Abitur im Gefängnis Kaisheim:Vom Verbrecher zum Anstaltsprimus

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Für ihn ist es ein Befreiungsschlag, für das Gefängnis in Kaisheim eine absolute Ausnahme. Dort hat nun ein Häftling sein Abitur gemacht. In zwei Jahren und unter verschärften Bedingungen. Das nächste Ziel hat er auch schon im Blick.

Stefan Mayr

Thomas Obermüller trägt ein dunkelgrünes Langarmhemd und eine dicke dunkelblaue Hose. Alles viel zu warm für das aufgeheizte Besprechungszimmerchen in der Justizvollzugsanstalt Kaisheim. Aber Obermüller (Name geändert) hat keine Wahl: Als Häftling muss er die Gefängnisuniform tragen.

Die Justizvollzugsanstalt in Kaisheim. (Foto: DPA)

Das Fenster ist mit dicken Eisenstangen verbaut, dennoch strahlt der 36-Jährige mit der Sonne um die Wette. Er zieht sein Abiturzeugnis aus der Tasche und zeigt es voller Stolz vor. Das Besondere an seiner Leistung: Der 36-Jährige hat das Abi innerhalb von zwei Jahren gemacht - und das unter verschärften Bedingungen. Als Strafgefangener biss er sich ganz alleine durch den Stoff und acht Prüfungen.

Das war schon sehr heftig", sagt Obermüller, "ich musste erst mal wieder lernen zu lernen." Zwischendrin habe er gedacht: "Ich schaffe es nicht." Doch jetzt hat er die Allgemeine Hochschulreife in der Tasche. Während ganz Bayern diskutiert, ob Schüler das Abitur in acht oder neun Jahren machen sollen, schaffte es Obermüller in 24 Monaten.

Der 36-Jährige entspricht nicht dem Klischee eines Häftlings: Er ist gründlichst rasiert, lächelt viel und spricht Hochdeutsch mit vielen Fremdwörtern. "Das Abitur ist wie ein Befreiungsschlag für mich", sagt er, "es hat unglaublich gutgetan, meine Energie in eine positive Richtung zu lenken." Parallel zur Abi-Lernerei machte er als Gasthörer sogar noch drei Scheine an der Fernuni Hagen - und verdiente sich im "Schulbüro" des Gefängnisses ein paar Euro dazu, um Übungsbücher kaufen zu können. "Diese Leistung ist eine absolute Ausnahme", sagt der Lehrer der Anstalt, Gert Eberle. "Am Anfang war ich skeptisch, ob er das schafft, aber er hat es durchgezogen und hat sich alles selbst beigebracht."

Ein Knast-Abi kommt in Bayern sehr selten vor. So selten, dass das Gefängnis zur Zeugnisübergabe einen Empfang mit Kaffee und Kuchen ausrichtete. So selten, dass das Justizministerium keine Zahlen nennen kann. Dass 2011 in Bayerns Gefängnissen 150 Hauptschulabschlüsse und elf Realschulabschlüsse gelangen, weiß das Ministerium. Auch, dass in der JVA Würzburg derzeit zehn Gefangene ein Fernstudium absolvieren - einer in Jura, einer in Theologie. Aber Abiturienten? Da gibt es keine Erhebungen.

"Den Master will ich noch machen"

Obermüller erreichte sein Ziel mit viel Eigeninitiative - und durch Unterstützung des Anstaltslehrers sowie des Gymnasiums in Donauwörth. Die Schullehrer kamen zu den Prüfungen extra ins Gefängnis, wo Obermüller in seiner viel zu dicken Kleidung über den Fragen schwitzte. Unterricht fand nicht statt, ganz zu schweigen von Praxis-Kursen, die normale Gymnasiasten absolvieren. Dafür musste Obermüller durch drei zusätzliche Prüfungen: insgesamt vier mündliche und vier schriftliche.

An jedem bayerischen Gefängnis kümmern sich eigene Lehrer um Gefangene, die einen Schulabschluss oder eine Ausbildung machen. In Kaisheim büffeln in zwei Wohngruppen 35 Mann für ihre Zukunft nach dem Knast. Sie haben öfters und länger Aufschluss und dürfen Computer benutzen (wenn auch ohne Internetzugang). "Viele kommen mit viel Euphorie hierher, sind aber auch schnell wieder weg", sagt Lehrer Eberle. Vielen fehlt die Disziplin, manche sehen den Umzug von vornherein nur als "Aktion schöner wohnen". 2010 begannen neun Häftlinge in Kaisheim einen Telekolleg-Kurs. Nur drei schafften das Fachabitur, einer immerhin mit einem 1,8-Schnitt.

Obermüller beginnt im Oktober an der Fernuni ein Informatikstudium. 2014 will er den Bachelor in der Tasche haben. "Den Master will ich auch noch machen, davon lasse ich mich nicht abbringen", sagt er. Er war einst auf dem Gymnasium, brach dieses aber ab. Das war vor 18 Jahren. Danach gründete er zwei Firmen, die aber pleitegingen. Er wollte sich über Wasser halten - mit Betrügereien. 2009 wurde er verurteilt. "Erst im Knast habe ich kapiert, dass es so nicht weitergehen kann", sagt er. Wenn er wieder freikommt, wird er sein Leben lang Schulden zurückzahlen müssen.

Dennoch gibt Obermüller sich optimistisch: "Ich weiß jetzt, dass das Leben aus mehr besteht als nur Geld." Früher sei ihm das wichtig gewesen, heute nicht mehr: "Man kann auch glücklich sein, wenn man gesund ist und eine Aufgabe hat." Ein Bekannter habe ihm sogar schon einen Job angeboten. Obermüller legt die Hand auf sein Abiturzeugnis und sagt: "Die Haftstrafe war das Beste, was mir passieren konnte."

© SZ vom 06.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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