Unfall am U-Bahnhof Silberhornstraße:Ein tragischer Unfall

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Die Video-Aufzeichnungen in der U-Bahnstation Silberhornstraße ergeben, dass keiner die blinde Frau bei ihrem Sturz zwischen zwei Waggons gesehen hat.

D. Hutter und S. Wimmer

Weder den Fahrgästen noch dem U-Bahn-Fahrer ist ein Vorwurf zu machen: Nach Sichtung und Auswertung der Videoaufzeichnungen vom Bahnsteig an der Silberhornstraße kommt die Polizei zu dem Schluss, dass der Tod der 28-jährigen blinden Münchnerin "ein tragischer Unglücksfall" war. Die Frau war Mittwochabend beim Einsteigen zwischen zwei Waggons gefallen und überrollt worden.

Ein Zug am U-Bahnhof Silberhornstraße: Am Mittwoch war eine Frau beim Einsteigen zwischen zwei Waggons gefallen und überrollt worden. (Foto: Foto: dpa)

Es ist Mittwochabend gegen 22.45 Uhr, U-Bahnstation Silberhornstraße. "So an die 30 Leute", sagt Polizeisprecher Peter Reichl, stehen unten am Bahnsteig und warten auf die nächste U-Bahn. Die meisten Passanten sind schon nach vorne zum Sicherheitsstreifen gegangen, nur die 28-jährige blinde Münchnerin steht noch in der Bahnsteigmitte zwischen den Schaukästen.

Die U-Bahn fährt ein, Fahrgäste verlassen den Zug, andere steigen ein, ganz hinten, an den letzten beiden Waggons, betreten drei Männer den Zug. "Und gleich dahinter kommt die Frau ins Bild der Kamera", sagt Reichl. Man sieht, wie der Stock zwischen die beiden Waggons tastet und die Frau in den Spalt hineinfällt. "Es ist schon sehr wahrscheinlich, dass niemand den Sturz gesehen hat", sagt der Polizeisprecher.

Anfangsverdacht unbegründet

Damit sei der Anfangsverdacht der unterlassenen Hilfeleistung nicht begründet, so Reichl weiter. Und auch dem U-Bahn-Fahrer sei kein Vorwurf zu machen. "Er hat alle Vorschriften eingehalten. Er konnte die Frau nicht sehen." Die Türen schließen. Man sieht auf den Videobildern noch, wie die 28-Jährige versucht, von den Gleisen nach oben auf den Bahnsteig zu krabbeln. Dann fährt der Zug an. "Es hat sich alles in Sekunden abgespielt", sagt Peter Reichl. Als nächstes kommt eine Frau ins Bild. Sie sieht die 28-Jährige, den anfahrenden Zug und rennt sofort zum Notruf.

Als andere Fahrgäste ebenfalls aufmerksam werden und, unabhängig voneinander, den Nothalt am Bahnsteig sowie die Notbremse im Zug auslösen, ist es bereits zu spät: Die ins Gleis gestürzte Frau wird überrollt. Die U-Bahn fährt anschließend ohne Stopp weiter zur nächsten Station. Laut MVG hätte allerdings auch eine sofortige Vollbremsung die Frau nicht mehr retten können, da der Zug längst in Bewegung war, als die Fahrgäste die roten Griffe betätigten.

Dass die U-Bahn trotz Notbremse weiterfahren konnte, liegt an der speziellen Konstruktion dieser Einrichtungen: Der am Bahnsteig montierte Nothalt, mit dem sich der Zug von außen anhalten lässt, aktiviert eine Fahrsperre im Gleis. Die U-Bahn hatte jedoch den Standort dieses Geräts - knapp 80 Meter hinter dem Tunneleingang - bereits passiert. Dann funktioniert der Nothalt nicht mehr.

Nothalt im Tunnel kann gefährlich sein

Auch die Notbremse im Zug stoppt das Fahrzeug nur bis etwa zehn Sekunden nach der Abfahrt. Während der Tour durch den Tunnel ist das Gerät überbrückt - bei einem Feuer oder auch bei einer Schlägerei wäre ein Halt deutlich gefährlicher als die Weiterfahrt zur nächsten Station. Allerdings erfährt der Fahrer über ein Signal am Armaturenbrett vom Ziehen der Notbremse. Ohne Kenntnis der genauen Situation hat er jedoch die Anweisung, erst am nächsten Bahnhof zu stoppen. Die MVG bittet daher alle Passagiere, im Ernstfall nicht nur die Notbremse zu ziehen, sondern auch über den Notruf Kontakt mit dem Fahrer aufzunehmen. Natürlich wird, wenn es sinnvoll ist, auch im Tunnel angehalten.

Die CSU hat bereits in der Vergangenheit angeregt, an den Bahnsteigkanten Türen zu montieren, damit niemand ins Gleis fallen kann. Diese Vorkehrung, die vor allem bei vollautomatischen U-Bahn-Systemen verwendet wird, kostet allerdings laut MVG 500.000 bis 800.000 Euro je Bahnsteigkante - flächendeckend also einen dreistelligen Millionenbetrag. Ein weiteres Problem: Die Abstände der Türen sind in München je nach Zugtyp unterschiedlich.

© SZ vom 13.06.2009/pfau - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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