Daimlers Denkfabrik:Auf der Suche nach dem Ausweg

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Forscher, auf die keiner hörte: Daimler unterhält in Berlin eine Denkfabrik. Jetzt sollen die Experten helfen, die Krise zu überwinden.

K.-H. Büschemann

Manchmal verzieht Thomas Waschke ein wenig das Gesicht. Fragen wie diese tun ihm weh: Warum kapiert die Autoindustrie erst jetzt, dass das Erdöl zu Ende geht? Dass sich die Branche alternative Antriebe überlegen muss ? Waschke nickt wissend. Oder: Wieso ist die Sache mit dem Smart so schief gegangen? Der Kleinwagen war in den achtziger Jahren als Teil eines zukunftsweisenden Mobilitätskonzepts erdacht worden, bei dem Bahn und Auto enger verzahnt werden sollten. Bekanntlich wurde daraus nichts. Der Zweisitzer wurde für Daimler zum Albtraum, der zehn Jahre lang Verluste machte. Vom Zukunftskonzept ist nur wenig zu erkennen.

In einem futuristischen Gebäude in der Hauptstadt, fern der Konzernzentrale, erforschen Experten im Auftrag Daimlers die Zukunft. (Foto: Foto: oh)

Waschke winkt mit einem Lächeln ab, als wollte er sagen: Weiß ich doch. Dann sagt er gelassen: "Wir können nur Hinweise auf verändertes Verhalten geben." Der 56jährige ist Mobilitätsforscher bei Daimler. Gemeinsam mit dem Psychologen und Soziologen Frank Ruff, 50, leitet er am Potsdamer Platz in Berlin die Daimler-Forschungsgruppe für Gesellschaft und Technik, eine kleine Denkfabrik, die sich mit der Frage befasst, wie sich die Menschen der Zukunft bewegen werden, wie die Megastädte von morgen aussehen könnten, welche Art von Autos in ein paar Jahrzehnten auf den Straßen rollen müssten und welche Antriebe diese Fahrzeuge brauchen.

Klar, die Forscher hören nicht gern, dass in der Autoindustrie manches schief gegangen ist, dass diese Branche mit ihren Spritfressern und PS-Protzen in die größte Krise ihrer Geschichte gefahren ist. Und das, obwohl schon seit dreißig Jahren bekannt ist, dass der Sprit eines Tages knapp und teuer sein wird. Auch die Daimler-Futurologen haben darauf schon vor langer Zeit hingewiesen.

Jetzt holt Waschke einmal Luft und klärt auf: "Wir sind hier keine Revolutionäre, die das Unternehmen stürmen." Er und sein Kollege können eben nicht ganz verhehlen, wer sie bezahlt. Sie sind Angestellte der Daimler AG, die will bekanntlich Autos verkaufen. Aber sie leistet sich seit 30 Jahren dieses kleine Institut, das heute im ersten Stock eines hypermodernen Stahl- und Glasbaus sitzt.

Es ist ein hübscher Zufall, dass die Forscher genau an dem Platz sitzen, der vor dem zweiten Weltkrieg der verkehrsreichste Platz Deutschlands war. Erstaunlich dunkel und leer ist es an diesem Sonnen-Vormittag in den Großraumbüros. Vielleicht sind so wenig Leute an ihren Schreibtischen, weil gerade in einem der verglasten Konferenzräume eine Wissenschaftlergruppe über städtische Mobilität diskutiert, die im Schaubild auf der Leinwand natürlich futuristisch urban mobility heißt.

Car2go-Projekt in Ulm
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Frank Müller ist umgestiegen. Sein eigenes Auto, ein Fiat Seicento, bleibt wochentags in der Garage. Innerhalb von Ulm ist der 30-Jährige fast nur mit den weißblauen Miet-Smarts von Car2go unterwegs.

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Die 40 Wissenschaftler des Instituts, die aus allen Fächern kommen, sollen für den Konzern die Zukunft erforschen - in Berlin, fernab und unbeeinflusst von den Fabriken und von der Konzernverwaltung in Stuttgart. Es gilt zu ergründen, wie die Kunden von morgen denken, was sie vom Auto der Zukunft erwarten. Frank Ruff beschreibt die Aufgabe so: "Wir machen keine Marktforschung, wir untersuchen langfristig denkbare Marktumfeldentwicklungen."

Manches, was sich die Berliner ausdenken, lässt den Managern in Stuttgart wahrscheinlich die Haare zu Berge stehen. Zum Beispiel sehen sie den Trend, dass immer mehr Menschen in den großen Städten der Welt gar kein Auto besitzen wollten. Die wollen nur manchmal ein Auto benutzen. "Dafür brauchen wir Antworten", sagt Ruff und nennt das Ulmer Pilotprojekt "Car2go", das soviel heißt wie, Auto zum Mitnehmen. Seit knapp einem Jahr stehen an verschiedenen Plätzen der Stadt Smarts zur Verfügung, zum Minutenpreis von 19 Cent. Ein Autokonzern von morgen müsse mehr sein als der Lieferant von Blech auf Rädern: "Wir wollen auch Mobilitäts-Service-Anbieter werden."

Hören die Herren in Stuttgart ihnen denn zu? Die Antwort kommt vorsichtig: "Wir werben für unsere Überzeugung", meint Waschke. Natürlich beachte das Unternehmen nicht alles, worauf sie hinweisen. "In unserer Gesellschaft brauchen Veränderungen generell sehr lange", sagt Ruff fast entschuldigend. Kollege Waschke meint: "Manchmal kommen wir mit vielen kritischen Fragen zurück." Im Klartext: Die Forscher holen sich in der Zentrale schon mal ein blaues Auge.

Ja, räumen die beiden ein, vieles, was die Industrie in die Krise geführt hat, sei voraussehbar gewesen. Aber eine Teilschuld an mancher Fehlentwicklung geben die Forscher Kapitalmärkten und Analysten. Die hätten die Konzentration der Unternehmen auf das Kerngeschäfte gefordert. Also sei der Verbrennungsmotor immer weiter entwickelt worden, für möglicherweise teure und riskante technische Entwicklungen neuer Antriebe mit unsicherem Ausgang sei da kein Platz gewesen.

"Daimler hat auch fokussiert, weil der Kapitalmarkt es so wollte", sagt Ruff und schaut dabei ein wenig vorwurfsvoll. Der Rat der Börse sei gefährlich. Wer das Richtige für die Zukunft erforschen wolle, müsse auf viele Pferde setzen: "Man braucht in Zeiten des Wandels immer eine Vielfalt von Lösungen". Dabei sind die beiden Forscher keineswegs pessimistisch. Sie haben sich daran gewöhnt, dass sie nicht immer Gehör finden, und damit vertraut, dass der Konzern, in der Forscher-Sprache anonymisiert "die Organisation" genannt, immer wieder Argumente gegen ihre Ideen finde, "solange das Geschäft gut läuft".

Das hat sich aber neuerdings offenbar geändert. Daimler steckt in Schwierigkeiten. Für die Mobilitätsforscher von Berlin ist das kein Grund zur Freude, aber doch ein Anlass zu der Hoffnung, dass ihre Vorschläge mehr Gehör finden. Ruff: "Krisenzeiten sind für Veränderungen eindeutig gute Zeiten."

© SZ vom 22.9.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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