Teure Neuwagen:Die neue Lust am Auto

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Verantwortlich für die höheren Preise der Neuwagen ist unter anderem der steigende Verkauf von Elektroautos wie der VW ID3. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Viele Unternehmen klagen über die schwindende Kauflust der Deutschen in der Krise. Ganz anders die Autobranche. Die erlebte in den vergangenen Monaten einen sprunghaften Anstieg.

Von Joachim Becker

Auto-Scham und Fahrverzicht? Die Demonstrationen gegen die drückende Fahrzeugflut und das Auto als Klimakiller scheinen erst einmal Pause zu machen. Geschichte sind auch die Bilder von leeren Autobahnen und der entspannten Verkehrslage in vielen Großstädten: Das eigene Fahrzeug erlebt eine Renaissance, mehr Pendler denn je drängen mit privaten Pkw in die Ballungszentren. Autos sind Krisengewinner, weil sie Infektionsschutz versprechen und zugleich ein Gefühl von heimeliger Privatsphäre vermitteln. Einer Umfrage der McKinsey-Beratung zufolge halten nur 14 Prozent der Deutschen öffentliche Verkehrsmittel für sicher, während das eigene Auto mit 74 Prozent weit vorne liegt. Entsprechend erreichen die Zulassungszahlen fast wieder Vorjahresniveau, gefragt sind mehr denn je leistungsstarke Modelle mit gehobener Ausstattung.

Das eigene Auto als virensichere Privatkabine

Der durchschnittliche Neuwagenpreis ist in den ersten neun Monaten sprunghaft auf 37 710 Euro gestiegen, das ergab eine Marktanalyse des Car-Instituts. Während Busse und Bahnen in Zeiten des "Social Distancing" an Attraktivität verlieren, kaufen die Deutschen gerne höherwertige Autos mit größerem Platzangebot. Das Bedürfnis nach einer geschützten Privatsphäre lässt die Menschen am liebsten in rollenden Wohnzimmern umherfahren. Das gilt nicht nur für Wohnmobile, die einen fast explosionsartigen Nachfrageschub erleben. Weiterhin beliebt sind auch SUV, die durch ihre massige Gestalt und erhöhte Sitzposition ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.

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Mittlerweile ist mehr als jeder dritte Neuwagen so ein Hochdachauto, das von Ferne an Geländewagen erinnert. Offroad werden allerdings die wenigsten rollenden Hochsitze genutzt. Für die meisten Almbauern, Jäger und Förster wären Leichtmetallfelgen, Parkpiepser und feine Interieur-Stoffe wohl viel zu empfindlich und die aufgerufenen Motorleistungen viel zu kostspielig. Die neue Landlust ist also eher ein Phänomen der privilegierten Städter, die sich in der Pandemie ein größeres Stück öffentlicher Straße gönnen. Die Diskussionen zum Autofasten sind verebbt, übrig geblieben ist eine wachsende Zahl von Plug-in-Hybriden als Öko-Feigenblatt. Die Teilzeitstromer erleben momentan das größte Wachstum, innerhalb eines Dreivierteljahres haben sie ihren Marktanteil von 0,9 auf 5,1 Prozent gut verfünffacht.

Schon im Vorjahr, als die Stromer noch eine kleine Nische bildeten, hatten die Deutschen im Schnitt 4,3 Prozent mehr für ihren Neuwagen ausgegeben (34 890 Euro). Der sprunghafte Anstieg um weitere 8,1 Prozent auf 37 710 Euro in den ersten neun Monaten dieses Jahres lässt sich zum Teil auf den steigenden Elektroanteil zurückführen. Plug-in-Hybride spielen in einer höheren Leistungsklasse als konventionelle Verbrenner, denn sie setzen meist einen mehr als 60 kW starken Elektromotor oben drauf. Systemleistungen von deutlich über 200 PS sind die Regel, die galten vor gar nicht so langer Zeit als Privileg sportlicher Autos. Auch reine Batteriefahrzeuge sind meist üppig motorisiert. Die Idee eines kleinen, effizienten Öko-Stromers für Innenstädte hat sich nicht durchgesetzt. Gefragt sind eher potente Allrounder mit großen Batterie-Reichweiten. Entsprechend können auch die Hersteller hinlangen und die hohen Batteriepreise leichter an die Kunden weiterreichen.

Die Umweltprämie fließt in größere Batterien

Verzicht verkauft sich auch bei E-Mobilen schlecht. Interessanterweise investieren die Kunden die Umwelt- und Innovationsprämien in Höhe von bis zu 10 000 Euro fast 1:1 in einen höheren Anschaffungspreis für möglichst große Batteriereichweiten. Weil die Stromer auch Langstrecke können sollen, liegt der Preis im Mittel aller Elektro-Fahrzeuge mittlerweile bei 47 454 Euro. Dass dieser durchschnittliche E-Neuwagenpreis gegenüber dem Vorjahr um 5,5 Prozent gesunken ist, weist weniger auf die Sparsamkeit der Kunden hin, sondern eher auf das steigende Angebot von kompakten Stromern - mit großen Batterien. Unterm Strich setzt sich auch hier der Trend zu höherwertigen Fahrzeugen fort: Klimaschutz schön und gut, aber bitte ohne Abstriche beim Komfort. Die Stromer sollen im Gegenteil mit zahlreichen digitalen Gadgets vorausfahren und neue Kunden gewinnen - zum Beispiel bei der Elektro-Submarke von Mercedes.

"EQ steht für progressiven Luxus, ein Ausblick auf die Zukunft, der sich an ein neues Publikum wendet", sagt Daimler-Chef Ola Källenius. Fast alle neuen Stromer versprechen dieses "ästhetische Erlebnis der digitalen Welt": Große (Touch-)Bildschirme und eine Flut von Menüs sollen den Fahrer über den Verlust der traditionellen Cockpit-Instrumente hinwegtrösten und Technologieführerschaft demonstrieren. Tatsächlich liegen die Stromer in digitaler Hinsicht auf oder sogar über dem Niveau vieler konventioneller Premium-Fahrzeuge. In der automobilen Oberklasse werden im Schnitt mittlerweile 54 077 Euro pro Fahrzeug ausgegeben - ein Plus von 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Autos sind eben nicht nur Viren-sichere Privatkabinen, sondern Objekte der Begierde für jene "Instagram-fähigen Momente im Leben", wie es bei Mercedes so schön heißt. Was im vordigitalen Zeitalter wohl am ehesten den Urlaubsfotos unserer Eltern mit dem ersten eigenen Wagen entsprochen hätte: Damals, als sie mit dem Käfer die Alpen überquerten. Auch die gab es schon vor Instagram.

© SZ vom 24.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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