Autokonzern:Audi hat den Anschluss verloren

Autokonzern: So schön kann öko sein: Das Audi E-tron GT concept gibt einen Ausblick auf ein viertüriges und fast fünf Meter langes Elektro-Coupé, das 2021 starten soll.

So schön kann öko sein: Das Audi E-tron GT concept gibt einen Ausblick auf ein viertüriges und fast fünf Meter langes Elektro-Coupé, das 2021 starten soll.

(Foto: Audi)

Der einstige Technologieführer im VW-Konzern hat Zukunftsthemen hinausgezögert. Es ist unklar, wie die Marke wieder nach vorne kommen soll.

Von Georg Kacher

Die Stimmung beim Mittagstisch im Italiener am Nordfriedhof - in der nahen Audi-Zentrale als Café Tod seit Jahrzehnten ein Begriff - schwankt zwischen Fatalismus, Frust und Zukunftsangst. In dem schmucklosen Flachbau treffen hippe Digitalos mit LeMans-Käppi auf alte Quattro-Sport-Kämpen im Nadelstreifen. Was sie alle eint, ist die Sorge, dass "die da oben Audi gegen die Wand fahren und wir am Nasenring durch die Manege gezogen werden". Die Hoffnung, aus eigener Kraft den Turnaround hinzubekommen, schwindet von Monat zu Monat. Der neue Vorstandsvorsitzende Bram Schot spricht zwar gebetsmühlenhaft von umdenken, schneller werden, mehr Mut zum Risiko beweisen. Doch um welche Inhalte es geht, das sagt er nicht. Dabei hatte Audi schon unter Stadler viele Zukunftsthemen als potenziell spielentscheidend identifiziert: synthetische Kraftstoffe, Gas und Brennstoffzelle, die spannende Multi-Traktions-Plattform, innovative digitale Geschäftsmodelle, das Auto 2.0 im Internet der Dinge. "An Ideen hat es nicht gefehlt," grummelt ein Mittvierziger in seine Apfelschorle. "Aber wir haben es wieder und wieder versäumt, Entscheidungen zu treffen."

Die Konsequenzen sind spätestens seit dem Dieselbetrug evident. "Nein, Audi ist kein Sanierungsfall," antwortet auf Nachfrage der oberste Strippenzieher Herbert Diess, der Spitzenpositionen querbeet gerne mit alten Seilschaften aus München besetzt. Dabei gibt es in Bezug auf die vier Ringe schon lange nichts mehr schönzureden, denn es fehlt bis heute am Nötigsten - zum Beispiel die volle Bandbreite an nach WLTP-zertifizierten Motoren. Für A 8, A 7, A 6, Q 7 und Q 8 sind weder ein Plug-in Hybrid noch ein Achtzylinder verfügbar - in diesem margenträchtigen Segment ein Unding. Schon zum 1. September steht eine weitere Verschärfung der EU 6-Abgasnorm ins Haus, die Audi vor weitere Probleme stellen dürfte, weil es an Prüfständen und Messtechnikern fehlt. Dass nicht genug Otto-Partikelfilter bestellt wurden, innermotorische Maßnahmen zu spät greifen und die Wassereinspritzung (sie soll den Leistungsverlust ausgleichen) erst Ende 2021 verfügbar sein dürfte, sei nur am Rande erwähnt.

Unverdächtige Absatzzahlen haben bis zuletzt das sich anbahnende Drama kaschiert, doch inzwischen gibt's kein Vertun mehr. Die Rendite erodiert, der Aufwand pro Fahrzeug explodiert, die einst so starke Position im Konzernverbund droht zu kollabieren. Beispiele gefällig? Laut internem Audit ist der A4 mit einer Note von 1,4 dem 3er BMW (3,1) haushoch überlegen, wobei mit Stolz vermerkt wird, dass wesentliche Elemente des A4 für eine - unrealistische - Laufleistung von einer Million Kilometer ausgelegt sind. Stimmt - Qualität hat erste Priorität. Aber sie in dieser Form absolut zu setzen, ist betriebswirtschaftlich ebenso fraglich wie der zweistellige Millionenbetrag für das nachträgliche Versetzen einer USB-Buchse samt 70 Zentimeter längerem Kabel oder der gewaltige Einmalaufwand von 1,8 Milliarden Euro für den Q 8 auf Q 7-Basis. Ein nicht ganz ernst zu nehmender Versuch, gegenzusteuern und auf die Schnelle 350 000 Euro einzusparen, war der Vorschlag, die Heizung in der Endmontage während der Wintermonate um drei Grad zurückzudrehen - Motivation geht anders.

Auf den neuen Marken- und Marketingchef Sven Schuwirth wartet viel Arbeit. Er muss den Kunden erklären, was die angeblich auf Druck aus China eingeführten Zusatzzahlen hinter den Modellbezeichnungen bedeuten (A8 50 TDI statt 3.0 TDI), warum der klar höher positionierte Q4 als Q3 Sportback auf den Markt kommen soll, wo denn das eigentlich beschlossene viertürige A 3 Coupé bleibt, wieso für TT und R 8 keine Nachfolger vorgesehen sind.

Im Bermuda-Dreieck zwischen Wolfsburg und Stuttgart tut sich Audi immer schwerer. Von wegen "Alle Macht den Marken". Die Quermotor-Matrix und der kleine Elektrobaukasten kommen von VW, beim großen Elektrobaukasten müssen sich die Ingolstädter mit Porsche zusammenraufen, die letzte verbliebene selbst entwickelte Plattform (MLB) nähert sich dem Verfallsdatum. In die Enge getrieben, kann die Marke mit den vier Ringen nur noch verwalten, nicht mehr gestalten.

Ursprünglich sollte Ingolstadt als digitale Speerspitze des Konzerns glänzen, markenübergreifend das autonome Fahren verantworten, sich um alternative Kraftstoffe kümmern und schon im Jahr 2025 mit Dienstleistungen rund ums Auto 25 Prozent des Umsatzes generieren. Doch weil selbst eine ambitionierte Premiummarke für ein derart großes Ganzes zu klein ist, wird der Kreis der Mitspieler um neue Partner erweitert. Den Herren der Ringe bleibt nur das kleine OP-Besteck: die Optimierung des Status Quo, die Evolution des unverändert erfolgreichen Designs, eine mögliche Elektro-Sportwagen-Kooperation mit Porsche, die Zähmung der Paradiesvögel von Lamborghini, die Adaption von in Wolfsburg und Weissach vorkonditionierter Hard- und Software.

Noch immer ist in vielen Details nicht entschieden, wohin Audi marschieren will. Wo bleibt etwa der überfällige nächste Schritt in Sachen Mikromobilität, eine aggressivere Auslegung der Zellchemie mit höherer Spannungslage, die weltweit erste per 3 D-Drucker realisierte Kleinserie mit Feststoff-Batterie, der leistungsorientierte h-tron Wasserstoffantrieb, der e-tron plus als richtungsweisende Kombination von Reichweiten- und Performance-Akku, die modulare One-Engine-Strategie mit dem Vierzylinder als einzig verbliebenen Verbrenner im skalierbaren Plug-in-Hybrid-Verbund?

Ganz oben auf der Wunschliste steht eine Sprachsteuerung, die auch Laien verstehen

Um wieder ganz oben mitzumischen, muss Audi seinen verblassenden Führungsanspruch mit neuen Elementen und Konzepten aufpolieren. Da geht es zum Beispiel um den perfekten Concierge-Service, automatische Abrechnung an Mautstellen und Ladesäulen, autonomes Parken/Tanken/Waschen mit Hol-und-Bring-Funktion, das Freischalten von Zusatzfunktionen wie eine zeitlich begrenzte Mehrleistung, unterschiedliche Lichtinszenierungen unterwegs und im Stand, differenziert erlebbare Dynamik am Steuer und im Fond. Ganz oben auf der Wunschliste steht eine dialog- und lernfähige Sprachsteuerung, die den Passagieren jeden Wunsch von den Lippen abliest und prompt erfüllt, intuitiv genug für Kinder, Laien und Vorstände.

Audi Sport, das seit 2000 dreizehn Le-Mans-Siege feiern durfte, ist noch weiter hinter BMW M und Mercedes AMG zurückgefallen. Elektrifizieren wollen die vom Sparzwang gebremsten Schnellermacher inzwischen nur mehr die unteren Gänge der nächsten Getriebegeneration, der ein 150 kW starkes E-Paket auf die Sprünge hilft. Abgesehen vom bildschönen E-tron GT auf Porsche Taycan-Basis bleibt es ansonsten beim bekannten hochpreisigen Verbrenner-Mix. Längst fertig, aber immer noch in der Warteschleife ist der vierte oder fünfte Versuch einer Reinkarnation des Ur-quattro, diesmal als 500 PS starker G-tron mit Erdgas-Power.

Im Herbst 2017 hatte Herbert Diess im kleinen Kreis prophezeit, dass in zehn Jahren das wertvollste Unternehmen der Welt ein Mobilitätsanbieter sein wird. Wer so denkt, der verwettet schon mal Haus und Hof, indem er 80 Milliarden Euro einzig und allein in die Elektromobilität investiert. Weil bereits im Jahr 2020 fast 300 000 E-Autos von den Bändern rollen sollen, ist Audi (neben Seat und Skoda) von Anfang an mit von der Partie. Bis 2023 dürften auf MEB-Basis inklusive Langversionen und Coupés nicht weniger als sieben E-tron-Ableger durch die Welt stromern, darunter der E 4 als i 4-Gegner im A 4-Format. Weitere sieben E-Modelle nutzen die größere PPE-Architektur.

Obwohl Benziner und Diesel weitergebaut werden, könnte Audi auch in diesem Segment mittelfristig die Arbeit ausgehen, denn von der PPE-Matrix ist bereits ein entsprechender Ableger (PPC, das C steht für Combustion, Verbrenner) zusammen mit Porsche in Arbeit. Audi bliebe dann womöglich wieder nur die Rolle als Erfüllungsgehilfe.

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