"Muss das denn sein?", wird sich so mancher Alfa-Fan gedacht haben, als es hieß, die Italiener bauen jetzt nicht nur ein SUV, nein, gleich drei unterschiedliche Modelle in den nächsten beiden Jahren. Also jene Großstadt-Geländewagen, die irgendwie immer ein wenig zu mächtig, zu plump, zu größenwahnsinnig wirken. Und das von den Italienern, deren Hauptdaseinsberechtigung es noch immer ist, schönere Autos zu bauen, als der Rest der Welt. Wie zuletzt die Giulia, die laut rief: "Ja, seht her, wir können es noch!"
Ausgerechnet im umkämpften Markt der Mittelklasse-SUVs soll sich jetzt der Alfa Romeo Stelvio, benannt nach dem höchsten Gebirgspass Italiens, durchsetzen. BMW X5, Audi Q5 oder Porsche Macan warten dort schon. Eine denkbar schwierige Ausgangslage. Dem Fiat-Konzern ist das offensichtlich egal, er hofft auf die treuen Anhänger der Marke. Die suchten immer das Besondere, nahmen Qualitätsmängel und Macken hin, nur um morgens auf wunderschöne Formen schauen zu können. Nur allzu viele sind das eben nicht. Deswegen jetzt also ein SUV. Die Fahrkarte in den Massenmarkt.
Doch wer ein etwas anderes SUV fahren will, findet dort schon eine reichliche Auswahl abseits der üblichen Verdächtigen aus Deutschland oder Japan. In unserem Test muss sich die Benziner-Variante des Stelvio mit 280 PS gegen zwei ähnlich motorisierte Softgeländewagen behaupten: den Volvo XC60 (254 PS) und den Jaguar F-Pace (250 PS). Alle drei besitzen Allradantrieb, Automatik und starten ab 40 000 Euro in der Basisversion. Die von uns getestete Motorisierung ist teurer: Mindestens 50 000 Euro ist für eines der SUVs fällig.
Ein Alfa, wie ihn Fans erwarten
Die gute Nachricht für Alfa-Fans ist: Der Stelvio bietet all das, was die Anhänger der Marke erwarten. Sowohl im guten wie auch im schlechten Sinne. Er ist schön. Zumindest für ein SUV. Und er fährt sich genau so, wie erhofft. Die Automatik arbeitet präzise, die Lenkung ist direkt, die Bremsen sind geradezu aggressiv. Der Stelvio ist mit Sicherheit eines der agilsten SUVs auf dem Markt. Das Problem: Sportlichkeit ist in einem SUV konstruktionsbedingt nur bis zu einem gewissen Maß möglich. Auch der Alfa vermittelt nie ein wirkliches Gefühl für die Straße. Gewicht und erhöhte Position sorgen - verglichen mit einem herkömmlichen Auto - immer für ein schwammiges Fahrverhalten. Zumindest lässt sich festhalten: Der Stelvio ist näher dran als Volvo und Jaguar.
Wenn nur nicht die bei Alfa üblichen Schrulligkeiten wären. Zum Beispiel die fast 20 Zentimeter langen Schaltwippen hinter dem Lenkrad. In solchen Dimensionen sind sie sonst nur bei Sportwagen zu finden, um auf der Rennstrecke an jeder Position des Lenkrads den passenden Gang einlegen zu können. Eine Situation, in der sich aller Voraussicht nach kein einziger Stelvio-Fahrer jemals wiederfinden wird. Ganz im Gegensatz zu einem einsetzenden Platzregen oder einer einfachen Fahrtrichtungsanzeige. Um Scheibenwischer und Blinker zu betätigen, müssen die Käufer des Alfas umständlich an den gewaltigen Schaltwippen vorbeigreifen. Genauso nervig ist der Tacho, der auf der 15-Uhr-Position bei Tempo 260 endet. Danach kommt: nichts. Dieser gestauchte Geschwindigkeitsanzeiger sorgt dafür, dass der Fahrer an der Stelle, wo bei jedem anderen Auto die Markierung für 50 km/h liegt, auf Tempo 140 starrt. Größtes Ärgernis ist aber das Multimediainstrument, wenn es sich überhaupt so nennen lässt. Es reagiert verzögert, ist unübersichtlich, verfügt nicht einmal über aktualisierte Staudaten und wirkt veraltet.
Beim Volvo wird vor allem getouched und geswiped
Ganz im Gegensatz dazu der Volvo XC60. Der ist bereits dort, wo Alfa in seinen kühnsten Träumen hin will. Eine Million Exemplare des Vorgängers verkaufte Volvo in den letzten Jahren. Es ist mittlerweile das gefragteste Modell der Schweden. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg für den Stelvio. Denn wer aus dem Alfa in den Volvo steigt, betritt eine andere Welt. Ein riesiges Display in der Mitte, überall Knöpfe und Funktionen. Überhaupt lässt sich im XC60 so viel touchen und swipen, dass das Autofahren zur Nebensache wird. Auf den ersten Blick ist klar: Der Volvo spielt trotz des ähnlichen Preises in einer anderen Liga. Im direkten Vergleich wirkt der Stelvio wie ein Auto aus der Vergangenheit. Und der XC60 wie die Zukunft.
Das liegt vor allem an den umfangreichen Assistenzsystemen des Volvos. Zwölf davon sind serienmäßig, sieben weitere gibt es gegen Aufpreis. Die meisten dienen der Sicherheit des Fahrers. Nicht ohne Grund hat Volvo angekündigt, dass bis 2020 niemand mehr in einem ihrer Autos ums Leben kommen wird. Der XC60 ist der nächste Schritt dorthin. Als Basis dafür dient eine Kamera- und Radareinheit, die vor dem Rückspiegel sitzt. Sie scannt einen Bereich von 200 Metern um das Auto. So kann das SUV ein Abdriften in den Gegenverkehr verhindern, eingreifen, wenn ein Fahrzeug im toten Winkel übersehen wird, abbremsen, sobald der Abstand zum Vordermann nicht mehr ausreicht und Fußgängern ausweichen, die überraschend auf die Straße gehen. Auf der Autobahn steuert der XC60 selbständig, die Hände müssen allerdings am Steuer bleiben. In der Stadt vermisst der Volvo passende Parklücken und lenkt den XC60 hinein. Das alles lässt den Preis des SUVs zwar in die Höhe schnellen (die Konfiguration unseres Testwagens liegt bei 80 000 Euro), bei Alfa steht das aber nicht einmal zur Auswahl. Das Unternehmen gibt unumwunden zu, dafür kein Geld zu haben. Dazu müssten erst einige Stelvios verkauft werden.