Technik:Verwirrter Tacho

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Alte Tachos auf einer Oldtimermesse: An aktuelle Modelle stellt der Gesetzgeber höhere Anforderungen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Reifendruck, gesetzliche Vorgaben: Warum der Tempo-Anzeiger im Auto meistens falsch liegt.

Von Felix Reek

Ein Wohngebiet, Tempo 30. Plötzlich blitzt es aus dem Kleinbus. Verdammt! Der Blick geht schnell auf den Tacho. Waren es 45 Stundenkilometer? 50? Oder sogar 55? Schnell werden zu Hause Bußgeldkataloge verglichen. Bis Tempo 50 gilt: kein Problem. Maximal 35 Euro Bußgeld. Darüber wird es schmerzhafter. 80 Euro und ein Punkt in Flensburg. Nach einigen Wochen voller Bangen landet die Post von der Verkehrsüberwachung im Briefkasten. Erleichtertes Aufatmen. Nicht einmal 41 km/h wurden gemessen. Aber wie ist das möglich? Die Geschwindigkeitsanzeige im Auto zeigte doch deutlich mehr. Die Antwort ist simpel: Alle Tachometer in Autos sind ungenau. Ohne Ausnahme.

Schuld daran ist der Gesetzgeber. Eine EU-Richtlinie schreibt Folgendes vor: "Die angezeigte Geschwindigkeit darf nie unter der tatsächlichen Geschwindigkeit liegen." So sollen Ungenauigkeiten in der Messung kompensiert werden. Der Nebeneffekt: Wer sich anhand des Tachos an die vorgegebene Geschwindigkeit hält, riskiert niemals, geblitzt zu werden. Im Zweifelsfall ist er eher zu langsam als zu schnell. Aus diesem Grund zeigt das Fahrzeug immer ein höheres Tempo an, als es eigentlich fährt.

Der Spielraum ist dabei erstaunlich großzügig. Fahrzeuge, die nach dem 1. Januar 1991 zugelassen wurden, dürfen zehn Prozent plus vier Kilometer pro Stunde langsamer sein, als es der Tacho anzeigt. Heißt: Wer glaubt, in einer Tempo-30-Zone mit 50 Sachen erwischt worden zu sein, könnte am Ende nur 41 km/h gefahren sein - die Toleranz des Blitzers nicht eingerechnet. Und wer auf der Autobahn mit 114 Stundenkilometer unterwegs ist, fährt eigentlich nur 104. Rein theoretisch. Denn es gibt Faktoren, die die Messung beeinflussen können.

"Im Prinzip wird die Geschwindigkeit über den Radumfang und die gemittelte Raddrehzahl eines der Fahrzeugreifen berechnet", heißt es beim Tachohersteller VDO. Die Werte ermittelt das Steuergerät, das für die Anti-Blockier-Systeme (etwa ABS, ESP) zuständig ist. 50 Millisekunden dauert dieser Vorgang. Die angezeigte Geschwindigkeit ist also immer aktuell. Das Problem dabei: Die Berechnung erfolgt anhand von vorher festgelegten Durchschnittswerten. Werden die nicht eingehalten, verändert sich das Ergebnis. Vor allem der Reifen kann das System durcheinanderbringen. Im Tachoinstrument ist ein mittlerer Radumfang hinterlegt, der zur Geschwindigkeitsmessung herangezogen wird. Doch jedes Profil fährt sich ab. Und damit ändert sich der Umfang des Reifens. Bereits drei Millimeter weniger Gummi führt zu einem Prozent Abweichung bei der Geschwindigkeitsmessung.

Auch Niederquerschnittsreifen, breitere oder schmalere Pneus, Verschleiß, selbst zu viel oder zu wenig Luftdruck haben Einfluss auf die Bestimmung der Geschwindigkeit. Dies führt laut VDO zu einer "Abweichung linear zum ,falschen' Eingangswert". Der Messvorgang bleibt der gleiche, nur das angezeigte Ergebnis liegt um einen immer gleichen Prozentwert daneben. Hinzu kommen noch Faktoren wie Schlupf (blockierte oder durchdrehende Reifen), Fehler in der Tachoproduktion, so dass beispielsweise die Zifferblätter falsch bedruckt sind, bis hin zu Störungen in der Wahrnehmung selbst. Bei solchen Parallaxefehlern blickt der Fahrer nicht im rechten Winkel auf die beiden Ebenen aus analogem Zeiger und dem darunter liegenden Ziffernblatt. Das Resultat: Er liest die Geschwindigkeit falsch ab.

Ein weiterer Faktor ist, dass die Abweichung von der realen Geschwindigkeit nicht bei allen Herstellern gleich groß ist. Der ADAC hat seit 2006 etwa 1400 Autos getestet. Im Durchschnitt lagen alle Fahrzeuge 4,7 Prozent unter dem angezeigten Tempo. Am nächsten dran an der wirklichen Geschwindigkeit ist Audi mit minus 3,1 Prozent. Besonders ungenau sind die Tachos von Subaru (-6,5 Prozent), Nissan (-6,2 Prozent) und Toyota (-6,0 Prozent).

Dabei wäre eine genauere Geschwindigkeitsangabe durchaus möglich. Der ADAC verwendet für seine Messungen einen sogenannten GPS-Datenlogger. Der ermittelt das gefahrene Tempo per Satellit anhand der Veränderung der Fahrzeugposition. "In gewissem Rahmen wird dies heute schon realisiert", sagt ein Sprecher des Automobilclubs. Bei Fahrzeugen mit fest eingebautem Navigationssystem korrigiere das GPS-Signal die Informationen der Raddrehzahlsensoren. Diese Kombination sei zwar genauer, aber auch nicht frei von Fehlern. Wer schon einmal wegen eines schlechten GPS-Empfangs seines Navigationsgerätes eine Ausfahrt verpasst hat, der kennt das Problem.

Das ist insofern problematisch, da immer mehr Assistenzsysteme im Auto sich an der gemessenen Geschwindigkeit orientieren, etwa Tempomaten oder Speedlimiter. Aber welchen Wert sollen sie heranziehen: den des Tachos oder den des Navigationsgeräts? Eine hundertprozentig exakte Feststellung der eigenen Geschwindigkeit ist also technisch gesehen derzeit kaum möglich. Wer trotzdem genau wissen will, wie schnell er fährt, kann laut ADAC auf dem Prüfstand einer Fachwerkstatt seine Tachoabweichung messen lassen. Die gilt aber natürlich nur für den Jetzt-Zustand des Autos. Sobald der Reifen verschleißt oder zu wenig Luftdruck hat, ist der Tacho wieder so genau oder ungenau wie zuvor. Es ergibt also auch keinen Sinn, permanent etwas schneller zu fahren, um die Diskrepanz zwischen "echtem" und der gemessenem Tempo auszugleichen. Der einzige Effekt, den ein solches Verhalten hat ist: Es blitzt wieder. Bloß ist die Verkehrsüberwachung dann vielleicht nicht so gnädig.

© SZ vom 30.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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