Sicherheit im Untergrund:Die Angst fährt noch mit

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Feilen am Bewegungsbild: Moderne Überwachungssysteme sollen die Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr verbessern, doch sie sind umstritten.

Klaus C. Koch

Wer in Singapur U-Bahn fährt, darf sich über bescheidenen Komfort und ein modernes Fahrgastinformationssystem freuen. Der neueste Gag heißt "Tunnel TV". Zwischen den U-Bahnstationen Newton und Orchard werden auf einigen hundert LED-Bildschirmen, die entlang der Röhre mit der Geschwindigkeit des Zuges synchronisiert sind, Kurzfilme gespielt. Cartoons und flotte Werbung sorgen für hohen Aufmerksamkeitsgrad. Weniger lustig ist ein Streifen, in dem ein junger Mann gezeigt wird, der gerade eine schwarze Sporttasche in einer Gepäckablage deponiert, um sich daraufhin schnell aus dem Zug zu entfernen. Sekunden später detoniert ein Sprengsatz. Flammen schießen aus der Röhre, Splitter fliegen umher.

Die Angst fährt mit: Menschenleere Gänge oder verlassene Bahnsteige versetzen viele Fahrgäste in Unruhe. Kameras sollen beruhigen. (Foto: Foto: vsl/mediacolors)

Jeremy Yap vom Verkehrsbetreiber SMRT findet nicht, dass die Kampagne übertrieben ist, die er anlässlich der Jahrestagung der Union Internationale des Transports Publics (UITP) vor rund 2200 Teilnehmern in Wien präsentiert. In dem Film, der unter dem Titel "Hallo, Sie haben ihre Tasche vergessen!" läuft, werden die Fahrgäste aufgefordert, ständig ein Auge aufeinander zu haben. Wer sich merkwürdig verhält und herumlungert, macht sich verdächtig.

Natürlich, räumt Yap ein, haben Sicherheitskräfte auch schon Unschuldige überwältigt, die mit Paketen auf dem Bahnsteig hantierten. "If you see something, say something!" ("Wenn Sie etwas sehen, melden Sie sich!") lautet analog dazu die Aufforderung in den Subways von New York oder in Londons Tube. Auch dort werden genaue Anweisungen für den Ernstfall erteilt. Über eine Notrufanlage sollen Passagiere das Zugpersonal informieren, den oder die mutmaßlichen Täter beschreiben und anschließend helfen, die Passagiere zu evakuieren.

In sämtlichen Metropolen der Welt wurden die Sicherheitsmaßnahmen mittlerweile verschärft. Seitdem im März 2004 zehn Sprengsätze in Madrid 191 Menschen in den Tod rissen und 2005 in London durch Terroranschläge auf die U-Bahn 52 Menschen ums Leben kamen, fühlt sich kaum jemand mehr sicher - die Zahl der Fehlalarme ist entsprechend hoch. Tatsächlich ist eine massive Aufrüstung im Gange. Zehntausende Videokameras und Überwachungsanlagen wurden seither installiert. In Tokio werden 16 Millionen Passagiere, die dort täglich von der Japan Railway (JR East) transportiert werden, von 7700 Kameras beobachtet, mehr als 2000 sind es in Berlin, in Wien sind rund 1200 Kameras installiert.

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Hinter den Kulissen sind sich die Verkehrsanbieter über ihre Strategie nicht so ganz einig. Der Terror fällt in eine Zeit, in der sie angesichts der Klimaproblematik eigentlich gegenüber dem Individualverkehr aufholen sollten. Entsprechend große Investitionen stehen im Raum, dreistellige Millionensummen und Milliarden werden gebraucht, um Fahrgastkapazitäten auszubauen und Hunderttausende Pendler im Minutentakt durch die Städte zu schleusen. Doch der Terror hat eine hässliche Fratze. Er schlägt genau dort zu, wo die Masse der Menschen am dichtesten ist. Im angelsächsischen Sprachraum gilt es als weitgehend legitim, große Teile der Bevölkerung in vorbeugende Maßnahmen einzubeziehen.

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Yaps SMRT ist nach Umfragen davon überzeugt, dass sich 80 Prozent der Fahrgäste in Singapurs Metro gut versorgt wissen. "Wir haben versucht, zu vermitteln, dass unsere Fahrgäste Partner sind, statt einfach nur Gegenstand der Überwachung", sagt der Abteilungsleiter für Landtransporte in der Verkehrsbehörde des Stadtstaats. Dass in den Videos auch darum geworben wird, Älteren und Gebrechlichen unter die Arme zu greifen, und darauf zu achten, dass Rollstuhlfahrer nach der Evakuierung ihren fahrbaren Untersatz wiederbekommen, steigert den Sympathiewert der Maßnahme.

In Deutschland, wo die Nachwehen der SED-Spitzelei in der ehemaligen DDR, aber auch die Vergangenheit des Nationalsozialismus und die Rasterfahndung der siebziger Jahre noch immer präsent sind, stoßen Awareness-Kampagnen auf teils heftige Vorbehalt in der Bevölkerung. "Das ist eine Frage der Mentalität", meint Thomas Hilpert. Der Anwalt beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) verweist zugleich auf die 48-Stunden-Regel. U- und S-Bahnbetriebe sind gehalten, Video-Aufzeichnungen nach zwei, spätestens drei Tagen zu löschen, wenn die gespeicherten Aufnahmen in der Zwischenzeit nicht Gegenstand von Ermittlungen sind.

In neueren U-Bahnzügen zeichnen bis zu 24 Kameras gleichzeitig das Geschehen im Fahrgastraum auf. Aber sie übertragen es nicht. Durch digitale Kanäle stünden zwar neue Leitungskapazitäten parat. Doch genauso wie für das Gros der elektronischen Augen an Bahnhöfen und Bahnsteigen fehlt es an Personal, um die Lage vor Ort tatsächlich beurteilen zu können. IT-Spezialisten feilen daher fieberhaft an neuen Methoden der Bildanalyse, die in Echtzeit kritische Situationen erkennen sollen.

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In Tokio unternahm die JR East einen Feldversuch mit 48 Kameras, deren Programm Betrunkene, ein in einer mutmaßlich zu großen Tasche wühlendes Paar und eine Schlägerei lokalisierte. "Aber", so Kyohiro Takemoto, Manager bei der JR East, "das kostet auch was"; die Anschaffung des Systems könnte am Preis scheitern. Außerdem überwogen Fehlalarme die tatsächlichen kritischen Vorkommnisse bei weitem.

An der Erkennung von Bewegungsmustern arbeiten auch Münchner Verkehrsingenieure. Bei einem Testlauf vor Publikum werden die Gesichter der Vorübereilenden durch eine sogenannte Privacy-Maske verschleiert. Ob der Filter an oder aus ist, hängt von der Einstellung ab. "Inzwischen halten sich Frauen", erklärt ein Mitarbeiter, "nachts doch ganz gern in Bereichen auf, von denen sie wissen, dass dort eine Kamera installiert ist." Sie fühlten sich dort ähnlich wie der Bankkunde am Geldautomaten sicher.

Geoff Dunmore, Sicherheits-Chef der U-Bahn in London, warnt die Verkehrsverbünde davor, in eigener Sache zu Profilern zu werden. "Als wir vor Jahrzehnten die ersten Kameras installierten, ging es noch um einfache Betriebsstörungen." Immerhin könnte die digitale Bildauswertung auch helfen, Tunnelportale wie auch Hochgeschwindigkeitsstrecken abzusichern, an denen nicht selten Steinewerfer oder sogar ganze Schafherden auftauchen.

Dass die Verkehrsunternehmen - unter anderem mit der Niederflurtechnik - auch viel investieren, um Behinderten den Zugang zu Bus und Straßenbahn zu erleichtern, geht dabei fast schon wieder unter. Inzwischen gibt es Sensoren, die durch einen Luftspalt noch die feinste Störung im Türspalt registrieren und das Risiko eingeklemmt zu werden, verringern. Nur: Sie sind noch nicht überall installiert. Und mit kürzeren Reaktionszeiten wäre, wie der tödliche U-Bahn-Unfall in München gezeigt hat, geholfen.

© SZ vom 15.6.2009/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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