IAA 2009: Elektromobilität:Die allgegenwärtige E-Frage

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Auf der IAA verwirren viele unterschiedliche Konzepte für künftige Antriebe - eine Standortbestimmung

Joachim Becker

Deutschland soll zum Leitmarkt für Elektromobilität werden - und die 63. IAA scheint die Pläne der Bundesregierung bereits vorwegzunehmen. Die Messe verwirrt mit vielen, unterschiedlichen Batterie-, Hybrid-, Plug-in-Hybrid- oder Range-Extender-Konzepten. Doch die grüne Revolution muss ihre Kunden erst noch gewinnen.

Auch wenn manche von futuristischen Elektro-Kabinenrollern mit dünnen Riesenrädern träumen: Die meisten Autokäufer wollen auf Sportlichkeit, Komfort und Platzangebot nicht verzichten. Daher stehen in Frankfurt traditionelle PS-Boliden neben Ein-, Zwei- und Dreiliter-Autos. "Für 2025 werden in Europa Marktanteile für Elektrofahrzeuge zwischen 14 und 53 Prozent prognostiziert. Zehn Prozent Anteil entsprächen in Europa etwa 20 Millionen Fahrzeugen. Ich halte solche Zahlen schlicht für falsch", warnt Daimler-Forschungschef Thomas Weber.

Mercedes-Benz präsentiert in Frankfurt den Vision S 500 Plug-in Hybrid als erstes Oberklassemodell in der Kategorie Dreiliter-Auto. Die Antriebsalternative zu bisherigen Luxuslimousinen kann sowohl Super als auch Strom an der Steckdose tanken. Mit der Kraft der zwei Herzen beschleunigt das Anti-Verzichtsmodell in 5,5 Sekunden auf 100 km/h. Obwohl der V6-Benziner der nächsten Generation auf der Autobahn 250 km/h im Dauerbetrieb schafft, begnügt sich die Studie mit einem Normverbrauch von 3,2 Liter Benzin. Natürlich werden bei Vollgas weiterhin mehr als zehn Liter durch die Direkteinspritzung rauschen.

Auf einen zertifizierten CO2-Ausstoß von 74 g/km kommt die Studie nur, weil das Hybridmodul mit zirka 44 kW (60 PS) Leistung bis zu 30 Kilometer im reinen Batteriebetrieb fahren kann. Die Kapazität des Akkus ist mit 10 kWh mehr als zehnmal so groß wie beim bereits serienmäßig verfügbaren S 400 Hybrid, der sich nicht an der Steckdose laden lässt. Dafür wiegen allein die Energiespeicher im S 500 Plug-in 130 Kilogramm und kosten derzeit mindestens 5000 Euro extra.

Nicht weniger aufwendig ist die Plug-in-Strategie des Opel Ampera. Die Räder des kompakten Viertürers werden bei jedem Tempo rein elektrisch angetrieben. Opel rechnet damit, dass die Mehrzahl der Ampera-Fahrer den zusätzlichen Vierzylinder-Benziner an Bord kaum nutzen wird: "Mehr als 80 Prozent der Deutschen sind pro Tag weniger als 50 Kilometer unterwegs und kommen deshalb allein mit Strom ans Ziel", meint Gherardo Corsini, der die Ampera-Aktivitäten in Europa leitet.

Wenn der etwa 180 Kilogramm schwere Lithium-Ionen-Speicher leer ist, startet ein 1,4 Liter großer Benziner. Der Verbrenner kann die Räder nicht direkt antreiben, sondern dient als Generator für den Elektroantrieb. Mit einer Systemleistung von 111 kW (150 PS) und einem Drehmoment von 370 Nm beschleunigt der Opel zwar in rund neun Sekunden von null auf 100 km/h. Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 161 km/h ist allerdings Schluss.

Verzicht verkauft sich bislang schlecht, deshalb setzen viele Hersteller auch künftig auf Fahrspaß ohne Reue. Anfang 2011 wird Peugeot etwa zeitgleich zum Ampera-Start den Crossover 3008 Hybrid4 auf den Markt bringen. Die Kombination aus Diesel- und Elektromotor ist zwar teurer als bisherige Benzin-Hybride. Dafür kommen die Franzosen mit einem 120 kW (163 PS) starken Selbstzünder auf einen Normverbrauch von lediglich 3,8 Liter (CO2: 99 g/km). Auch die Studie des 2+2-sitzigen RCZ Coupés nutzt den Hybrid4-Antriebsstrang: Sein 2,0-Liter-Diesel kooperiert mit einem 27 kW (37 PS) starken Elektromotor an der Hinterachse.

Alle Elektrokomponenten passen relativ problemlos in bestehende Mittel- und Oberklassefahrzeuge von Peugeot. Dank dieser Baukastenstrategie kann die Löwenmarke aktuelle Modelle relativ zügig nachrüsten und den Aufpreis auch für die Kunden bei moderaten 4000 Euro halten - inklusive Allradantrieb, der bei Wettbewerbern allein schon rund 2000 Euro kostet. Mit seinen Nickel-Metallhydrid-Batterien kommt der RCZ im Elektromodus aber nur 4,5 Kilometer weit.

BMW beschreitet bei der Vision EfficientDynamics eines 2+2-Sitzers den entgegengesetzten Weg und schneidert einem völlig neuen Mittelmotor-Konzept eine futuristische Sportwagenkarosserie auf den Leib. Weil über der Vorderachse nur ein Hybrid-Synchronmotor samt Leistungselektronik werkelt, kann die Fronthaube des 262 kW (356 PS)-Renners extrem niedrig ausfallen. Den Platz vor der Hinterachse teilt sich ein verbrauchsarmer Dreizylinder-Turbodiesel mit einem Full-Hybrid-System. Trotz der 98 Lithium-Polymer-Zellen, die in einigen Jahren eine vollelektrische Reichweite von bis zu 50 Kilometer ermöglichen sollen, liegt das Leergewicht bei lediglich 1395 Kilo.

Hybrid für alle, die keinen Diesel mögen oder Abstriche bei der Reichweite machen wollen - das könnte in wenigen Jahren automobiler Mainstream werden. Mit der Serienerfahrung von mittlerweile zwei Millionen Hybridfahrzeugen liegt Toyota für die Elektro-Zukunft gut im Rennen. Der Auris Hybrid zielt ab 2010 genauso auf den europäischen Massenmarkt wie das kompakte Lexus LF-Ch Concept. Damit kommt der Hybrid endgültig aus der Öko-Nische. Zumindest der Auris HD wird nicht in Japan, sondern in England produziert und erlaubt dadurch ein wesentlich individuelleres Ausstattungsangebot als beim Toyota Prius. Wenn die Japaner ihre jüngsten Hybride relativ günstig anbieten, könnten die Verkaufszahlen über 10.000 Stück pro Jahr in Deutschland steigen - und der CO2-Flottenwert von 140 g/km zügig weiter sinken.

© SZ vom 16.9.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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