Abhilfe gefordert:Zu wenig Kinderärzte

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(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Obwohl offiziell Überversorgung herrscht, fehlen vielerorts Mediziner

Von Dietrich Mittler, München

Dass sich immer mehr Kinderarztpraxen im Kreis Oberallgäu weigern, neue Patienten aufzunehmen, war für Landrat Anton Klotz (CSU) irgendwann nicht mehr hinnehmbar - ihm platzte der Kragen. Klotz schrieb einen Brandbrief an die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB), die für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung im Freistaat verantwortlich ist. Also auch dafür, dass genug Kinderärzte praktizieren. "Die", so schrieb Klotz, "sind durch das hohe Patientenaufkommen erheblich überlastet und versuchen dabei lediglich, sich durch ein entsprechendes Abweisen zu retten." Im südlichen Landkreis würden "fast alle kinderärztlichen Praxen keine neuen Kinder" mehr annehmen. Ausnahmen bestünden lediglich für Neugeborene. Auch in der Gegend um Kempten gebe es Probleme.

Klotz musste nicht weit gehen, um Kenntnis über den Mangel an Kinderärzten in seinem Landkreis zu erlangen. "Ich weiß es selber von meinem Sohn und meiner Schwiegertochter. Die haben wirklich tagelang gesucht, bis sie einen Kinderarzt gefunden haben", sagt er. Von den Kinderärzten wiederum höre er immer wieder: "Wir schaffen es nicht, bei aller Liebe." Und das tue "denen dann selber weh", sagt Klotz. Solche Sätze sind indes nicht nur aus dem Allgäu zu hören. Einige Monate vor Landrat Klotz hatte bereits sein Miltenberger Amtskollege Jens Marco Scherf (Grüne) der KVB seinen Unmut über die kinderärztliche Versorgung kundgetan. Wie er fordert auch der Oberallgäuer Landrat Klotz "rasche und wirksame Abhilfe zur Sicherstellung der Versorgung mit Kinder- und Jugendärzten".

"Wir haben ja in ganz Bayern dieses Problem - zum Teil auch in ganz Deutschland", sagt der Meitinger Hausarzt Jakob Berger als regionaler KVB-Vorstandsbeauftragter für Schwaben. Der Kassenärztlichen Vereinigung seien allerdings die Hände gebunden durch die von Berlin vorgegebene Bedarfsplanung. Und nach der sei sogar von einer Überversorgung mit Kinderärzten auszugehen. "Auch das Oberallgäu ist rein zahlenmäßig gut versorgt", sagt Berger. Hier gebe es bei Kinderärzten sogar einen Versorgungsgrad von 151 Prozent. "Das ist also eine deutliche Überversorgung - wenn man nach den Zahlen der Bedarfsplanung geht", sagt er.

Klar sei aber auch, diese Planung gebe lediglich statistische Werte wieder und zeige nicht den tatsächlichen Bedarf auf. "Hinzu kommt, dass in den meisten Gebieten die Kinderzahl zugenommen hat und dass überdies die Zahl der mittlerweile vorgegebenen Vorsorgeuntersuchungen gestiegen ist", sagt Berger. Hinzu kommt die gestiegene Zahl an Impfungen.

Diese Diskrepanz zwischen den Planzahlen auf dem Papier und dem realen Bedarf sorgt für reichlich Unmut - und das auch deshalb: Die Eltern bekommen das Landeserziehungsgeld nur dann, wenn sie die Vorsorgeuntersuchungen zeitgerecht durchführen lassen. "Und da gibt es Engpässe", weiß auch Berger. Aber, so betont er, dafür sei nicht die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns verantwortlich, sondern das für die Bedarfsplanung zuständige Gremium in der Bundeshauptstadt, also der sogenannte Gemeinsame Bundesausschuss als das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. "Wir müssen uns als KVB ja an die Vorgaben halten", sagt Berger. Es sei daher sehr schwierig, für eine Planungsbereich einen Sonderbedarf zuzulassen.

In diesem Sinne argumentiert auch die Münchner Zentrale der KVB: "Aus zahlreichen Regionen in Bayern erreichen uns Rückmeldungen von besorgten Eltern, Politikern und Kinderärzten, dass die kinderärztliche Versorgung vor Ort als nicht ausreichend erlebt wird - obwohl nahezu alle kinderärztlichen Planungsbereiche in Bayern mit einem Versorgungsgrad von über 110 Prozent als überversorgt gelten und daher für Neuzulassungen gesperrt sind", heißt es auf Anfrage. Die KVB habe "keine rechtlichen Handlungsspielräume, um von diesen gesetzlichen Vorgaben abzuweichen".

"Es ist allerhöchste Zeit, dass sich politisch etwas bewegt", sagt indessen der Oberallgäuer Landrat Anton Klotz. Er plant, Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) mit in die Pflicht zu nehmen. Die erklärt auf Anfrage: "Mein Ziel ist, dass die Versorgung Bayerns mit Kinderärzten verbessert wird. Deshalb fordere ich eine schnelle Überarbeitung der sogenannten Bedarfsplanungsrichtlinie. Die ist auch dringend geboten, denn, so heißt es aus dem Gesundheitsministerium in München: "Nach den bundeseinheitlichen Vorgaben der Bedarfsplanungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses gilt die kinderärztliche Versorgung in ganz Bayern als gut." Demnach würden von den insgesamt 79 bayerischen Planungsbereichen 77 als überversorgt mit Versorgungsgraden über 110 Prozent oder sogar stark überversorgt mit Versorgungsgraden über 140 Prozent angesehen.

Die KVB-Zentrale setzt darauf, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Bedarfsplanungsrichtlinie überprüft. Den ausdrücklichen Auftrag des Bundesgesetzgebers hat der Bundesausschuss nach Angaben von Ministerin Melanie Huml jedoch bereits im Jahr 2015 erhalten. Schon zu Beginn des vergangenen Jahres hätten demnach bedarfsgerechte Anpassungen erfolgen sollen.

Die Hoffungen liegen nun darauf, dass dies 2019 geschieht. KVB-Vertreter Jakob Berger ist skeptisch: "Ich fürchte, dass sich dann auch nicht sehr viel verbessern wird", sagt er. Landrat Anton Klotz betont unterdessen, dass weit mehr zu tun ist. Denn es ist nicht nur der Mangel an Kinderärzten, der ihm Sorgen bereitet: Im Oberallgäu gebe es insbesondere auch einen Mangel an Lungenfachärzten, Neurologen und Psychiatern, ganz abgesehen von den Kinderpsychologen, die fehlten - und das nicht nur im Oberallgäu.

© SZ vom 19.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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