Fahrschulen:TÜV und Dekra bremsen E-Autos aus

Verordnung zeigt Platz für Fahrprüfer.

Prüfer von TÜV und Dekra lassen Fahrschüler durchfallen oder bestehen. Eine Verordnung sorgt dafür, dass Fahrprüfer hinten rechts im Auto stets bequem sitzen.

(Foto: Illustration: SZ Grafik)
  • Fahrschulen in Deutschland setzen nur selten E-Autos ein.
  • Das liegt auch an den Vorgaben in Sachen Komfort, die bei Fahrprüfungen durch TÜV und Dekra für die Autos gelten.
  • Ein weiteres Problem ist, dass Elektroautos kein Getriebe haben, bei dem man das Schalten lernen muss.

Von Hendrik Munsberg

Rainer Zeltwanger, 62, ist waschechter Schwabe. Er mag Menschen und Autos. Am liebsten beobachtet er, wenn Menschen sich zum ersten Mal hinters Lenkrad eines Elektro-Autos setzen. "Ich erleb's immer wieder", freut er sich. Vor dem Start seien die meisten skeptisch. "Und hinterher steigen sie mit einem Grinsen im Gesicht wieder aus und sagen: Ach, war das schön, der ist so leise und angenehm im Fahren."

Zeltwanger ist Fahrlehrer, er betreibt eine Fahrschule in Stuttgart. Seit Jahrzehnten trainiert er angehende Automobilisten für die Führerscheinprüfung, vor einiger Zeit bekam er "die Ehrennadel für 30 Jahre". Und Zeltwanger ist Vorsitzender des Bundesverbands deutscher Fahrschulunternehmen (BDFU), von denen es zwischen Flensburg und Garmisch etwa 12 000 gibt.

Doch da ist etwas, das den Verbandschef mächtig ärgert. In Deutschland, so findet er, kommt es noch immer viel zu selten vor, dass Fahrschüler glücklich lächelnd aus E-Autos steigen. Nur ein "einstelliger Prozentsatz" aller Fahrschulen setze heute E-Autos ein. Dabei sind Elektroantriebe gerade für Fahranfänger wie geschaffen: Es gibt nur vorwärts und rückwärts, lästiges Schalten entfällt. Motor abwürgen ist ausgeschlossen.

Seltsam, eigentlich müsste es gerade an Fahrschulen einen Elektroauto-Boom geben. Doch Fehlanzeige. Woran liegt das?

Wird ausgerechnet in Deutschland, wo sich die Industrie bis heute mit E-Autos schwertut, nun auch an Fahrschulen der Trend verpasst? Genau diese Gefahr sieht der BDFU-Chef. Ursache seien veraltete Vorschriften, die kaum einer kennt, die aber noch immer gültig sind. Für Zeltwanger tragen sie wesentlich dazu bei, dass Fahrschulunterricht und Prüfungen auf E-Autos noch immer die Ausnahme sind. Er sei deshalb "kurz vorm Hyperventilieren". Schließlich seien einst VW Käfer und Golf nur darum so populär geworden, weil viele Menschen sie schon als Fahrschulwagen kennen und schätzen lernten.

"Der Fahrschulbetrieb auf E-Autos", beklagt der BDFU-Chef, "wird heute durch die deutsche Bürokratie systematisch gebremst, unter reger Mitwirkung von TÜVs und Dekra." Das sind jene Organisationen, die an der Sicherheit rund ums Autofahren viel Geld verdienen. Und die Einfluss auf Verordnungen und Gesetze haben.

Vor allem: TÜVs und Dekra stellen bei Fahrprüfungen den "aaSoP". So heißt im schönsten Amtsdeutsch der "amtlich anerkannte Sachverständige oder Prüfer". Das sind jene Menschen, meist Männer, die zur Fahrschulprüfung hinten rechts auf der Rückbank Platz nehmen, gern mit strengem Blick. Vor ihnen sitzt der Fahrlehrer, links daneben am Steuer der Prüfling. Doch nur einer ist der Chef: der "aaSoP". Er bricht die Prüfung ab, wenn der Fahrschüler einen Fehler zu viel begeht.

Wann kommt in Deutschland die E-Auto-Revolution? Bei solchen Vorgaben kann das dauern

Was aber kaum einer weiß: Der "aaSoP" sitzt gern bequem, sein Arbeitsplatz wurde vor Jahrzehnten vermessen, seither gibt es millimetergenaue Mindestmaße für den Raumbedarf. Diese Vorgaben gelten bis heute. Wenn Autos sie nicht erfüllen, gibt es keine Zulassung als Prüfungsfahrzeug. Etliche E-Autos haben da ein Problem.

Verordnung zeigt Platz für Fahrprüfer.

Das Bild zeigt die Normen für den "Sitzplatz des Prüfenden" auf der Rückbank.

(Foto: Illustration: SZ Grafik)

Kostprobe gefällig? Mit deutscher Gründlichkeit wurden Normen für den "Sitzplatz des Prüfenden" auf der Rückbank ermittelt. Demnach hat die "Mindestkniefreiheit" (siehe Bild, Maß L6) "mindestens 200 Millimeter" zu betragen, zugleich "muss die Rücklehne des Vordersitzes in einem Winkel von 25 Grad +/- 3 Grad zur Senkrechten (Winkel W41) eingestellt sein". Ebenso präzise Vorgaben gelten für "Fußraum" (H3, L3), "Kopfraum" (H6), "Sitzhöhe" (H4), "Rückenlehnenhöhe" (H5) und "Sitztiefe" (L4). Fixiert ist dieses Klein-Klein, samt Skizze, in der "Richtlinie für die Prüfung der Bewerber um eine Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen". Außerdem - sicher ist sicher - im "Anhang der Fahrerlaubnisverordnung".

Noch Fragen? Wann endlich kommt die E-Auto-Revolution in Deutschland? Bei solchen Regeln kann das noch dauern.

Etliche E-Fahrzeuge, etwa der populäre Renault Zoe, scheiden als Prüfungswagen aus, weil sie den "aaSoP" ungebührlich einengen; in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg wurden wenige Ausnahmegenehmigungen erteilt, aber streng befristet. Derzeit gebe es nur drei "prüfungszulässige" E-Autos, kritisiert Zeltwanger: E-Golf, Tesla S und Nissan Leaf Zero. Doch zwei davon haben für Fahrschulen gravierende Nachteile. Beim E-Golf sind es lange Lieferfristen, bei Tesla ist es der Preis zwischen 80 000 und mehr als 100 000 Euro.

Der TÜV-Verband verteidigt seinen Regulierungstrieb

Was sagen die Angegriffenen? Marc-Philipp Waschke, "Referent für Fahrerlaubnis" beim TÜV-Verband (VdTÜV), bestätigt: Nur diese drei Autotypen seien derzeit in der "Datenbank für zugelassene Fahrzeuge erfasst". Warum nur so wenige? "Einige Elektrofahrzeuge entsprechen wegen ihrer geringeren Innenraummaße nicht den Anforderungen." Es gibt aber noch ein anderes Hemmnis. Die Begutachtung der Autos als Prüfungsfahrzeuge, so Waschke, müsse von den Herstellern beauftragt werden. Volkswagen zeige sich da "stark interessiert", Firmen wie der US-Konzern Tesla weniger. Andere Unternehmen verzichten aber wohl deshalb auf Anträge, weil sie die kleinlichen Vorgaben kennen.

Für die TÜVs selbst ist fehlendes Interesse der Industrie nicht schlimm. Längst betreiben sie ein schönes Nebengeschäft. Einzelne Fahrschulen, so Waschke, können "im Wege der Einzelbegutachtung" Fahrzeugmodelle zulassen - "auf eigene Kosten", versteht sich. Der Nachteil: Alle anderen Fahrschulen haben davon nichts.

Der TÜV-Verband verteidigt seinen Regulierungstrieb. Schließlich gelte es, den Prüfern einen sicheren und "angemessenen Arbeitsplatz" zu gewährleisten. Zeltwanger hält dem entgegen: "Wenn diese Maße nicht in Ordnung wären, dürften diese Autos gar nicht erst zugelassen werden." Ist es den Prüfern wirklich nicht zuzumuten, in E-Autos auch mal etwas beengter zu sitzen?

Kürzlich erst haben die Kontrolleure für eine weitere Einschränkung gesorgt. Sie betrifft den BMW i3, das Vorzeige-Elektroauto aus Bayern. Grund: Der i3 hat eine Besonderheit. Seine Hintertüren sind nur zu öffnen, wenn zuvor die vorderen Türen geöffnet wurden. Bei Gefahr kann der Prüfer das Auto nicht selbständig verlassen. Seit 11. März gilt darum, dass sich die Türen eines Prüfungswagens "unabhängig voneinander" öffnen lassen müssen; zwei Türen pro Seite sind seit Langem vorgeschrieben.

"Solche Regeln gibt es sonst nirgends in Europa"

Das leuchtet ein. Es gibt aber noch eine weitere Barriere, die den Einsatz von Autos an Fahrschulen hemmt. Wer seine Prüfung auf einem Elektroauto ablegt, bekommt den Vermerk im Führerschein, dass er nur Automatikfahrzeuge steuern darf, nicht aber Schaltwagen. Wer später auch diese fahren möchte, muss bei TÜV oder Dekra eine Extra-Prüfung ablegen, die etwa 30 Minuten dauert und rund 200 Euro kostet. Auch das ist der Verbreitung von E-Autos nicht gerade dienlich. Etliche Fahrschulen reagieren darauf, indem sie Schüler zuerst auf E-Autos unterrichten und rechtzeitig vor der Fahrprüfung auf Wagen mit Schaltung wechseln.

Doch welch sonderbare Welt: Wenn Fahrschulen Elektroautos anschaffen, werden sie vom Bund großzügig mit 4000 Euro gefördert, in Baden-Württemberg gibt es sogar noch 5000 Euro extra vom Land. Gleichzeitig aber überdauern angestaubte "Regeln, die es", wie Zeltwanger hervorhebt, "so in Europa sonst nirgends gibt".

Es gibt aber noch Hoffnung für Fahrschulen. Anfang 2020, versprach unlängst Renate Bartelt-Lehrfeld, Referatsleiterin im Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur (BMVI), werde die Prüfungsordnung geändert. Dann sollen sich Fahrschüler nach der Automatikprüfung zusätzlich an einem Wagen mit Schaltung testen lassen können - ganz ohne neue Prüfung und Extra-Gebühren.

So jedenfalls wurde die BMVI-Referatsleiterin von Teilnehmern einer Fachtagung verstanden. Ob es aber wirklich so kommt, erklärte das Ministerium vorige Woche, sei unsicher. Sicher ist nur: Die TÜVs wären damit gar nicht glücklich.

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