Arbeitsmarkt:Buhlen um Softwareentwickler

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IT-Wissen ist auch in Ingenieurberufen gefragt. (Foto: Sascha Schuermann/Getty Images)

Die Nachfrage nach Mint-Fachkräften verschiebt sich zugunsten der IT-Spezialisten: Sie sind gefragt wie nie zuvor. Unternehmen gehen damit unterschiedlich um.

Von Svenja Gelowicz

158 Tage: So lange hat es im vergangenen Jahr im Durchschnitt gedauert, eine freie Stelle mit einem Softwareentwickler oder einem Programmierer zu besetzen. Das hat die Bundesagentur für Arbeit jüngst gemeldet - und gleichzeitig vor einem "verschärften Fachkräftemangel" in den Mint-Berufen gewarnt (Mint steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Denn die Auftragsbücher sind dank guter Konjunktur voll.

Nicht ganz so voll ist der Fachkräftemarkt. 490 000 unbesetzte Arbeitsplätze gibt es im Mint-Bereich, meldete das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Ende April in seinem "Mint-Frühjahrsreport 2018". Dies sei der höchste Stand seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2011. Die Fachkräftelücke liegt demnach bereinigt bei 314 800 Personen.

Firmen benötigen zum einen dringend, das zeigen die Ergebnisse, nichtakademisches Personal: Facharbeiter, Meister und Techniker. Und da sich viele Unternehmen gerade digitalisieren, sind es außerdem vor allem die IT-Experten, die händeringend gesucht werden. Die Fachkräftelücke hat sich im IT-Bereich, so die IW-Autoren, in den letzten vier Jahren von 16 000 auf 39 600 mehr als verdoppelt.

Vakanzen im Bereich IT machen erstmals den höchsten Anteil am Gesamt-Jobangebot aus, hat auch der Dekra-Arbeitsmarktreport 2018 analysiert. Die Prüfgesellschaft hat knapp 13 000 Stellenangebote in großen Medien ausgewertet und dabei festgestellt: Begehrt sind vor allem Softwareentwickler, Softwarearchitekten und Programmierer. Von der Digitalisierungswelle profitieren auch IT-Berater und -Analysten: Sie springen von Platz 27 im vergangenen Jahr auf den vierten Rang in der aktuellen Auswertung.

Ansonsten befindet sich unter den Top Ten der am meisten nachgefragten Berufe laut des Dekra-Reports nur noch eine Ingenieurdisziplin: Architekten und Bauingenieure. Sie klettern gemeinsam auf Platz zehn, Bauboom sei Dank. Der Stellenmarkt für Ingenieure habe sich entspannt, resümieren die Autoren, auch sind erstmals weder Ingenieure für Maschinen- und Fahrzeugbau noch Ingenieure für Elektrotechnik unter den Top-Ten-Berufen vertreten. Sie teilen sich nun Platz Zwölf.

Um nicht 158 Tage auf einen dringend gesuchten IT-Spezialisten warten zu müssen, gilt es als Unternehmen attraktiv zu sein. Dabei sind immer noch Standort und Unternehmensmarke die wichtigsten Faktoren, heißt es seitens des Personaldienstleisters Hays.

"Bei Stellen rund um die Themen digitale Transformation, also zum Beispiel Big Data oder Künstliche Intelligenz (KI), driften Angebot und Nachfrage stark auseinander", sagt Frank Schabel, Unternehmenssprecher von Hays. Er rät Unternehmen, auch Fachkräfte einzustellen, die mit ihrer Qualifikation nah an die Anforderungen herankommen - und die dann weiterzubilden. In den klassischen Engineering-Bereichen, so heißt es von Hays, suchen die Unternehmen vor allem Experten an der Schnittstelle Hardware und IT sowie in den Bereichen Industrie 4.0.

Um die eigene Nachfrage an IT-Spezialisten zu decken, hat der Autohersteller Volkswagen jüngst verkündet, ab dem nächsten Frühjahr Softwareentwickler selbst auszubilden. Fakultät 73 heißt das Projekt, das im ersten Durchlauf 100 Teilnehmer zu den begehrten Fachkräften schmieden soll; genauer gesagt: zu "Junior-Software-Entwicklern". 20 Millionen Euro steckt der Konzern in den ersten Jahrgang des zweijährigen Programmes.

Die Wolfsburger planen nach eigenen Angaben mindestens drei Durchläufe - um den Bedarf an 400 Spezialisten für die nächsten Jahre decken zu können. Das Programm richtet sich an IT-affine VW-Mitarbeiter, die über Grundwissen verfügen - aber auch an Studienabbrecher in Mint-Fächern. Denkbar sei auch ein Modell, um "langfristig Nachwuchs auszubilden", sagte dazu VW-Personalchef Gunnar Kilian.

Das kann sich nicht jeder leisten. Jonas Moßler ist Chef eines Mannheimer KI-Start-ups namens Susi & James. Gleich um die Ecke sitzt der Software-Konzern SAP. KI-Entwickler sind dort begehrte Spezialisten. Susi & James beschäftigt deshalb unter anderem vier Mitarbeiter in Indien. "Die Zusammenarbeit läuft hervorragend, die Ergebnisse stimmen", zeigt sich Moßler zufrieden.

Das Buhlen um die IT-Experten wird wohl die nächsten Jahre weitergehen. Dies ist zumindest ein Ergebnis der Analyse "Future Skills: Welche Kompetenzen in Deutschland fehlen" des Stifterverbandes und der Unternehmensberatung McKinsey.

Sie haben 607 Unternehmen befragt. Ergebnis: Fast 700 000 Tech-Spezialisten werden zusätzlich bis zum Jahr 2023 benötigt. Von diesen knapp 700 000 Personen sollten sich nach Wunsch der Unternehmen 455 000 mit komplexen Datenanalysen auskennen. 79 000 sollen in der Lage sein, Digitalprodukte nutzerzentriert zu entwickeln, also sogenannte UX-Designer sein. Webentwickler und Systemadministratoren landen auf Platz 3 mit jeweils 66 000 prognostizierten Stellen.

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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