Tempo, Tempo, Tempo. Agilität zählt in Zeiten des Umbruchs scheinbar mehr als die schiere Größe. Wie sonst konnte Tesla zum drittwertvollsten Autohersteller aufsteigen? Zumindest kurzzeitig lagen nur Volkswagen und Toyota weiter vorn. Die beiden Weltmarktführer bauen jeweils über zehn Millionen Fahrzeuge pro Jahr: An sechs Arbeitstagen rollen dort so viele Autos vom Band wie Tesla im Gesamtjahr 2018 produziert hat.
Die kalifornische Software-Bude mit angeschlossener Werkbank ist an der Börse trotzdem bis zu 50 Milliarden Euro wert. Übernahmen wie die von Maxwell Technologies vor wenigen Tagen kann Tesla locker mit eigenen Aktien bezahlen. Der Zukauf zeigt, dass bei Batteriefahrzeugen andere Regeln gelten. Während sich gerade die deutschen Marken über ihre Motoren definiert haben, verschiebt sich das Rennen nun stark in die Elektrochemie. Doch die gehört meist nicht zur Kernkompetenz der Autohersteller - und die Unterschiede sind längst nicht so Marken-differenzierend. Die Batteriekosten bleiben das größte Hindernis auf dem Weg zur Elektro-Massenmobilität: "Ein Zellpreis von 100 Euro pro Kilowattstunde ist realistisch", bestätigt Volkswagen-Einkaufsvorstand Stefan Sommer: "Inklusive Sicherheitstechnik und Kühlsystem baut man bei 50 bis 70 Kilowattstunden für 500 Kilometer Reichweite eine Batterie für 10 000 Euro ins Auto." Kein Wunder, dass Akkuautos teurer sind als Verbrenner.
Auf dem Car Symposium in Bochum skizzierte Sommer jüngst die wundersame Verwandlung des TDI-Konzerns in "New Volkswagen": "Wir wollen 2050 mit der gesamten Flotte auf der Straße CO₂-neutral sein." Das bedeute einen "riesigen Bewusstseinswandel im ganzen Unternehmen", gibt er zu. Diese Transformation sei so schwierig, weil sie gleichzeitig in eine digitale Welt und damit auch in neue Mobilitätskonzepte hineinführe.
Wird an der Börse die Zukunft gehandelt? Für die angestammten Hersteller sähe es dann mau aus
"New Volkswagen" könnte eine Erfindung von Tesla sein, so ähneln sich die Konzepte. Der Modulare Elektrobaukasten (MEB) beinhaltet ein neu entwickeltes Bordnetz, dessen Betriebssoftware über die Luftschnittstelle aktualisiert wird - Tesla lässt grüßen. Zeitgleich ziehen die Elektro-Rivalen gerade in der Nähe von Shanghai neue Gigafabriken hoch. Auch auf dem jeweiligen Heimatmarkt herrscht Gleichstand zwischen dem Start-up und dem Weltmarkführer: Tesla will im Stammwerk Fremont endlich eine halbe Million Fahrzeuge produzieren. VW baut das Werk Zwickau für dasselbe Elektro-Volumen um. Ab Ende des Jahres laufen dort das elektrische Golf-Pendant ID Neo und etwas später der ID Cross vom Band. Tesla bringt voraussichtlich 2020 das Model Y - eine Crossover-Version des Model 3.
Agieren die ungleichen Zwillinge also im perfekten Gleichschritt? Nicht ganz, der große Unterschied liegt in der Batteriestrategie. Weil 2014 gar nicht genügend Zellen für einen schnellen Markthochlauf zur Verfügung standen, plante Tesla parallel zum Volumenmodell 3 die erste Gigafabrik in Nevada. Die Großserie sollte die Zellen und damit das Auto billiger machen. Fünf Jahre später steht Volkswagen vor einem ähnlichen Problem. "Wir müssen das Batterievolumen von einem niedrigen Niveau aus massiv hochfahren", sagt Stefan Sommer, "aber wir haben nicht die Zeit, auf der grünen Wiese die immense Kapazität zu installieren, die wir benötigen."
Um Vorreiter beim Klimaschutz zu werden, zeigen die Wolfsburger eine Tesla-typische Risikobereitschaft: Zweistellige Milliardenbeträge vom VW-Konzern und dreistellige Milliardenbeträge von Industrie-Partnern seien nötig, erkärte Sommer auf dem Car Symposium. Allein bis 2025 wohlgemerkt. Neben LG Chem und Samsung haben auch CATL und SK Innovation Lieferverträge mit Volkswagen unterschrieben. Der weltgrößte Zelllieferant CATL baut sogar eine Fabrik in Erfurt. Bis 2025 soll die Fertigung auf 50 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr steigen. Teslas Gigafactory in Nevada hat im vergangenen Jahr etwa zehn GWh produziert und ist auf bis zu 35 GWh ausgelegt.
"Die deutsche Autoindustrie hat den Schalter bei der Elektromobilität umgelegt", unterstrich Daimler-Chef Dieter Zetsche in Bochum. Bis 2025 wollen alle Marken etwa 25 Prozent ihrer Fahrzeuge elektrifizieren. Allein im VW-Konzern sind das 50 neue Modelle. "In diese erste Welle der Elektrifizierung haben wir 30 Milliarden Euro investiert", so Sommer: Bis 2025 sollen über 15 Millionen emissionsfreie Fahrzeuge produziert werden: Vom Volumenfahrzeug bis zum Sportwagen. In der folgenden zweiten Welle sollen dann alle Plattformen voll elektrifiziert sein. Bis 2025 seien laut Sommer über 100 GWh an Batteriekapazität nötig. CATL will diese Schallmauer schon 2020 weltweit durchbrechen. Aus gutem Grund will sich Volkswagen aber nicht von einem einzigen Zelllieferanten abhängig machen.
Das Beispiel Audi E-tron zeigt, wie sehr sich die Kräfteverhältnisse in der Mobilitätsbranche verschieben. Statt die Preise von Zulieferteilen bei der Modellüberarbeitung nach 3,5 Jahren wie üblich zu senken, fordert LG Chem ab 2022 einen deutlichen Aufschlag für die Zellen. Die Nachfrage steigt ständig und die Energiedichte lässt sich nicht sprunghaft verbessern. "Wir gehen von einer weiter evolutionären Entwicklung der Batterie aus", betont Stefan Sommer, "von 2014 bis 2019 hat sich die Energiedichte schon mehr als verdoppelt." Vereinfacht gesagt, wird der Nickelanteil in den NMC-Zellen (Nickel Mangan Cobalt) immer weiter erhöht: Vom Verhältnis 111 über aktuell 622 auf 811 im Jahr 2020. Die Energiedichte wird von 140 Wattstunden pro Kilogramm (Wh/kg) im Jahr 2014 auf 300 Wh/kg zum Start des VW ID zulegen. Sommer zufolge werden auch die sogenannten Festkörperzellen im Jahr 2030 nicht über 350 Wh/kg liegen, ihr Platzbedarf sei lediglich etwas geringer: "60 Prozent der Produktionskapazitäten werden bei Feststoffzellen gleich sein, so dass sich die jetzt gebauten Zellfabriken umrüsten lassen."
Der Unterschied zu Tesla? Die Kalifornier sind das Schnellboot, Volkswagen ist der Supertanker
Da klingt die neue Autowelt erstaunlich vertraut: Die Fortschritte passieren langsam und meist im Gleichtakt der gesamten Industrie. Allein aus Kostengründen kann man das Auto nicht ständig neu erfinden. Diese Botschaft dürfte Gift für Teslas aufgeblähten Aktienkurs sein. Noch glauben viele Investoren an eine Sonderstellung der Kalifornier. Doch die hatte Tesla nur, solange die angestammten Hersteller mit ihren schlecht gereinigten CO₂-Schleudern glänzende Geschäfte machten. Jetzt fragen sich viele Experten, wann Tesla in den neuen Mainstream einschwenkt. Mit ihrer kobaltarmen Zellchemie haben die Vorreiter zwar weniger Probleme bei der Rohstoffversorgung. Doch die sogenannten NCA-Rundzellen (Nickel Cobalt Aluminum) sind in ihrem Leistungsspektrum weitgehend ausgereizt. Um die Gasbildung im Inneren unter Kontrolle zu halten, ist die Ladeleistung auf etwa 120 Kilowatt beschränkt. Die Erfahrung am Supercharger zeigt, dass Tesla diese Maximalleistung bald herunterregelt, damit die Akkus nicht überhitzen. Dasselbe gilt beim wiederholten Beschleunigen oder beim kräftigen Strom-geben an Steigungen.
Genau an dieser Schwachstelle wollen die deutschen Wettbewerber ansetzen. Denn nichts ist lästiger als lange Wartezeiten an der Stromtankstelle. Der Audi E-tron und der Mercedes EQC halten schon jetzt mit 150 kW Be- und Entladeleistung dagegen. Der Porsche Taycan soll es Ende dieses Jahres noch einmal doppelt so gut können. Die anderen werden folgen - inklusive Tesla? Die Kalifornier arbeiten seit 2015 mit Jeff Dahn von der Dalhousie Universität in Nova Scotia zusammen. Der Kanadier ist einer der weltweit führenden Zellforscher - allerdings für NMC-Zellen. Das ist genau die Chemie, die auch von den anderen Herstellern genutzt wird. Es ist wie bei den Zellfabriken: Am Ende könnte eben doch die schiere Größe den Unterschied machen.