Nissan Leaf im Test:Nur eine Frage der Gewohnheit

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Der Nissan Leaf steht im Alltagstest einem Auto mit Benzin- oder Dieselmotor in nichts nach. (Foto: Nissan)

Warum blicken Deutsche so skeptisch auf Elektroautos? Der Nissan Leaf überzeugt im Alltag, auch das Aufladen funktioniert. Autos stehen ohnehin die meiste Zeit herum, da können sie auch geladen werden.

Von Thomas Hummel

Zur ersten Fahrt sitzen alle drin, Frau, Mann, zwei Kinder. Läuft der Wagen schon? Es rührt sich nichts. Dabei habe ich schon auf den On-Off-Knopf gedrückt, das Display zeigt allerhand an. Mal sehen, was passiert, wenn ich das Pedal drücke. Der Wagen bewegt sich tatsächlich aus der Parkbucht heraus, auf die Straße. Alle sind still, alle horchen. Nichts, kein Laut. "Woah!" hallt es von hinten. Die Tochter ist hellauf begeistert. Autofahren ohne Lärm. Es fühlt sich nach Schweben an.

Debatten um Elektroautos gehören zu den hitzigsten in diesem angeblich so autoverrückten Land. Sollen wir jetzt, oder müssen wir sogar elektrisch fahren? Wie lange dauert das Laden? Woher soll der Strom kommen, wenn alle ihre Pkws an die Steckdose hängen? Wie groß ist die Reichweite? Und gehört zu einem richtigen, männlichen Auto nicht zwingend ein wummernder Motor?

Es ist erstaunlich, dass eine Nation, die stolz auf die Kunst ihrer Ingenieure und das Prädikat "Made in Germany" ist, einer neuen Technologie so skeptisch begegnet. Der Fortschritt war in Deutschland jahrzehntelang Selbstvergewisserung und Sehnsucht, jetzt soll am besten alles so bleiben wie es ist. Veränderungen? Nur wenn es sein muss. Oder kann das nicht bitteschön die kommende Generation übernehmen? Bei meiner Familie ist die Neugier groß, als SZ-Kollegen eines Tages mitteilen, ein Nissan Leaf e+ Tekna stünde für eine zweiwöchige Testfahrt bereit. Die Vorgänger-Modelle waren die meistverkauften E-Autos in Europa. Kann man danach die Fragen zur neuen Technik beantworten?

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An der Ampel ist ein E-Auto unschlagbar

Die neue Leaf-Generation e+ mit einer stärkeren Batteriekapazität von 62 Kilowattstunden kostet mindestens 37 000 Euro, die zum Test bereit stehende Version e+ Tekna noch etwas mehr, durch die E-Auto-Förderung von Bund und Hersteller ist das Auto aber bis zu 9000 Euro günstiger. Auf der Autobahn ist der Leaf bis zu 167 Kilometer pro Stunde schnell, die Batterie kann bis zu 160 Kilowatt leisten, umgerechnet 217 PS. Wenn man das Pedal durchdrückt, presst es die Passagiere in die Sitze wie in einem Flugzeug. Einmal will das ein junger Mann (mit einer Frau auf dem Beifahrersitz) in einem tiefer gelegten BMW offenbar austesten. Er spielt an der roten Ampel mit dem Gaspedal. Ich gebe zu, es hat mich im Fuß gejuckt, ich habe bei Grün das Pedal des Nissan durchgedrückt und dem Kerl aus dem Rückspiegel zugewinkt. Er trug es mit Fassung.

Doch die Frage lautet nicht, ob so ein E-Auto ein schönes Spielzeug ist, sondern ob es alltagstauglich sein könnte. Mein Blick auf Autos war immer funktional. Es soll vier Reifen haben, es soll auch im Winter anspringen und generell selten etwas kaputt gehen. Meine erste Schüssel war ein zweifarbiger VW Derby für 400 Mark, in hell- und dunkelgrün. Der hielt nicht lange. Aktuell fahren wir einen 16 Jahre alten Van, doch der Umstand, dass er ordentlich nach Diesel stinkt, fällt immer unangenehmer auf. Er steht fast nur noch rum und blockiert öffentlichen Raum in den engen Straßen von München-Gern.

Da kommt ein Elektroauto genau zum richtigen Zeitpunkt. Das Fahrgefühl im Nissan Leaf entspricht generell dem eines Verbrenner-Wagens, mit allem Komfort moderner Fahrzeuge (Assistenten zum Einparken, Spurhalten, Notbremse, Geschwindigkeit etc.). Doch für alle, die auf eine Verkehrswende hoffen: Das Elektroauto steht in überfüllten Städten wie München genauso im Stau wie die Diesel und Benziner. Immerhin bläst man keine Abgase hinaus und für die Reichweite ist Stop and Go sogar hilfreich. Per Knopfdruck kann man im Nissan Leaf auf E-Pedal umschalten, von nun an fährt und bremst man mit dem rechten Fuß per Drücken und Nachgeben. Anfangs müssen die Insassen achtgeben, dass ihnen nicht flau wird von dem Geruckel, aber nach einer Weile beruhigt sich der rechte Fuß und das Fahrerlebnis wird ruhiger. Die Bremsenergie führt Strom in die Batterie zu, nach Angaben des Herstellers kann man so im Stadtverkehr bis zu 528 Kilometer mit einer Batterieladung fahren.

Laden dauert lang, aber das ist kein Problem

Auf der Landstraße oder der Autobahn geht die Batterieanzeige schneller nach unten. Laut Hersteller reicht eine Batterieladung bei 90 km/h im Schnitt gut 300 Kilometer weit. Wird es kälter, geht die Reichweite nach unten, bei null Grad Celsius sind es 250 Kilometer. Das ist immer noch genug für einen normalen Tag im Stadtverkehr, von Zuhause zur Arbeit, danach zum Sportverein, die Eltern besuchen oder zum Badesee.

Knackpunkt aller Elektroauto-Tests ist das Laden, beim Nissan Leaf gibt es dafür drei Möglichkeiten. Erstens kann man eine normale Steckdose nutzen. Zweitens hat der Wagen einen Schnellladeanschluss CHAdeMO, mit dem man die Batterie an speziellen Stationen von 20 auf 80 Prozent in etwa einer Stunde aufladen kann. Die nächste Strom-Tankstelle dieser Art ist mir aber zu weit weg. Als dritte Möglichkeit stehen keine zehn Minuten Fußweg von Zuhause zwei Ladesäulen mit Anschlüssen von den Stadtwerken München bereit. Es heißt, man kann dort ohne Ladekarte nur mit der Smartphone-App MVG More per Kreditkarten-Zahlung aufladen.

Als ich das Auto vorfahre, blockiert ein BMW-Verbrenner einen der vier Parkplätze, auf einem zweiten parkt gerade ein Audi-Diesel ein. Die Stellplätze liegen direkt vor einem Metzger und einem Bäcker, da ist die Versuchung offenbar groß, auch wenn es nicht erlaubt ist. Ich parke den Nissan dazwischen, öffne die kleine Klappe vorne, hole das Kabel aus dem Kofferraum, schließe das eine Ende am Auto an, das andere an der Ladesäule. Dann suche ich in der App die Ladesäule, gebe alle erforderlichen Angaben ein und los geht's. Nein, die App sagt, irgendwas funktioniert nicht. Einige Kunden warten vor dem Bäcker und Metzger mit Mund-Nasen-Schutz und schauen herüber.

Der Fehler ist: Man muss zuerst in der App alles ausfüllen und bestätigen, und steckt das Kabel danach in die Säule. Dann geht's los. Nach zweieinhalb Stunden hole ich das Auto wieder ab, die Daten des ersten "Tankvorgangs" lauten: 11,5 kWh geladen, die Batterieladung ging von 41 auf 61 Prozent hoch. Kosten: 4,37 Euro. Nächster Test ein paar Tage später, gleiche Ladesäule: Sieben Stunden am Kabel, 32,9 kWh geladen, Batterieanzeige von 16 auf 71 Prozent. Kosten: 12,17 Euro. Ich höre schon die Nörgler: Das dauert zu lange, das ist unbequem, das funktioniert nicht. Dabei steht das Elektroauto genauso wie der Diesel-Van ohnehin meist herum, da kann er auch aufgeladen werden. Praktisch wird das vor allem für Hausbesitzer, die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach ersetzt künftig die Tankstelle.

Nach zwei Wochen holt ein Mitarbeiter eines Nissan-Händlers den Wagen wieder ab. Zuhause sind alle traurig, die neue Technik hat mehr Freude als Verdruss verursacht. Der Mann sagt, er fahre tags darauf mit dem Auto von München nach Brühl bei Köln, rund 570 Kilometer. Auf der Strecke muss er zwei Mal an eine Schnellladesäule, währenddessen trinke er einen Kaffee. Angst, es könnte nicht funktionieren, hat er nicht.

In der Serie "Elektrisch unterwegs" berichten SZ-Autoren in loser Folge über ihre Alltagserfahrungen mit verschiedenen Elektroautos.

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