Viereinhalb Kilo ist dieses Buch schwer und damit im doppelten Sinn gewichtig, denn auch was drinsteht, entzieht sich der Norm. Der monumentale Band mit dem Titel "1000 Kilometer Rennen" von Jan Hettler und Udo Klinkel widmet sich - in limitierter Auflage von 1000 Stück - auf 744 Seiten und mit einigen Hundert Fotos einem der berühmtesten Sportwagenrennen, das es je gab. Es lief von 1953 bis 1983 auf der legendären Nürburgring-Nordschleife und gilt als Klassiker. Genau wie Mille Miglia, Targa Florio oder die 24 Stunden von Le Mans.
Das Buch ist ein Nachruf, das 1000-Kilometer-Rennen gibt es nicht mehr. Es starb, als der neue, kurze Nürburgring entstand. Diese moderne Piste konnte freilich nicht den Hauch jener Faszination bieten, die der alte Ring verströmte. Mit seiner Rundenlänge von 22,8 Kilometern, mit seinem wilden Bergauf und Bergab, mit dem Stakkato von Bögen und Kehren, mit den Sprunghügeln, Bodenwellen und der schier unendlichen Vollgasgeraden "Döttinger Höhe". Kein Zweifel: Dieser 1927 entstandene Eifel-Kurs bleibt weltweit einmalig, bis heute.
Beim 1000-Kilometer-Rennen fuhr die Weltelite
So war es gar nicht verwunderlich, dass nach dem Abschied des 1000-Kilometer-Rennens von der Nordschleife die Popularität des 24-Stunden-Rennens für Tourenwagen anstieg. Trotzdem ist diese bunte Gaudi, wo Schauspieler starten und bei manchen Autos ein Fuchsschwanz an der Antenne weht, kaum mit dem Rang der ehemaligen 1000-Kilometer-Rennen zu vergleichen. Da fuhr die Weltelite. Da konkurrierten Werkswagen von Ferrari, Porsche, Alfa Romeo, Ford. Die heutigen "24 Stunden" sind dagegen ein automobiles Volksfest. Man darf sich fragen, ob der veranstaltende ADAC nicht einen Fehler beging, als er die "1000 Kilometer" auf der Nordschleife sterben ließ. Sie waren ein Begriff, geradezu ein Markenzeichen.
So bleibt vorerst die Erinnerung, auch die ganz persönliche des Chronisten. Ich habe ab 1956 die meisten dieser Rennen zunächst als Fan, als Zuschauer erlebt, beseelt von dem heimlichen Wunsch, da irgendwann mal selbst mitzufahren. Und das glückte dann auch. Zwölf Mal war ich dabei.
Journalisten als Rennfahrer
Nun ist es ja nicht ungewöhnlich, dass Journalisten Rennen fahren. Das geschieht heute in jedem Markenpokal. Früher war das seltener der Fall. Aber es gab Journalisten, die exzellente Rennfahrer waren. Paul Frère zum Beispiel, immerhin Le-Mans-Gesamtsieger und Formel-1-Fahrer bei Ferrari. Ebenso Richard von Frankenberg oder Rico Steinemann. Auch Christian Danner und Klaus Niedzwiez gehören zu denen, die beide Seiten kennen. Aber ich habe festgestellt, dass diese doppelt Begabten stets voll in die Rennwelt eintauchten - cool, glatt, und rennmäßig professionell. Bei mir war es eher umgekehrt. Ich habe im Cockpit mit geradezu kindlichem Staunen all das aufgesogen, was um mich herum auf der Piste geschah. Für mich war das nie Normalität, sondern tolles Erleben, eine Geschichte eben.
Ein Beispiel. Start zum 1000-Kilometer-Rennen 1978. Die Meute braust durch die Südkehre. Vorn ziehen ein paar Turbo-Porsches weg: Wollek, Ickx, Ludwig. Nicht weit vor mir - ich lag wohl so an zehnter Stelle - Peterson, Stuck, Jöst, Grohs, Heyer. Neben mir drängt sich Brambilla vorbei. Hinter mir die Schnauzen eines wilden Pulks.
Allerdings lernte ich so auch Demut, auf sehr eindrucksvolle Art. Nürburgring-Runden sind - ich kann es nicht anders ausdrücken - wie ein Tanz auf dem Hochseil. Ein Fehler - und es wird lebensgefährlich; denn hier gab (und gibt) es kaum Auslaufzonen. Demut war das eine, die Hochachtung vor dem, was die Profis dort abzogen, das andere. Fahrer wie Jacky Ickx, Hans-Joachim-Stuck, Stefan Bellof, Niki Lauda boten pure Artistik am Lenkrad! Und zwar zu Zeiten, als Sicherheit auf und neben den Pisten als eine Posse für Weicheier galt.
Ich lernte, diese Leistungen einzuschätzen. Hier ist so ein Lehrstück. Streckenteil "Hohe Acht", es mag Anfang der Siebzigerjahre gewesen sein: Im Spiegel taucht Niki Lauda auf. Ich mache vor "Eschbach" artig Platz. Er schießt vorbei, und dann werde ich - sozusagen im ersten Rang sitzend - Zeuge einer schier irrwitzigen Fahrzeugbeherrschung. Das BMW-Alpina-Coupé tanzt förmlich auf der Strecke! Und zwar ständig quer - solange er in meinem Sichtfeld bleibt. Ein Logenplatz der ganz besonderen Art.
Noch so ein Fall. 1000-Kilometer-Rennen 1981: Manfred Winkelhock ist auf einer schnellen Runde im Abschlusstraining. Hinter dem "Pflanzgarten" überholt er. Kurz danach folgt ein Zehn-Meter-Sprung! Ich sehe seinen Turbo-Capri mit allen Rädern hoch in der Luft, dann quer aufsetzen und schlingernd in Richtung "Schwalbenschwanz" driften. Später spreche ich ihn im Fahrerlager an: "Mannomann. Da warst du aber fast am Rausfliegen." Winkelhock erstaunt: "Wo denn?" Ich schilderte mein Seh-Erlebnis. Darauf er: "Du, das war völlig normal. Das ging die ganze Runde so."
Ebenso attraktiv wie der Grand-Prix der Formel 1
Warum waren diese 1000-Kilometer-Rennen etwas so Besonderes? Weil das Rennen "ein gewisses Etwas" besaß. Weil die Nürburgring-Nordschleife so lang, so schwierig und so gefährlich ist wie keine andere Piste. Ihr Achterbahn-Charakter stellte für jeden Piloten eine Herausforderung dar, der sich alle gern stellten. Trotz der vielen Todesstürze über die dreißig Jahre, die es in den Rennen gab.
Gewöhnlich lockte das Spektakel 150 000 bis 200 000 Zuschauer an. Damit waren die 1000 Kilometer für Sportwagen ebenso attraktiv wie der Grand-Prix der Formel 1. Das hatte Gründe. Zunächst fuhren viel mehr Teilnehmer - 60, 70, 80 Rennsportwagen und Prototypen. Das Rennen dauerte sechs Stunden, Fahrerwechsel waren Pflicht, und die Felder ungeheuer bunt gemixt. Ferrari, Alfa Romeo, Aston Martin, Matra, Maserati, Jaguar, Ford GT 40 und sämtliche Porsche-Typen waren dabei: 356, 908, 910, 917, 935, 936, 956. Und selbst die Winzlinge von Abarth, Lotus und Rudel diverser Tourenwagen - sofern sie sich qualifizieren konnten. Zwölfzylinder, Achtzylinder, Sechszylinder, dumpf röhrende Turbos und hochdrehende Saugmotoren - ein Divertimento unterschiedlichster Sounds hallte jeweils tagelang durch die Eifelwälder.
Selbst der amtierende Formel-1-Champion war am Start
Und kein Fahrer der Weltelite fehlte, auch nicht die Formel-1-Piloten. Es ist bezeichnend, dass selbst beim letzten 1000-Kilometer-Rennen 1983 mit Keke Rosberg der amtierende Formel-1-Champion dabei war. Und so war es auch schon in den Jahren zuvor. Die Liste der Piloten liest sich wie ein Lexikon der Stars: Fangio, Ascari, Farina, Taruffi, Moss, Hawthorn, Brabham, Phil Hill, Graham Hill, Clark, Surtees, Rindt, Lauda, Bandini. Natürlich auch Jacky Ickx, Ronnie Peterson, Vic Elford, Jo Siffert und, und, und. Die deutschen Asse wie Graf Trips, Stuck, Mass, Hermann, Mitter, Stommelen, Röhrl, Ahrens, Ludwig, Heyer sowieso. Keinen störte, dass es rund um die Nürburg kaum Hotels gab, man meistens privat in einem der Dörfer übernachtete und nicht selten bis zum Morgengrauen feierte. Der asketische Professionalismus der heutigen Fahrergeneration war den Heroen von einst noch fremd. Und so mancher Pilot sank nach durchzechter Nacht erst früh morgens ins Bett, als die ersten Zuschauer am Renntag schon ihre Plätze bezogen.
Die 1000-Kilometer-Rennen sind oft beschrieben worden. Aber nie so gebündelt, so korrekt, so akribisch mit allen Ergebnissen, Ausfällen, Trainingszeiten, Teilnehmerlisten wie in diesem Buch. Solch einen XXL-Band können nur wahre Enthusiasten bewältigen. Und das sind die Autoren Jan Hettler aus München und Udo Klinkel aus Landshut. Sie haben sich fast zehn Jahre lang dieser Mammutaufgabe verschrieben und eine begeisternde Monografie geschaffen, eine Instanz in Buchform. Dieses Werk wird für Fans und Historiker seinen Rang behalten. Als Nachschlagewerk für Autosammler in aller Welt und als Rarität für Bibliophile mit Benzin im Blut.