Konzernabend vor dem Genfer Autosalon:VW wird bescheidener - und digitaler

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Vorstandschef Matthias Müller beim VW-Konzernabend vor dem Genfer Autosalon. (Foto: Uli Deck/dpa)
  • Volkswagen trat bei seinem Konzernabend vor dem Genfer Autosalon diesmal bescheidener auf als früher.
  • Im Mittelpunkt stand die neue Digitalstrategie des Konzerns, die von Johann Jungwirth vorgestellt wurde.
  • VWs "Head of Digital Transformation" zufolge will der Hersteller in fünf bis sieben Jahren selbstfahrende Autos ohne Lenkrad bauen.

Von Thomas Fromm, Genf

Eine Welt, in der sich alle nur noch duzen, wäre das nicht die perfekte, die bessere Welt? Eine Welt ohne Hierarchien, eine Welt, in der alle gleich sind? Johann Jungwirth steht jetzt an einen Tisch gelehnt, bekommt einen Teller vom "Flying Buffet" gebracht (so heißt das hier, wenn einem jemand ein Schälchen Ravioli in die Hand drückt) und sagt: "Ich möchte, dass wir uns hier alle duzen, lasst uns das 'Sie' einfach abschaffen."

Jungwirth, den sie hier alle "JJ" nennen, hat lange für Daimler und Apple im Silicon Valley gearbeitet, und in einer Gegend, in der die Sprache eh kein 'Sie' vorgesehen hat, ist es natürlich einfach, sich zu duzen. Seit dem vergangenen Herbst aber ist Johann "JJ" Jungwirth "Head of Digital Transformation" bei Volkswagen, in einem Konzern also, in der ein Chef bis vor kurzem noch mit "Herr Professor" angesprochen wurden. Wenn überhaupt: Von dem früheren Aufsichtsratschef und Konzernpatriarchen Ferdinand Piëch hieß es manchmal, dass es Leute gebe, die ihn am liebsten gar nicht direkt angesprochen haben. Aus Furcht. Oder Ehrfurcht. Je nachdem.

Jetzt also kommt JJ und will sie alle duzen. Der Wolfsburger Reformator.

Johann Jungwirth hatte beim Konzernabend seinen ersten großen Auftritt in VW-Diensten. (Foto: dpa)

Es war im Oktober, und VW steckte seit ein paar Wochen in der Diesel-Affäre fest, da soll der damals neue Konzernchef Matthias Müller Jungwirth an einem Flughafen getroffen haben. Eine Stunde Gespräch, da war die Sache klar: JJ wechselt von Kalifornien nach Niedersachsen. Einen, von dem es heißt, dass er bei Apple an selbstfahrenden Elektroautos gearbeitet hat, konnte man in dem Konzern, der vor lauter Diesel-Abgasen den Überblick verloren hatte, gut gebrauchen. Es musste ja irgendwie weitergehen.

Alles etwas kleiner als früher

Am Montagabend also der erste große Auftritt im Konzern. Es ist Automesse in Genf, VW lädt zur Vorabendparty, und alles soll kleiner sein als in den vergangenen Jahren, als man noch mit viel Bombast und Lichteffekten vor 2000 Menschen seine Autos auf die Bühne rollte. Heute sind noch ein paar Hundert Gäste übrig von einst, ein kleines Loft am Genfer Flughafen statt Megahalle. Draußen vor dem Eingang landet gerade eine Etihad-Maschine, Kerosingeruch im Spätwinternebel, drinnen im Loft wird eine neue Bescheidenheit zelebriert. Der alte VW-Zirkus ist tot, jetzt steht das Ganze unter dem Motto: "Get closer". Was sonst. In solchen Zeiten rückt man bei VW ja eh automatisch zusammen.

Früher war das hier die große Bühne, und die Menschen die Zuschauer einer großen VW-Show. Jetzt steht VW-Chef Müller bühnenlos auf gleicher Höhe mit dem Publikum, spricht vom großen Aufbruch des Konzerns, und übergibt dann das Wort. "Johann, die Bühne gehört dir."

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Beim Genfer Salon geht es wie immer darum, große, teure und PS-starke Spritfresser zu beweihräuchern. Dabei sollte eigentlich der kleinste Elektrowagen gefeiert werden.

Kommentar von Thomas Fromm

Diesel-Affäre? Skandal? Rückrufaktionen? Sammelklagen? Stress in den USA? Alles gut und schön, aber der Blick muss auch mal nach vorne gehen. Heute ist Silicon Valley in Sicht, und der 42-jährige Chefdigitalisierer Jungwirth sagt: "Schön, dass ihr hier seid." Der Mann könnte natürlich Adidas-Latschen tragen und ein graues T-Shirt, aber so weit ist es noch nicht. JJ trägt blaues Hemd und graue Hose. Aber sonst klappt das schon ganz gut mit Kalifornien: In fünf bis sieben Jahren will er bei VW selbstfahrende Autos ohne Lenkrad bauen. Autos, die einen morgens von zu Hause abholen und abends wieder heimbringen. Und nach der Nach-Hause-Fahrt dann diskret verschwinden, um morgens wiederzukommen.

Heute Diesel-Skandal, morgen selbstfahrende Autos

Jungwirth zeigt eine Straßenszene in Berlin. Vorher, also heute: Die Straßenränder voller geparkter Autos. Nachher: Alle Autos weg. In der Ära der selbstfahrenden Vehikel gibt es wohl nur noch Durchgangsverkehr. Bleibt die Frage: Wo sind sie denn alle hin, die autonomen Autos, wenn es Nacht wird in Berlin? An den Stadtrand? In Luft aufgelöst? Ab nach Kalifornien? Komisch. Nur so viel: Das Leben wird anders, wenn unser Auto zu unserem Freund wird, wenn wir morgens mal kurz mit ihm reden und ihm einen Namen geben.

Anders als heute. Noch ist es ja nicht so weit mit der schönen neuen Autowelt; noch hat VW eine Menge Probleme mit elf Millionen Dieselfahrzeugen, in denen eine betrügerische Software steckt, mit der bei Abgasmessungen manipuliert wurde. Aber irgendwann soll das alles ausgestanden sein. Und dann wäre es schön, wenn es so käme, wie Jungwirth es plant. Die Botschaft von Genf: VW, jener Konzern, den sie in den USA gerade mit Milliardenklagen verfolgen und in die Zange nehmen, möchte anders sein. Am liebsten ein bisschen so wie Jungwirth.

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