Ermittlungen:VW-Affäre: Chronologie einer dreckigen Masche

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Die Manipulationen beim Volkswagenkonzern begannen schon vor Jahren. (Foto: dpa)
  • Eric Schneiderman, der Chefermittler des Bundesstaates New York, breitet auf 90 Seiten aus, wie sich VW in ein Lügengespinst verstrickte.
  • Die erste Manipulation gab es demnach Ende der Neunziger Jahre bei Audi.

Von Claus Hulverscheidt

Unter den literarischen Werken, die als fesselnde Ferienlektüre taugen, nehmen Klageschriften amerikanischer Generalstaatsanwälte für gewöhnlich keinen vorderen Platz ein. Was Eric Schneiderman, der Chefermittler des Bundesstaates New York, jedoch über den Hergang des VW-Abgasskandals zusammengetragen hat, liest sich an vielen Stellen spannender als jeder Wirtschaftskrimi: Auf 90 Seiten wird dort ausgebreitet, wie sich ein zunächst ruch- und später hilfloser Traditionskonzern in ein Lügengespinst verstrickte, das ihn immer noch die Existenz kosten kann.

Laut Schneiderman begann die Geschichte der Defeat Devices - des Einsatzes illegaler Software zur Verschleierung eines Gesetzesverstoßes also - bei Volkswagen "spätestens" Ende der 1990er-Jahre. Damals hatten die Ingenieure der Konzerntochter Audi eine Technologie mit dem Namen Pilot-Einspritzung entwickelt, die sie in den Drei-Liter-Motoren ihrer großen Luxus-Wagen erstmals einsetzen wollten. Die Technik sorgte dafür, dass jenes hässliche Klappern unmittelbar nach dem Anlassen des Motors, für das Diesel-Pkws damals berüchtigt waren, eliminiert wurde.

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Die blaue Plakette soll dabei helfen, schlechte Luft in Innenstädten zu bekämpfen. Berlin, München und Stuttgart befürworten den Plan - dort ist die Stickoxid-Belastung besonders hoch.

Die Sache hatte jedoch einen Haken: Die Pilot-Einspritzung erhöhte den Schadstoffausstoß - und zwar über die damals in Europa geltenden gesetzlichen Obergrenzen hinaus. Dennoch setzte Audi die neue Technik vom Modelljahr 2004 an in allen Sechs-Zylinder-Diesel-Pkws ein. Um zu verhindern, dass die Behörden Wind von der Sache bekamen, programmierten die Techniker die Abgasanlage so, dass sich die Pilot-Einspritzung automatisch abschaltete, sobald das Auto auf einem Prüfstand war. Fuhr es dagegen auf der Straße, blies der Motor ungehindert Schadstoffe in die Luft. Das erste Defeat Device, wie Schneiderman schreibt, war geboren.

Das zweite Defeat Device

Mehr oder weniger parallel arbeiteten die Techniker der Schwestermarke VW an einem Motor für den US-Markt, wo für Diesel-Pkws schon damals strengere Abgasgrenzen als in Europa galten. Neuester technischer Stand war seinerzeit das vom Konkurrenten Mercedes vorangetriebene SCR-Verfahren, bei dem kleine Mengen einer Harnstofflösung in den Abgasstrom gesprüht werden. Mit ihrer Hilfe verwandeln sich schädliche Stickoxide letztlich in Wasser und harmlosen Stickstoff. Um die Technik einsetzen zu können, müssen die Autos allerdings mit einem Harnstofftank ausgestattet werden - was VW nicht wollte.

Stattdessen setzten die Wolfsburger auf die einfachere "Lean-Trap"-Technologie, bei der allerdings so viel Ruß produziert wird, dass der entsprechende Filter zu häufig hätte ausgetauscht werden müssen. Zugleich drängte die Firmenleitung ihre Ingenieure jedoch, den Motor endlich fertigzustellen. In ihrer Not erinnerten sich die VW-Techniker an ein Verfahren, das schon andernorts im Konzern alle Probleme im Handstreich gelöst zu haben schien: die illegale Audi-Software. Vom Modelljahr 2009 an steckte diese somit auch in allen Diesel-Pkws, die Volkswagen in den USA verkaufte - das zweite Defeat Device.

Bei Audi hatte man sich derweil mit der SCR-Technik angefreundet, doch es gab neue Probleme: Wegen der strengen Grenzwerte hätten die Drei-Liter-Modelle der Ingolstädter in Nordamerika mit größeren Harnstofftanks ausgestattet werden müssen als in Europa. Doch dafür fehlte der Platz. Also griff man auf die bewährte Software-Lösung zurück und erfand das dritte Defeat Device: War das Auto auf dem Prüfstand, wurde die richtige Menge Harnstoff eingespritzt, fuhr es auf der Straße, war es nur ein Bruchteil davon. Wie von Zauberhand war der Tank plötzlich groß genug.

In der Folge wurden die verschiedenen Softwarecodes stetig angepasst und weiterentwickelt. So einfach schien das Leben zu sein, so groß waren die Verkaufserfolge, dass auch die 2010 hinzugekommene Konzerntochter Porsche auf die Vorarbeiten der Schwestern Audi und VW zurückgriff.

Insgesamt kommt Schneiderman bis zum Modelljahr 2015 auf fast 590 000 Autos mit sechs unterschiedlichen Defeat Devices, die der Volkswagen-Konzern Amerika bescherte. Unternehmensweit, so der Generalstaatsanwalt, waren "unterschiedliche Ingenieurs- und Testteams beteiligt, die in unterschiedlichen Fabriken sowohl in Deutschland als auch in den Vereinigten Staaten arbeiteten und illegale Defeat Devices in mehr als ein Dutzend US-Modelle von Audi, Volkswagen und Porsche mit Zwei- und Drei-Liter-Motoren einbauten". Und von all dem soll in den Vorstandsbüros niemand etwas gewusst haben? Schneiderman verkneift sich direkte Schuldzuweisungen an einzelne Top-Manager, aber seine Botschaft zwischen den Zeilen ist unmissverständlich: Ich glaube euch kein Wort!

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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