Es ist wie in der Fahrschule. Der Autofahrer gibt möglichst sanft Gas, fährt besonnen und bremst vorausschauend ab. Doch der Mensch am Steuer ist kein Fahranfänger, er hat seinen Führerschein seit Jahren. Er fährt vorsichtig, weil er Geld sparen will. Bei den Telematik-Tarifen in der Autoversicherung gewähren die Anbieter Rabatte, wenn Fahrer risikoarm fahren. Mit Messgeräten und Smartphone-Apps überwachen sie die Autofahrten und schreiben dafür Bonuspunkte gut oder ziehen welche ab - entsprechend steigt oder sinkt der Rabatt auf die Versicherungsprämie. Fahrerin und Fahrer erhalten Auswertungen über ihren Fahrstil.
Lange war unklar, ob die Tarife ein echtes Geschäft werden. Verbraucherschützer sorgten sich um die Datensicherheit. Die deutschen Fahrer wollten keine Kontrolle, hieß es auch bei den Versicherern selbst. Inzwischen sind die meisten vom Gegenteil überzeugt. "Der deutsche Autofahrer will sich überwachen lassen", sagte Jörg Rheinländer, Vorstand der HUK-Coburg, bei einer SZ-Fachkonferenz.
Die HUK-Coburg ist mit mehr als zwölf Millionen versicherten Fahrzeugen der Marktführer in der deutschen Autoversicherung, die Allianz kam zum Jahresbeginn auf 8,6 Millionen und liegt damit auf Platz zwei. Rheinländer ist sich sicher: Telematik-Tarife werden in den kommenden sieben bis acht Jahren auf eine Marktdurchdringung von 25 Prozent kommen. "Das halte ich für eher konservativ", erwidert Jörg Hipp, Vorstand bei der Allianz und zuständig für den Bereich Automotive. Er hält eine höhere Marktdurchdringung für wahrscheinlich.
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Damit würde die Telematik zu einem Riesengeschäft. In Deutschland sind 65 Millionen Fahrzeuge einschließlich Lkw und Anhängern zugelassen, davon 47 Millionen Pkw. Ein Viertel davon wären knapp zwöf Millionen Policen. Bisher ist die Zahl der Telematik-Verträge viel geringer. Die HUK-Coburg kam Ende April auf 75 000 Policen, die Allianz auf 90 000. Aber beide haben das Angebot erweitert: Bislang konnten nur junge Fahrerinnen und Fahrer abschließen, ab jetzt geht das für alle Kunden. Andere Anbieter wie Cosmos Direkt, VHV und Axa dürften bald nachziehen.
Die Telematik-Policen sollen das individuelle Unfallrisiko der Versicherten realistischer abbilden und damit fairere Preise bieten. Bislang kalkulieren die meisten Versicherer die Prämienhöhe anhand verschiedener fixer Faktoren wie dem Alter des Fahrers und dem Typ und der Leistung des Autos. Anfänger mit hochmotorisierten Wagen zahlen am meisten, mit zunehmendem Alter sinkt zunächst die Prämie. Senioren bezahlen meist wiederum einen Risikozuschlag. Wie gut, schlecht, selten oder häufig jemand fährt, spielt bisher meist keine Rolle.
Das ändert die Telematik. Die Versicherer nutzen unterschiedliche technische Lösungen. Einige Unternehmen wie Cosmos Direkt und Allianz bieten ihren Kunden eine spezielle Smartphone-App an - bei der Allianz kontrolliert ein Stecker zusätzlich, dass der Fahrer nur Touren mit dem eigenen Wagen auswerten lässt. Bei der VHV misst ein Messstecker im Zigarettenanzünder die Fahrwerte. Die HUK-Coburg hatte zunächst auf ein fest im Wagen montiertes Gerät gesetzt. Der Einbau des Fremdgeräts verursachte jedoch Kosten und war einigen Autofahrern suspekt. Die Coburger haben jetzt umgesattelt. Künftig müssen Kunden nur noch eine kleine Messplakette hinter die Windschutzscheibe kleben, die Daten gehen auf das Handy und von da aus auf den Server.
An der Telematik führt für Versicherer kein Weg vorbei, glaubt HUK-Vorstand Rheinländer. "Wenn wir jetzt nicht verstehen, wie die Daten aussehen, die aus den Autos herauskommen, sind wir in fünf Jahren in der Tarifierungshoheit komplett abgehängt", erklärte er. "Dann hängen wir an der Nadel der Automobilhersteller." Beim Thema Telematik nicht mitzumachen wäre fahrlässig, sagte er.
"Optimal wäre es, direkt die Daten des Autoherstellers zu nutzen", sagte Allianz-Vorstand Hipp. Sie haben direkten Zugriff auf die Daten der Fahrzeuge. Die Hersteller gewähren den Versicherern aber keinen kostenlosen Zugang. "Das finden wir nicht gut, weil wir glauben, die Daten gehören dem Kunden", kritisierte Rheinländer. Doch haben die Versicherer keine Wahl, sie brauchen die Daten von den Herstellern. "Aber wir werden dafür streiten, dass wir bei den Preisen faire Konditionen erhalten."