"Die Elektromobilität läuft bei Daimler", freut sich Konzern-Chef Dieter Zetsche. Wirklich? Bisher war der Weg zur emissionsarmen Mobilität steinig. 2012 investierten die Stuttgarter vergleichbare Beträge in Diesel und Stromer: Drei Milliarden Euro kostete es, die Euro-5-Stinker durch saubere Selbstzünder zu ersetzen. Minimale Stickoxid-Werte und niedrige Verbräuche sind das Ergebnis bei den neuen Diesel-Modellen. So glatt lief es bei den Stromern nicht, obwohl ihre Entwicklung inklusive Zellproduktion ähnlich teuer war.
Während sich der Smart Electric Drive mit Lieferengpässen herumschlug, floppte der erste batterieelektrische Mercedes komplett. Doppelt so teuer wie der Smart kam die B-Klasse Electric Drive im Alltag auch nicht weiter als 150 Kilometer: "Mangelhaft" befand der ADAC EcoTest. Weil die Kunden dafür keine 40 000 Euro ausgeben wollten, verschwand das Elektroauto klammheimlich von der Bildfläche.
Der erste Elektro-Mercedes war ein totaler Flop
Entsprechend plan- und wehrlos haben die deutschen Marken Teslas Aufstieg zugeschaut: BMW stoppte 2015 zunächst den geplanten Ausbau der BMW-i-Palette und Mercedes legte den 2009 angekündigten Brennstoffzellenantrieb auf Eis. Statt im doppelten Boden der B-Klasse kam er im vergangenen Jahr lediglich als Kleinserie im GLC F-Cell auf den Markt: Echter Wille zum Umsteuern sieht anders aus. Die Quittung bekommt Mercedes in Form von schlechten CO₂-Werten. Für das abgelaufene Jahr gibt die Pkw-Marke 132 g CO₂/km als Durchschnitt an. Damit fahren die Sternenkreuzer Audi und BMW hinterher. Viele Experten bezweifeln, dass Mercedes die vorgeschriebenen 105 g/km bis 2021 erreichen wird. Denn 2019 wird sich die Lücke von 27 g/km nach Aussage der Stuttgarter "nur geringfügig" schließen. Schuld seien die "Verschiebung des Absatzes weg vom Diesel sowie der weiter steigende Absatz von größeren SUVs". Jetzt rächen sich die Fehler der Vergangenheit: Die überstürzte Wende zu einer sauberen Klimabilanz wird teuer.
Im Hauruckverfahren führt Mercedes nun in jeder Baureihe E-Antriebe ein. Zehn Milliarden Euro fließen in die EQ-Flotte, die 2022 zehn reine Stromer umfassen soll. Die Nachfrage nach dem neuen EQC auf Basis des GLC-SUV sei hoch, lässt Mercedes verlautbaren. Doch die Händler bekommen in den ersten beiden Jahren gar nicht so viel Luxusstromer, wie sie wollen. Auf der Frankfurter IAA wird im September ein EQA mit über 400 Kilometer Normreichweite vorgestellt. Mehr als die B-Klasse Electric Drive darf die Einstiegsvariante nicht kosten, sonst kommt sie 2020 nicht auf 70 000 verkaufte Fahrzeuge in Europa. Nach Berechnungen von PA Consulting ist diese Stückzahl nötig, um die Kurve beim Flottenwert zu kriegen.
Das alles treibende Thema bei der Verkehrswende seien die Kosten, bekannte Dieter Zetsche auf dem Car Symposium in Bochum: "Wenn Elektromobilität nicht erschwinglich wird, dann bekommt man einen ganz großen Zielkonflikt: Einerseits den CO₂-Fußabdruck zu reduzieren und gleichzeitig die Mobilität finanzierbar zu halten." Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma heißt derzeit: Geld in den Kofferraum legen. "Unsere Kunden verzichten gerne auf Emissionen", betonte Dieter Zetsche zwar in Bochum. Tatsächlich verdient Mercedes mit den AMG-Spritsäufern aber am meisten. Viel von dem Geld fließt als Quersubvention in die alternativen Antriebe. Profit bringen diese ohnehin nicht, dafür sind die Anlaufkosten viel zu hoch. Das muss sich bis 2025 ändern, dann wollen die Stuttgarter mehr als 40 Prozent aller Pkw in Europa entweder als Plug-in-Hybride oder als reine Stromer verkaufen. Anders werden sie die dann gültigen Emissionsgrenzen kaum einhalten.
"Wir machen Absatz- und CO₂-Planungen, aber wir sind nicht in einer Plan- sondern in einer Marktwirtschaft. Deshalb brauchen wir die Möglichkeit, flexibel reagieren zu können", sagt Frank Overmeyer, der bei Daimler für die Emissionsstrategie verantwortlich ist: "Dazu gehört technische Modularität und ein flexibles Vertriebskonzept." Was das konkret bedeutet, bekommen Mercedes-Vertriebspartner in einem Pilotprojekt zu spüren. Seit Anfang des Jahres wird auf Basis der landesspezifischen Gesetze und Fördermaßnahmen für jeden Markt ein CO₂-Ziel festgelegt. Allein die aktuellen Regeln und Formeln zu verstehen, sei eine Herausforderung, so Overmeyer. Mit dem neuen CO₂-Fahrzeuginformationssystem Cofi könne jede Landesgesellschaft nun im Jahresverlauf sehen, wie weit sie ihr jeweiliges Klimaziel erreicht habe. Sonst heißt es, mit Aktionen gegensteuern, zum Beispiel bei den Plug-in-Hybriden: Unter 50 000 Euro waren die Ökomobile aus Stuttgart bisher nicht zu haben. Doch mit den Teilzeitstromern der dritten Generation wollen die Stuttgarter jetzt richtig Gas geben.
Mercedes kündigt 90 kW elektrische Motorleistung und rund 50 Kilometer Reichweite ohne Abgase an. Die Limousine und das T-Modell der C- und E-Klasse können ab diesem Sommer nicht nur an der Steckdose, sondern auch an der Diesel-Zapfsäule tanken. Die Frage, ob diese Kombination von zwei teuren Technologien wirtschaftlich sinnvoll ist, stellt sich nicht mehr: Auf der CO₂-Zielgeraden zählt jedes einzelne emissionsarme Auto. Bis Ende 2020 wollen die Stuttgarter weit mehr als 20 Modellvarianten mit Stecker und Tankstutzen anbieten. Weil das alles nicht reicht, soll bis 2022 das gesamte Mercedes-Pkw-Portfolio leicht elektrifiziert werden. Nächstes Jahr werden weit mehr als hundert Modellvarianten mit der 48-Volt-Technologie ausgestattet. Egal, ob riemengetriebene oder ins Getriebe integrierte (Starter-)Generatoren: Die Mildhybridsysteme sparen acht bis 15 Prozent Kraftstoff, indem sie Schubenergie beim Bremsen in Strom umwandeln. Die in der Batterie geparkte Energie steht beim Anfahren wieder zur Verfügung. Dieses zweite, verstärkte Bordnetz ist gut für die Klimabilanz; die operative Marge dürfte es weiter belasten.