Tobias Beitz' bester Freund ist ein seltsamer Geselle. Beide verbringen viel Zeit miteinander, obwohl einer von ihnen kein Wort spricht und mit den überdimensionierten Mikrofonen in den Ohren seltsam aussieht. Beitz' Arbeitskollege ist ein Modellkopf, den der Diplomphysiker und "Leiter aktive Klangestaltung" bei Mercedes-Benz verwendet, um Töne aufzunehmen, zu messen und zu analysieren. "Wir platzieren ihn überall da, wo auch ein Mensch wäre. So können wir den Klang des Autos realistisch aufzeichnen", sagt der 41-Jährige.
Also sitzt der Kopf mal auf dem Fahrersitz, mal beugt er sich zum Türschloss hinab oder steht einige Meter hinter dem Wagen und zeichnet mit seinen Mikrophon-Lauschern alles auf: von der Tür, die ins Schloss fällt, bis zum Motor des Mercedes SL, der mit 5000 Umdrehungen aufheult.
Optimieren bis zum Schluss
Die Tür des teuren Klappdach-Roadsters soll satt und mit einem präzisen Klicken ins Schloss fallen, der Motor muss kräftig und souverän klingen. Sind die Entwickler in dieser Hinsicht bei den ersten Prototypen unzufrieden, muss nachgebessert werden. "In der Analyse sehen unsere Mitarbeiter, wo es eine Abweichung gibt und welche Komponente verändert werden muss", sagt Tobias Beitz. "Bei der Tür geht es meist um das Schloss. Wir schildern unserem Lieferanten das Problem und der behebt es zum Beispiel, indem er einen Gummipuffer einbaut."
Beim Motor ist eine Anpassung des Sounds deutlich komplexer. Unschöne Klänge können von der Abgasanlage kommen, vom Motor selbst oder von einer mangelhaften Isolation, sodass oft ein ganzes Techniker-Gremium nach der Ursache sucht. Das kann durchaus eine Weile dauern: "Sounddesigner werden auch noch in der letzten Entwicklungsphase hinzugezogen, um sicherzustellen, dass alle Geräusche den Erwartungen entsprechen", sagt Beitz.
Bevor es auf den Markt kommt, wird ein neues Auto immer und immer wieder auf dem Rollenprüfstand festgeschnallt - in einem riesigen Raum mit den Abmessungen einer Turnhalle. Die Wände sind voll verkleidet. Keile ragen in den Raum. So wird kein Geräusch reflektiert. Purer kann ein Auto-Sound nicht sein. Damit auch keine Vibrationen das Klangerlebnis stören, ist der Raum entkoppelt, das heißt er steht auf riesigen Federn in einer großen Halle. Schwere Stahltüren verschließen den Zugang.
"Turbofahren muss man hören"
Eine Halle wie diese besitzt jeder Automobilkonzern. Unterschiedlich sind allerdings die Anforderungen, die die Klangmacher erfüllen müssen. Ein Porsche-Besitzer will das Grollen, das heisere Röcheln. "Turbofahren muss man hören", sagte einst Rennlegende Walter Röhrl. Deswegen kommt aktives Motoren-Sounddesign immer mehr in Mode. Beim Audi A6 TDI mit 313 PS werden ungewollte Frequenzen des Motors einfach unterdrückt und die passenden verstärkt. Auf "Knopfdruck" verliert ein Diesel sein hartes Verbrennungsgeräusch und klingt so herzhaft und voll. Wie Dirigenten spielen die Sounddesigner mit verschiedenen Tönen und Klängen. Ihre Werkzeuge sind ein Keybord zum Komponieren und der Computer, auf dem die Frequenzen dargestellt und bearbeitet werden.
Die Suche nach dem Sound-Ideal ist oft mit viel Kleinarbeit verbunden. Was bewirkt welcher Textileinsatz am Boden des Innenraums? Platziert man eine Dämmungsmatte doch besser an der Innenseite des Kotflügels? Geduld und Erfahrung sind gefragt. Die Ton-Tüftler kommen aus verschiedenen Berufsfeldern. Viele sind Maschinenbauer, andere Mathematiker. Tobias Beitz hingegen ist Diplomphysiker mit privatem Musikinteresse. Was sie alle vereint ist eine ganz entscheidende Fähigkeit: das sogenannte "analytische Hören". Also die Fähigkeit, zu definieren, warum etwas gut klingt und warum nicht. "Das kann man lernen", sagt Tobias Beitz.
Das Auto als Lautsprecher
Der perfekte Klang beginnt bei der Fahrzeugkarosserie. Diese sei "ein einziger großer Klangkörper, wie der Korpus eines Flügels. Eine Karosserie, die über elektrodynamische Shaker mit den Schwingungen eines Musikstücks angeregt wird, lässt eine Atmosphäre wie in einem Konzertsaal aufkommen. Das gleicht dann einem überdimensionalen Lautsprecher", erklärt Dr. Ralf Kunkel, Leiter Akustik Modularer Längsbaukasten (MLB) bei Audi.
In einem Konferenzraum, in dem jeder Platz mit einem Kopfhörer versehen ist, sitzen die Sound-Designer mit den Fahrzeug-Entwicklern und diskutieren jeden einzelnen Klang: Warum klingt der Blinker zu hoch? Weshalb ist der Gurt-Warner zu laut? Wieso pfeift der Motor bei 3500 Umdrehungen pro Minute zu hoch? Hier treffen oft gegensätzliche Ansichten aufeinander. Es ist der ewige Konflikt: Was wollen die Tonkünstler und was die Ingenieure? Fast immer läuft es auf Kompromisse hinaus. Am Ende entscheidet das Markenimage: sportlich oder dezent? Das ist hier die Frage.