Schweiz: VIP-Vignette:Freie Fahrt für reiche Bürger

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Schildbürgerstreich oder Zweiklassengesellschaft auf der Autobahn? Die Schweiz will die dritte Spur exklusiv für Autofahrer reservieren, die sich eine teure VIP-Vignette leisten.

Günther Fischer

Darauf muss man erst einmal kommen: Die Schweizerische Volkspartei (SVP) will allen Ernstes eine VIP-Spur auf Autobahnen einführen. Das zumindest steht in einem Entwurf, den der SVP-Nationalrat Christoph von Rotz und der Parteipräsident Toni Brunner in der vergangenen Woche im Schweizer Bundesrat zur Beratung eingereicht haben. Zahlreiche Parteimitglieder unterstützen den Vorschlag.

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Die Idee: Wer eine sogenannte VIP-Vignette kauft, darf auf einer eigens für ihn reservierten Spur unterwegs sein und an eventuellen Staus vorbeisausen. Lkws sollen auf dieser VIP-Spur, die die SVP farblich kennzeichnen will, generell nicht zugelassen sein. Wer verbotenerweise auf der VIP-Spur fährt, soll happige Strafen zahlen müssen. Die Autofahrerwelt soll in der Schweiz also in Lenker erster und zweiter Klasse aufgeteilt werden.

Für den Initiator Rotz kein Problem: "Wer mehr zahlt, soll dafür einen Mehrwert erhalten", gab er im Schweizer Tages-Anzeiger zu Protokoll. Er denke zum Beispiel an Außendienst-Mitarbeiter, die dank der Spezialvignette weniger häufig im Stau stehen. Dafür seien die Unternehmen gerne bereit, einen Aufpreis zu zahlen. Immerhin belaufe sich der volkswirtschaftliche Schaden, so seine Rechnung, aufgrund von Staus auf jährlich mehr als 1,5 Milliarden Franken.

Den Vorwurf, eine Zweiklassengesellschaft zu schaffen, weist Rotz in der Neuen Luzerner Zeitung weit von sich. Beim Essen, im Krankenhaus und bei den SBB erhalte man gegen Aufpreis auch stets mehr: "Wer ein Erste-Klasse-Billett löst, hat auch bequemere Stühle".

Das Ganze hat nur einen Haken: Die Autobahn, auf der die VIP-Vignette gelten könnte, muss mindestens drei Spuren haben. Das ist in der Schweiz aber nur auf 80 Kilometern der Fall - vor allem im Umfeld von Zürich, Bern und Basel.

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Weswegen die Herren von der SVP mit den Mehreinnahmen auch gleich noch den weiteren Ausbau des Straßennetzes finanzieren wollen. Denn, so SVP-Mitglied und Transportunternehmer Ulrich Giezendanner: "Es bräuchte etwa doppelt so viele dritte Spuren wie heute." Und je größer das Angebot an solchen "Expresslinien" sei, desto mehr könne man für die Spezialvignette verlangen, ergänzt Rotz.

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Günther Fischer

Beim Preis für die VIP-Vignette will sich die SVP noch nicht festlegen: "Vielleicht plus/minus 300 Franken. Aber sicher mehr als das Doppelte der normalen Vignette." Die kostet Otto Normalautofahrer derzeit 40 Franken.

Ungeklärt ist auch die Frage, wer die Kontrollen durchführen soll und wie groß der Aufwand dafür ist. Und was passiert, wenn sich die VIP-Fahrer selbst stauen, wenn ein Porsche-Fahrer hinter einem VW Golf festhängt? Darf er dann rechts, also auf der mittleren Spur der Autobahn, vorbeisausen?

Die Idee, so die SVP, habe man sich von den USA abgeguckt, wo es mit den High-occupancy vehicle lanes ( HOV-Lanes) ebenfalls solch längst bewährte Spezialspuren gebe. Der Unterschied ist aber, dass diese HOV-Lanes einem ganz anderen Zweck dienen: Sie sollen die Bildung von Fahrgemeinschaften und die Verbreitung von alternativen Antrieben fördern. Auf diesen Fahrstreifen dürfen deswegen nur Fahrzeuge mit mindestens zwei Insassen, manchmal auch nur mit mindestens drei Personen unterwegs sein. Wer ein Auto mit Hybrid- oder Elektroantrieb sein Eigen nennt, darf diese Sonderspuren ebenfalls benutzen.

Es wird einige Zeit dauern, bis klar ist, ob die SVP-Initiative mehr darstellt als einen Schweizer Schildbürgerstreich: Das Bundesamt für Strassen (Astra) werde erst im September seine Stellungnahme dazu abgeben, so Astra-Sprecher Antonello Laveglia.

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