SZ-Serie: "Radl-Metropolen":Radfahrer runter von der Straße

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Um den Stau aufzulösen, will die Moskauer Stadtverwaltung das Fahrrad stärker fördern. Nur die meisten Autofahrer ziehen da noch nicht richtig mit.

Von Paul Katzenberger

Wer sich bei dem Moskauer Fahrradgeschäft "Bearbike Bicycles" ein neues Rad anschafft, hat Glück gehabt. Denn vor Ort ist Losradeln ohne Probleme möglich, vorausgesetzt die Fahrt soll in südliche Richtung gehen: Auf der Pjatnitskaja-Straße, an der die Filiale steht, kommt auf dieser Route schon nach 200 Metern einer jener Fahrradwege, die auf Moskaus Straßen immer noch viel zu selten anzutreffen sind.

Und das hilft sehr in einer Metropole, die von einer riesigen Verkehrslawine überrollt wird. Naturgemäß ist die russische Hauptstadt damit eine fahrradfeindliche Metropole, zumindest gemessen an Städten wie Berlin oder gar Amsterdam: Während nach einer Erhebung des Guardian aus dem Jahr 2015 das Verkehrsaufkommen in Amsterdam größenordnungsmäßig zu 40 und in Berlin zu 15 Prozent von Radlern abgedeckt wird, liegt dieser Anteil in Moskau bei unter einem Prozent.

Das liegt nicht nur am gewaltigen Verkehrsaufkommen in der Zwölf-Millionen-Einwohner-Stadt, sondern auch an der Mentalität der Moskauer Autofahrer. Diese denken zum Großteil noch immer, dass ihre gesellschaftliche Stellung vor allem durch ein möglichst protziges Gefährt zum Ausdruck kommt. Und diese Haltung schlägt auf das Auftreten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern durch: Fußgängerwege werden oft zugeparkt, Radfahrer schon mal von hinten angehupt, nur weil sie die Frechheit besitzen, die Straße ebenfalls für sich zu beanspruchen.

Darin äußert sich die weit verbreitete Haltung, dass Radfahrer gar keine richtigen Verkehrsteilnehmer sind, wie schon die Sprache entlarvend belegt. Denn um das Wort "Fahrradfahren" auszudrücken, bietet das Russische zwei Varianten mit unterschiedlicher Bedeutung: Während "Katatsja"" das Radeln als Freizeitaktivität beschreibt, meint "jesdit" die reine Fortbewegung per Rad. Doch selbst die Planungsbehörde spricht von "Katatsja", wenn es um den Bau neuer Radwege geht, die ja wohl in erster Linie der Fortbewegung dienen sollen. Da muss es nicht wundern, wenn viele Verkehrsteilnehmer dem Beispiel folgen und die Haltung verinnerlichen.

Für den Radler hat es allerdings auch sein Gutes, wenn - wie der Bearbike-Käufer schnell merkt - der Radweg nach gut einem Kilometer an der Ecke zum Gartenring endet, der an dieser Stelle eine besonders furchteinflößende Autoschneise mit acht Spuren darstellt. Jeder Radler mit gesundem Menschenverstand würde da von sich aus nicht auf der Straße weiterfahren.

Schieben muss trotzdem keiner. Denn nicht nur die Autofahrer betrachten den Radler praktisch als Fußgänger - auch die Fußgänger selbst tun das: Radeln auf dem Gehweg wird toleriert, selbst von der Polizei. Wer rücksichtsvoll pedaliert, kann sogar damit rechnen, dass ihm aus dem Weg gegangen wird. Und bei Radlern, die den Zebrastreifen überqueren, halten die Autofahrer genauso an wie bei Fußgängern.

Ausbau des Radwegenetzes macht Fortschritte

Eine Lösung aus Sicht der Politik und der inzwischen recht umtriebigen Fahrradaktivisten ist das indes nicht. Denn aufgrund des täglichen Staus müssen dringend Alternativen zum Auto her. Die Moskauer Metro ist ein solches Gegenangebot, das mit Taktzeiten von circa einer Minute sogar hochattraktiv ist. Doch sie transportiert schon jetzt täglich mehr Menschen als die U-Bahnen Londons und New Yorks zusammen - und operiert nahe am Maximum dessen, was ein U-Bahn-System überhaupt leisten kann. Der verstärkte Ausbau der Radwege und des 2013 eingeweihten Bikesharing-Systems "Velobike" ist daher das erklärte Ziel der Stadtpolitik. Und kommt sie gut voran: Denn obwohl die Fahrradnutzung längst nicht auf westeuropäischem Niveau liegt, ist sie zuletzt sprunghaft gestiegen. Betrieb Velobike 2013 noch 79 Verleihstationen mit 500 Rädern, so waren es im vergangenen Jahr schon 430 Stationen mit 4120 Rädern.

Enorme Fortschritte hat auch der Ausbau des Radwegenetzes gemacht. Sorgte der erste Radweg im Jahr 2000 mit seinen unsinnigen Barrieren, seiner mangelhaften Kanalisation und seinen teilweise mickrigen Ausmaßen (ein Meter Breite für beide Richtungen) noch für Spott, so gibt es dafür keinen Grund mehr. Denn inzwischen gibt es gut ausgebaute Radwege in einer Länge von 230 Kilometern, nachdem es 2010 noch ganze neun Kilometer waren. Und die Stadt hat angekündigt, das Netz bis 2024 auf 773 Kilometer zu verlängern.

Eine Fahrradstadt wie Amsterdam wird Moskau dennoch nie werden. Bei Temperaturen von bis zu minus 20 Grad Celsius im Winter sowie Eis und Schnee ist ganzjähriges Radeln eine ganz andere Herausforderung. Saisonal ist da eher Langlauf angesagt.

In dieser Serie beleuchtet die SZ in loser Folge die Situation des Radverkehrs in den Städten. Bisher erschienen: Brüssel (4.8.), Madrid (11.8.), New York (18.8.). Alle Folgen unter www.sz.de/stadtradler

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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