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Tausche Baurecht gegen Mietwohnungen
Um künftig mehr als Hälfte des neugeschaffenen Wohnraums günstig anbieten zu können müssen Bauträger noch genauer kalkulieren. Foto: The Point of View Photography
Im BMW-Stammwerk Unterschleißheim steht die dritte Phase der Elektromobilität an, geplant sind eine neue Fahrzeugmontage und ein neuer Karosseriebau. Früher hätte man schweres Gerät anrollen lassen, alte Gebäude plattgemacht und neue hochgezogen, außenrum bisschen Rollrasen verlegt, drei Bänke aufgestellt, fertig.
So einfach kann man es sich heute nicht mehr machen. Denn in München ist das urbane Wohlfühlklima gleich nach Corona zum Pausenthema Nummer Eins geworden. Günstigen Wohnraum innerhalb des Mittleren Rings zu finden ist ebenso Glückssache wie frei fließenden Verkehr darauf. Weil immer mehr Menschen notgedrungen ins Umland ziehen, sind Busse und Bahnen überfüllt, die Ausfallstraßen sowieso. Der Stau gehört zum Stadtbild, das Schimpfen darüber zur Symphonie der Großstadt. Noch hat München Herz, aber die Kopfschmerzen nehmen zu, und das drückt auf die Laune. „Der Mensch wird so, wie die Stadt ihn macht“, warnte der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich schon vor einem halben Jahrhundert. Und setzte auffordernd hinzu: „Und umgekehrt.“
Die bayerische Landeshauptstadt steht vor der schwierigen Aufgabe, trotz knapper Flächenreserven das Angebot an bezahlbaren Mietwohnungen massiv zu erhöhen. Sonst droht Segregation mit Auswüchsen, wie man sie bislang nur von Berlin kennt. Frontal aufeinanderprallende Partikularinteressen – Mieter gegen Eigentümer, Standort- gegen Umweltschützer, Investoren gegen Social Justice Warriors – nützen weder der Stadt noch den Menschen, von der Wirtschaft ganz zu schweigen.
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Deshalb nimmt BMW die Quartiersentwicklung rund um seine Produktionsstätte selbst in die Hand. Und zwar so zügig und entschlossen, wie es kein Magistrat der Welt tun könnte: Im Oktober wurde ein städtebaulicher Architekturwettbewerb für die bestehende Werksfläche und den Bereich um die Konzernzentrale ausgerufen, und schon Anfang 2022, pünktlich zum hundertsten Geburtstag des Werks Unterschleißheim, werden sechs renommierte Baumeisterbüros ihre Vorschläge präsentieren. Eines bekommt den Zuschlag, und dann wird losgebaut.
So kann Stadtentwicklung auch gehen, als eine Form von Public Private Partnership, von der alle etwas haben. Nicole Haft-Zboril, Leiterin des Immobilienmanagements der BMW-Group macht aus der Absicht keinen Hehl: „Mit dem Wettbewerb möchten wir unserer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen und uns aktiv an der Quartiersentwicklung rund um das Werk beteiligen. Damit schaffen wir ein langfristig zukunftsfähiges Arbeits- und Produktionsumfeld.“
Das ist zwar nicht akut gefährdet, aber der Groll dürfte bei den zu zwei Dritteln zur Miete wohnenden Münchnern stärker werden. Denn aktuellen Prognosen der Stadtplaner zufolge sollen bis 2040 rund 250.000 Neubürger hinzukommen. Da helfe nur „bauen, bauen, bauen“, rät die bayerische Bauministerin Kerstin Schreyer. Zur Not Werkswohnungen wie in der Gründerzeit. Die Wirtschaft braucht Fachkräfte. Ohne bezahlbaren Wohnraum kommen die aber nicht.
An die Vorstädte lässt sich das Problem nicht mehr delegieren. Bisher wichen viele Münchner auf die Nachbarkreise aus, wo die Mieten noch erschwinglich waren. Doch auch im Umland wird das Wohnen immer teurer. Das liegt nicht nur am Zuzug. Viele Bio-Münchner, von den Corona-bedingten Einschränkungen genervt und von billigen Darlehen angestachelt, streben vor die Tore der Stadt, um Platz für Kinderzimmer und Homeoffice zu haben.
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Aber weil auch ihre Kinder KiTas, Schulen und Schwimmbäder benötigen, sind selbst wohlhabende Kommunen in einem Teufelskreis gefangen: Bauen sie zur Freude von Alt- und Neubürgern ihre Wohngebiete samt Umfeld aus, weckt das Begehrlichkeiten. Weisen sie dann neue Industrieparks aus, um das Gewerbesteueraufkommen zu erhöhen, stehen über kurz oder lang die Unternehmer beim Bürgermeister auf der Matte: Ihr seid schuld, dass wir keine Fachkräfte bekommen. Wo, bitteschön, sollen die denn wohnen?
Mit Glück in den eigenen vier Wänden. Angesichts der zu erwartenden Wertsteigerung ihres in Grund und Boden investierten Spargroschen dürften sich manche Eigentümer sogar still vor sich hin freuen. Wäre da nicht das Nadelöhr des schon jetzt ausgelasteten öffentlichen Personennahverkehrs, der künftig sogar noch mehr leisten muss, weil die Bürger ja ihre Autos öfter in der Garage stehenlassen sollen. Es ist wie mit der zu kurzen Bettdecke: Irgendwo friert man immer.
Angesichts einer Herausforderung, bei der jeder Lösungsversuch einen Rattenschwanz an neuen Problemen mit sich bringt, hat der Münchner Stadtrat im Juli die bestehenden Regelungen für die Sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN) verschärft. Sie gilt für große Baugebiete, für die in Zukunft ein Bebauungsplan erstellt wird. Gegen kollektiv pendelnde und artig tilgende Jetzt-schon-Eigenheimbesitzer haben die Münchner Stadtplaner nichts. Ein Dorn im Auge sind ihnen aber diejenigen, die angesichts eines Grundstücks mit hoher Geschossflächenzahl innerhalb der Stadtgrenzen von schnell abgreifbaren Fantastilliarden träumen.
In Gebieten mit neuen Bebauungsplänen wird deshalb ärter durchgegriffen: Auf privatem Bauland sind 60 Prozent der Wohnfläche dem geförderten und preisgebundenen Segment vorbehalten, 20 Prozent stehen für den freifinanzierten Mietwohnungsbau zur Verfügung und nur noch 20 Prozent sind für das freifinanzierte Wohneigentum reserviert. Das soll den Anteil der neugebauten preisgedämpften Mietwohnungen, angepeilt wird ein Quadratmeterpreis von 10 bis 15 Euro, drastisch ansteigen lassen. Und damit es sich nicht nur preiswert, sondern auch lebenswert wohnt, sollen die Grundeigentümer bei der Quartiersentwicklung mithelfen. Im Basismodell müssen sie sich mit 175 Euro pro Quadratmeter Geschossfläche an den Kosten der sozialen Infrastruktur wie Straßen, Kindergärten und Grünflächen beteiligen. Schluss ist auch mit der anrüchigen Methode, Mietwohnungen nach einigen Jahren in Wohneigentum umzuwandeln. Die Bindungsdauer für den geförderten preisgedämpften sowie den freifinanzierten Mietwohnungsbau beträgt künftig durchgehend 40 Jahre.
Zur Umsetzung des Plans hat die Stadt ein komplexes Punktesystem für Wohnungsbauer entwickelt. Es setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen: Anteil der geförderten Wohnungen, Anteil der Mietwohnungen, Höhe der Infrastrukturabgabe, Anteil des verkauften Baulands an die Stadt sowie der Anteil des verkauften Baulands an Genossenschaften. Je mehr Sozial- und Mietwohnungen die Investoren bauen, desto mehr Punkte bekommen sie. Mindestens 100 sind nötig, um von der Stadt das Baurecht zu bekommen.
Kritiker bezweifeln, dass das Wohnen in München dadurch billiger wird. Aber vielleicht ein Stück weit gerechter.
Karen Engelhardt
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