Debatte um stilles Betteln:Eine reiche Gesellschaft muss Armut aushalten können

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In der Münchner Fußgängerzone ist jegliche Form des Bettelns seit 2014 untersagt. Dennoch knien nach wie vor Menschen auf dem Boden und bitten Passanten um Geld - so wie dieser Mann im Februar 2016. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Mit ihrer Forderung nach einem umfassenden Bettelverbot in der Starnberger City schießen die Gewerbereferenten über das Ziel hinaus.

Kommentar von Linus Freymark, Starnberg

Niemand hat das Elend dieser Welt gerne vor der eigenen Haustüre. Die tägliche Konfrontation mit den Verlierern unseres Wirtschaftssystems deprimiert. Und sie kann, so die Befürchtung einiger Starnberger Ladeninhaber, auf den Einzelhandel heruntergebrochen zu Umsatzeinbußen führen. Niemand betritt schließlich gerne ein Geschäft, wenn einem an der Türe ein klimpernder Pappbecher entgegengehalten wird oder man gar aktiv nach Kleingeld gefragt wird. Und auch für die Geschäftsleute selbst ist die Auseinandersetzung mit den Bettelnden vor der Ladenzeile eine Aufgabe, für die sie wie die meisten von uns keine Zeit und auf die sie keine Lust haben. Die Forderung nach einem Bettelverbot in der Starnberger Innenstadt, das explizit auch das stille Betteln umfassen soll, ist deshalb zwar nachvollziehbar - schießt aber über das Ziel hinaus.

Sicher: Gegen aggressives Betteln kann und sollte man vorgehen. Das Bedrängen von Passanten gehört verboten. Wer etwas geben möchte, soll das aus eigenem Willen tun. Auch das Betteln mit Kindern oder das offensive Zurschaustellen vermeintlicher Behinderungen - oft eine Masche der organisierten Bettelei, bei der die Bettelnden ihren Tagesverdienst an dunkle Hintermänner abliefern müssen - ist zu untersagen. Solche Strukturen, in denen Armut auch noch ausgenutzt wird, gehören durchbrochen. Und mit einem örtlichen Verbot bestimmter Formen des Bettelns würde man den Strippenziehern ihre kriminellen Machenschaften erschweren.

Zwar ist es rechtlich nicht unmöglich, auch das stille Betteln lokal begrenzt zu untersagen, München macht es vor. Aber: Auch arme Menschen sind Teil unserer Gesellschaft und sollten nicht noch weiter an den Rand gedrängt werden. Und stören Menschen, die still mit einem Becher auf der Straße sitzen, tatsächlich so sehr, dass es ein Verbot braucht?

Den Antrag der Gewerbereferenten werden die Stadtgesellschaft und in letzter Instanz die Stadträte deshalb breit diskutieren müssen. Man kann das Problem der ungerechten Verteilung der weltweiten Ressourcen zwar nicht auf lokaler Ebene lösen. Aber ihre Folgen muss man aushalten können.

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