Air-France-Flug AF 447:"Wir müssen die Black Box finden"

Air-France-Vorstand Gilbert Rovetto und Etienne Lichtenberger, Leiter Flugsicherheit bei Air France, über die Ursachen des Absturzes von Flug AF 447.

Gilbert Rovetto und Etienne Lichtenberger beschäftigen sich bei Air France seit dem 1. Juni intensiv mit dem Absturz des Fluges AF 447. Rovetto ist Konzernvorstand für den Flugbetrieb, Lichtenberger ist Leiter Flugsicherheit und aktiver Kapitän auf den Airbus-Modellen A330 und A340.

Air-France-Flug AF 447 Vorstand Gilbert Rovetto

Air-France-Konzernvorstandsmitglied Gilbert Rovetto kann sich den Absturz des Fluges AF 447 nicht erklären.

(Foto: Foto: oh)

SZ: Airbus hat überraschend nun doch empfohlen, die Thales-Pitot-Sonden auszutauschen. Was wird Air France tun?

Rovetto: Lassen Sie mich erst unser tiefes Mitgefühl gegenüber Angehörigen und Freunden der deutschen Passagiere ausdrücken, die an Bord von AF 447 waren. Aber zur Frage: Wir werden die Sonden so schnell wie möglich ersetzen, aber das Problem ist, sie zu bekommen. Die Arbeit selbst ist nicht schwierig, weil wir offenbar an den Computern nicht viel ändern müssen. Bis letzte Woche sind wir davon ausgegangen, dass die neuesten Thales-Geräte wesentlich besser sind als die alten - jetzt ist wieder alles anders.

SZ: Wie hat Air France reagiert, als sich die Sonden als möglicher Faktor für den Absturz herauskristallisierten?

Rovetto: Niemand weiß, ob die Sonden überhaupt ein Faktor bei dem Absturz waren. Dennoch haben wir eine Menge Informationen an unsere Crews geschickt. Schon 2007 haben unsere 2200 Airbus-Piloten ein spezielles Training in Sachen unzuverlässige Geschwindigkeitsanzeigen bekommen. Und sie werden eine zusätzliche Trainingseinheit im Flugsimulator erhalten.

SZ: Es hat bei Air France schon früher Vorfälle gegeben, in denen genau das passiert ist. Hätten Sie nicht früher reagieren müssen?

Lichtenberger: Wir haben Airbus im vergangenen Jahr um eine technische Lösung gebeten. Die Antwort war, dass die neuen Sensoren (Thales BA) das Vereisungsproblem nicht lösen. Unabhängig davon: Bei all jenen Vorfällen waren die Piloten in der Lage, das Flugzeug manuell weiterzufliegen. Sie mussten zwar eine Stress-Situation bewältigen, aber sie hatten die Lage immer unter Kontrolle. Keine der Besatzungen berichtete, dass das Fliegen plötzlich extrem schwierig geworden sei. Deswegen vermuten wir ja auch, dass bei Air France 447 noch etwas anderes vorgefallen sein muss - etwas sehr Schwerwiegendes, von dem wir bislang noch nichts wissen.

SZ: Haben Sie eigentlich gewusst, dass auch andere Airlines ähnliche Probleme hatten wie Air France?

Rovetto: Nein. Airbus hat seine Position in den vergangenen eineinhalb Jahren offenbar mehrfach verändert.

Lichtenberger: Im April 2009 hat Airbus die frühere Haltung in Sachen BA-Sonden aufgeweicht; Tests im Windtunnel bewiesen ein besseres Verhalten und Airbus hat daraufhin einen Feldversuch vorgeschlagen, aber Air France hat entschieden, alle alten Sonden zu ersetzen.

SZ: Welche Szenarien spielen Sie eigentlich intern durch?

Lichtenberger: Wir spielen keine Szenarien durch, weil es Hunderte davon gibt. Wir versuchen, die Rahmenbedingungen des Fluges zu analysieren und so vielleicht auf etwas zu stoßen.

"Sicherheit muss ständig neu erarbeitet werden"

SZ: Wissen Sie denn, ob der Kapitän zum Unglückszeitpunkt an seinem Platz war oder gerade Pause gemacht hat?

Lichtenberger: Nein, wissen wir nicht. Normalerweise wählt der Kapitän die für ihn beste Phase des Fluges und das ist die mittlere; also wäre er wohl noch im Cockpit gewesen. Wir weisen unsere Kapitäne immer wieder darauf hin, dass sie verantwortlich für den Flug sind und einschätzen müssen, wann es klug ist, in die Pause zu gehen. Schlechtes Wetter ist sicher ein starkes Argument dafür, selbst weiterzufliegen.

SZ: Selbst wenn die Black Box nicht gefunden wird: Welche Lehren kann man aus dem Unfall ziehen?

Lichtenberger: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man nicht unaufmerksam werden. Sicherheit muss ständig neu erarbeitet werden.

SZ: Ihre eigenen Pilotengewerkschaften werfen Air France vor, dass drei Abstürze in zehn Jahren zu viele sind.

Rovetto: Das sind auch zu viele. Heute wissen wir, dass die Hauptursache beim Concorde-Absturz jenseits unserer Kontrolle war, ein Stück Metall, das ein Flugzeug einer anderen Airline auf der Startbahn verloren hatte. Nach Toronto 2005 habe ich eine Kommission einberufen, die Empfehlungen ausgesprochen hat, von denen die meisten heute umgesetzt sind. Das tun wir jetzt wieder und werden die Gewerkschaften einbeziehen.

SZ: Haben Sie noch Hoffnung, dass die Black Box gefunden wird?

Rovetto: Wir müssen sie finden.

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