, um ihre Nester und den Nachwuchs darin zu schützen. Denn das ist das Besondere an Uferschnepfen: Sie nisten direkt auf den Wiesen, sie sind sogenannte Wiesenbrüter. Inzwischen sind die Uferschnepfen hierzulande fast ausgestorben. Andreas von Lindeiner vom Vogelschutzbund LBV schätzt, dass in Bayern vielleicht noch 30 Brutpaare leben, die meisten im Altmühltal. "Wenn wir jetzt nicht ernsthaft etwas für sie tun, ist es um sie geschehen", sagt er. "So wie um die anderen Wiesenbrüter-Arten auch, die wir noch haben."

Denn die Uferschnepfe ist nicht die einzige heimische Wiesenbrüter-Art, um die es in Bayern sehr schlecht bestellt ist. Auch der Große Brachvogel, der Rotschenkel, die Bekassine, der Wachtelkönig, der Kiebitz, die Grauammer, das Braunkehlchen und der Wiesenpieper stehen auf der roten Liste - zum Teil schon seit Jahren. Nun könnte man sagen: Was sind schon neun Wiesenbrüter-Arten? Schließlich gibt es in Bayern 207 heimische Vogelarten. Einige von ihnen, der Buchfink etwa oder die Amsel, kommen auf Hunderttausende, wenn nicht gar einige Millionen Brutpaare. Da kommt es auf Uferschnepfe, Brachvogel und Co. nicht so an. Doch so einfach ist die Sache nicht. Wiesenbrüter sind Indikator-Arten. Das heißt, sie zeigen an, wie es um die Natur und die Artenvielfalt insgesamt steht im Freistaat. "Geht es den Wiesenbrütern schlecht", sagt Artenschützer Lindeiner, "dann ist es hierzulande um den Naturreichtum insgesamt schlecht bestellt."

Wiesenbrüter fühlen sich - das sagt schon ihr Name - auf Wiesen wohl. Aber nicht auf irgendwelchen. Sondern nur auf ursprünglichen, artenreichen und ausreichend feuchten, auf denen auch alle möglichen Blumen und Kräuter gedeihen. Und auf denen auch unzählige Arten von Insekten umherschwirren. Wiesen also, wie man sie Jahrhunderte lang an Bächen, Flüssen und Seen antraf. Und in Mooren. Solche Wiesen werden aber immer seltener. Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft wurden die meisten trockengelegt und zu Äckern umbrochen. So massiv war die Umwandlung von Wiesen in Ackerland zuletzt, dass Bayern 2014 ein Umbruchverbot erließ. Seither darf aus einer Wiese nur dann ein Acker werden, wenn sich der Bauer das zuvor hat genehmigen lassen.

Aber auch das Grünland, wie der moderne Landwirte zu seinen Wiesen sagt, hat mit ursprünglichen Wiesen kaum etwas zu tun. Allein schon, weil es so intensiv gedüngt wird, dass außer wenigen Gasarten nur Löwenzahn auf ihnen gedeiht. Außerdem mähen immer mehr Bauern ihre Wiesen fünf oder sogar sechs Mal im Jahr. Kein Wiesenbrüter kann da seinen Nachwuchs in Ruhe großziehen. "Grünland ist kein Lebensraum für Wiesenbrüter", sagt der Artenschützer Lindeiner denn auch. "Das sind reine Grasäcker." In den Naturschutzbehörden sehen sie das nicht anders. Auch das Landesamt für Umwelt (LfU), das Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) unterstellt ist, gibt der industriellen Landwirtschaft die Hauptschuld für das Leiden der Wiesenbrüter.

Nun will Scharf etwas für die bedrohten Vogelarten tun. "Die biologische Vielfalt steht unter Druck", sagte sie unlängst im Landtag, als sie ihre neue "Wiesenbrüter-Agenda" präsentierte. "Der Artenschutz stellt die gesamte Gesellschaft vor große Herausforderungen." Dabei hat sich die Staatsregierung den Erhalt der Artenvielfalt schon vor Jahren auf die Fahnen geschrieben und sich sogar eine eigene Biodiversitätsstrategie zugelegt. Die Bausteine der "Wiesenbrüter-Agenda": mehr Fördergeld für Landwirte, die Rücksicht auf den Schutz der Vögel nehmen, mehr sogenannte Gebietsbetreuer, die sich hauptamtlich um Wiesenbrüter kümmern, und eine Koordinierungsstelle am LfU, die den Wiesenbrüter-Schutz in Bayern koordiniert.

Natürlich begrüßen die Naturschutzverbände Scharfs Initiative. "So ein Programm ist überfällig", sagt der LBV-Mann Lindeiner. Gleichwohl sind viele skeptisch. Der Grund: Bereits in der Vergangenheit gab es immer wieder Artenhilfsprogramme für Wiesenbrüter. Aber abgesehen von wenigen Ausnahmen blieben die Verluste ungebrochen.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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