Neue Crashtests:Schlag auf Schlag

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Die neue Regeln beim Crashtest EuroNCAP stellen die Autoindustrie vor Probleme.

Joachim Becker

Kein Witz: Treffen sich ein Autodesigner, ein Umweltschützer und ein Unfallforscher, um den idealen Wagen zu entwerfen. Der Designer plädiert für eine windschnittige Silhouette, hohe Motorhauben für den Fußgängerschutz sind ihm ein Graus. "Schluss mit schneller, schwerer, stärker", fordern dagegen Öko-Aktivisten wie Jürgen Resch; der Vorsitzende der Deutschen Umwelthilfe mahnt immer wieder ein leichtes Drei-Liter-Auto an.

Schmerzfrei: Mit Sensoren bestückte Dummys werden bei Crashtests eingesetzt, um die Belastung des Menschen bei einem Unfall zu messen. (Foto: Foto: Alimdi.net/F. Saurer)

Unfallexperten wie Adrian Lund vom amerikanischen Insurance Institute of Highway Safety (IIHS) schließlich sehen den zunehmenden Kleinwagentrend skeptisch: "Größer und schwerer ist in Sicherheitsfragen immer besser", lautet das Credo des IIHS-Präsidenten, denn: "Je länger die vordere Knautschzone ist, desto gleichmäßiger wird die Aufprallenergie abgebaut, was die Insassen besser schützt." Lund verweist auf die US-Unfallbilanz - die Todesrate in kleineren, leichteren Modellen sei im Jahr 2006 fast doppelt so hoch gewesen wie in größeren Fahrzeugen.

Erstaunlich sicher: der Smart

"Wie sicher ist ein Kleinwagen wie der Smart?" - das ist laut Adrian Lund die große Frage der US-Verbraucher. Mit einem ausgezeichneten IIHS-Crashtestergebnis hatte der Autozwerg vor wenigen Monaten alle Skeptiker überrascht. Der kleinste Wagen auf amerikanischen Straßen schnitt im Front- und Seitencrash genauso gut ab wie ein BMW X5, der fast dreimal so schwer ist.

Auch in Europa verlassen sich die Käufer auf Crashtestergebnisse und setzen bei Kleinwagen mittlerweile ein hohes Sicherheitsniveau voraus. Tatsächlich hat sich seit der Einführung des New Car Assessment Programme - kurz: EuroNCAP - 1997 in puncto Insassenschutz viel getan. Noch im Jahr 2000 kollabierte zum Beispiel die Fahrgastzelle eines Fiat Seicento beim Crashtest: Ohne Airbag krachte der Dummy kaum gebremst ins Lenkrad, was im realen Leben akute Lebensgefahr bedeutet hätte. Die Folge war die Abwertung des 3,34-Meter-Wägelchens auf nur einen Stern und Kaufzurückhaltung bei den Kunden.

Der neue Fiat 500 erfreut sich hingegen größter Beliebtheit - auch weil er als eines der sichersten Autos seiner Klasse ausgezeichnet wurde. Eine Armada von Airbags, 950 statt 750 Kilo Gewicht und 20 Zentimeter mehr Außenlänge als beim Seicento sollen die Passagiere schützen. Prallt der Kleine jetzt im Offset-Crash mit 64 km/h auf einen Betonblock, bleibt die Verletzungsgefahr relativ gering. Moderne Technik scheint die massigen Knautschzonen überflüssig zu machen - fünf Sterne legen nahe, dass die Knutschkugel sehr sicher ist. Doch Notärzte und Unfallforscher warnen, dass Crashprogramme nur einen Ausschnitt des realen Unfallgeschehens zeigen. Gerade die Käufer von Kleinwagen würden dadurch in trügerischer Sicherheit gewiegt. "Die Verzögerungswerte in Kleinwagen sind bei Unfällen in der Regel höher, deshalb müssen wir einen stärkeren Partnerschutz gesetzlich vorschreiben", fordert Jeffrey S. Augenstein.

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Der Leiter des William Lehmann Injury Research Center in Miami weiß aus Erfahrung, dass es in der Praxis keine Chancengleichheit gibt. Bei Kollisionen mit Geländewagen kommt es immer wieder zum Ride-over, also zum Überfahren des niedrigeren Fahrzeugs. Selbst wenn die Fahrgastzelle eines Kompaktautos stabil bleibe, berge eine solche Kollision das höchste Verletzungsrisiko, weil der kleinere Unfallpartner wesentlich stärker gebremst und zurückgeschleudert werde.

Kampf David gegen Goliath: Der Fiat 500 hatte beim Zusammenstoß mit einem Audi Q7 keine Chance. (Foto: Foto: ADAC)

Die Vorstellung eines drei Meter kurzen Super-Minis behagt dem Traumatologen deshalb gar nicht: "Wir dürfen den Abbau der Aufprallenergie nicht noch weiter vom Vorderwagen in den Innenraum verlagern", warnt Augenstein, "das kann besonders bei Kindern und alten Leuten zu lebensgefährlichen Belastungsspitzen führen."

Viele Passagiere empfinden bereits eine Vollbremsung mit 0,9 g als höchst unkomfortabel. Beim Crashtest werden die Dummys aber auf Werte von über 40g beschleunigt - mehr als die doppelte Kraft eines Schleudersitzes. Während große Fahrzeuge dank ihrer Masse in der Regel langsamer zum Stillstand kommen und ihren Passagieren extreme Lastspitzen ersparen, müssen kleinere Unfallgegner die Energie viel schneller abbauen.

Was das bedeutet, zeigte ein Kompatibilitäts-Crash des ADAC zwischen einem Audi Q7 und dem neuen Fiat 500. Bei dem Frontalaufprall waren beide Unfallgegner jeweils 56 km/h schnell - doch der Geländewagen brachte mehr als die doppelte Masse mit. Im Crash-Video scheint der 2,4-Tonner nahezu ungebremst durch den Fiat hindurch zu fahren. Tatsächlich hatte sich der steife Längsträger des Q7 fast unverformt durch die Fahrgastzelle des City-Flohs gebohrt.

Mit fatalen Folgen: Die Insassenbelastung fiel im Fiat extrem hoch aus, Rückhaltesysteme wie Kopf- und Knieairbag waren überfordert. Der Fahrerairbag des Kleinwagens konnte einen gefährlichen Kopfkontakt mit der A-Säule und einen Lenkradkontakt mit der Brust nicht verhindern. Der Lenkrad-Airbag platzte, kurz nachdem er seine Hauptarbeit geleistet hatte. Die im Nacken des Fahrers gemessene Kraft lässt auf ein sehr hohes, wenn nicht sogar lebensbedrohliches Verletzungsrisiko im Fiat schließen. Extrem hohe Belastungen im Bein- und Beckenbereich würden in der Realität zu schwersten Verletzungen führen. "Besonders tragisch ist jedoch, dass aufgrund des fehlenden Partnerschutzes des Audi keines der beiden Kinder auf dem Rücksitz des Fiat diesen Unfall unbeschadet überleben würde", heißt es im Untersuchungsbericht des ADAC. Und weiter: "Dagegen liegen die Verletzungsrisiken im Audi Q7 für alle Passagiere auf einem eher geringen Niveau."

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Europas größter Automobilclub fordert einen Partnerschutz-Crashtest im gesetzlichen Zulassungsverfahren neuer Automobile. Da die bürokratischen Mühlen langsam mahlen, wird zunächst das EuroNCAP-Programm überarbeitet, an dem der ADAC aktiv beteiligt ist. "Die Autohersteller werben gerne mit ihren Fünf-Sterne-Ergebnissen", betont Volker Sandner, "doch beim Crashtest stand bisher der Insassenschutz des jeweils geprüften Fahrzeugs im Vordergrund. Künftig wird der Partnerschutz auch in Hinblick auf die Fußgänger stärker berücksichtigt", so der Fachbereichsleiter Passive Sicherheit im ADAC-Technikzentrum Landsberg.

Schmerzvoll: Bei einem Crashtest des ADAC zeigte sich, dass der Renault Laguna - bei EuroNCAP-typischen 64 km/h sicher - bei 80 km/h keinen Schutz mehr bietet. (Foto: Foto: ADAC)

Von Februar 2009 an wird der Fußgängerschutz integraler Bestandteil der Testergebnisse sein, statt wie bisher als Extrawertung nebenher zu laufen. "Wir werden nächstes Jahr die wichtigsten Crashtests von 2008 anhand des neuen Bewertungssystems wiederholen", kündigt Sandner an, "dann könnten die Fünf-Sterne-Ergebnisse des Golf VI, Audi A4, Ford Kuga, Renault Koleos oder Skoda Superb anders aussehen."

Als EuroNCAP von europäischen Verkehrsministerien, Automobilclubs und Versicherungsverbänden gegründet wurde, schien ein Crash-Ergebnis mit fünf Sternen völlig unerreichbar. Zehn Jahre später haben 97 Prozent der getesteten Fahrzeuge den Maximalwert oder zumindest vier Sterne erreicht. Doch beim Fußgängerschutz schneiden noch immer zwei Drittel mit mageren zwei Sternen ab.

Warum die Hersteller trotz steigender gesetzlicher Auflagen beim Partnerschutz hinterherhinken, wird mit unterschiedlichen Crashanforderungen erklärt. "Große Fahrzeuge müssen beim Offset-Crash mit einem Teil der Fahrzeugfront viel Energie abbauen und entsprechend steif sein", heißt es in der Branche hinter vorgehaltener Hand, "wenn wir solche Modelle langsamer in den Frontalcrash schicken könnten, dann wären wir in der Lage, den Vorderwagen für den Partnerschutz weicher zu gestalten. Über diesen Punkt führen wir Gespräche mit EuroNCAP."

Bis die Blechgebirge weicher werden, sollten sich Kleinwagenfahrer besser nicht auf das Kräftemessen einlassen. Der sicherste Schutz ist nach wie vor die Unfallvermeidung. Deshalb gibt es bei EuroNCAP fünf Sterne künftig nur noch, wenn ESP europaweit als Basisausstattung an Bord ist. Allein in Deutschland ließen sich so rund 38.000 Verkehrsunfälle pro Jahr vermeiden.

© SZ vom 31.10.2008/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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