Weltklimagipfel in Paris:Es ist fast zu spät

Die Ergebnisse internationaler Klimagipfel sind bislang deprimierend, das wird sich auch nach Paris im Dezember nicht ändern. Wichtig ist, sich eine Politik für danach zu überlegen - und wie sich Deutschland schützen muss, sollten alle Bemühungen scheitern.

Von Lutz Wicke

Die Kassandras sind leise geworden. Nur noch selten sind ihre Warnungen vor der Erderwärmung zu hören. Nicht etwa weil sie falsch lägen, es will ihnen nur kaum noch jemand zuhören. Zu sehr steht das Ziel im Vordergrund, auf der UN-Klimakonferenz im Dezember in Paris überhaupt ein globales Abkommen zum Schutz des Klimas zu erreichen. Keiner der gut 20 000 Klimaexperten, die sich derzeit auf Paris vorbereiten, wagt es offen zu sagen: Mit dem Nachfolger des Kyoto-Protokolls, dem Paris-Protokoll, wird sich das Ziel niemals erreichen lassen, die Erwärmung der Erdatmosphäre auf zwei Grad zu begrenzen.

Die Erfahrung zeigt: Wenn, wie im Paris-Protokoll vorgesehen, alle Staaten nationale Beiträge zur Verringerung der Emissionen nur unverbindlich versprechen, dann wird der Klimawandel nahezu unvermindert fortschreiten. Diese Beiträge werden de facto bestimmt von nationalen ökonomischen, sozialen und wahltaktischen Aspekten. Für die meisten Staaten gilt das Motto "Jeder gibt so wenig, wie er kann".

Bisher sind die Ergebnisse deprimierend. China wird bis 2030 alles abgreifen, was die anderen Staaten - hoffentlich - an Emissionsminderung leisten werden. Danach will China seine Emissionen zwar nicht mehr erhöhen - es kann dann aber statt wie heute zehn jährlich 15 bis 20 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ausstoßen - bei gegenwärtig weltweit 36 Milliarden Tonnen.

"Desaströser Klimawandel" bis 2100

Das heißt: China und Indien werden bis 2030 zusammen ungefähr neun Milliarden Tonnen mehr emittieren, EU und USA gemeinsam nur etwa 2,5 Milliarden Tonnen weniger. Und so gut wie alle anderen Staaten zusammen werden ebenfalls (viel) mehr emittieren als bisher.

Und dann tritt voraussichtlich bis 2100 mit plus fünf bis sechs Grad genau das ein, wovor die Internationale Energieagentur (IEA) seit Jahren gewarnt hat: ein "desaströser Klimawandel". Doch am total unwirksamen Prinzip des Klima-Klingelbeutels wird nicht gerüttelt. Völlig zu Recht hat sich Hermann E. Ott, Klimaexperte des Wuppertal-Instituts, empört: "Warum steht denn keiner auf und brüllt: Der Kaiser ist ja nackt!"

Vorbei kommen wir am Paris-Protokoll allerdings nicht mehr, es muss als Überbrückung hingenommen werden. Immerhin stellt es die völkerrechtliche Basis für weiteren Klimaschutz dar, schreibt das Zwei-Grad-Ziel offiziell fest und soll die Ausgleichszahlungen an Länder regeln, die durch den Klimawandel besonders gefährdet sind. Notwendig ist jedoch eine wirksame Politik "Beyond-Paris", die die Fehler des bisherigen Systems vermeidet.

Nur globales System kann das Klimaproblem lösen

Wie lässt sich dies Ziel erreichen? Eine Reihe unabhängiger Top-Wissenschaftler sollte 2016 beginnen, Vorschläge für ein Beyond-Paris-Abkommen zu erarbeiten. Es wäre ratsam, dafür den Ansatz der unverbindlichen nationalen Beiträge fallen zu lassen und stattdessen eine global wirkende Preis- oder Mengensteuerung der Emissionen zu vereinbaren.

Bereits 2009 sagte Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: "Ohne ein globales Emissionshandelssystem kann das Klimaproblem nicht gelöst werden - weder die Förderung erneuerbarer Energien noch der Ausbau der Kernenergie noch nationale oder regionale Alleingänge können daran etwas ändern."

Um ein neues System durchzusetzen, muss allerdings der Widerstand von Bremser-Staaten überwunden werden. Das ist schon einmal gelungen: Bei der Klimakonferenz 2012 in Durban kam es zu einer Allianz aus EU, den afrikanischen Staaten, den kleinen Inselstaaten sowie den am wenigsten entwickelten Staaten.

Das Motto: "Jeder rette sich, so gut er kann"

Diesen 120 Ländern gelang es, das Kyoto-Protokoll zu retten und den Grünen Klimafonds zu fixieren. Von 2020 an könnte sich eine noch breitere New Climate Alliance (NCA) aus etwa 150 der 192 Vertragsstaaten bilden. Zu diesem Zeitpunkt wird sich das völlige Scheitern der bisherigen globalen Klimapolitik nicht mehr leugnen lassen.

Die Experten sollten ihre Vorschläge deshalb Anfang der 2020er-Jahre einigen Politikern solcher Länder vorstellen, die die Keimzelle einer neuen Klima-Allianz bilden könnten. Diese entscheiden, was tatsächlich verfolgt werden sollte, und suchen sich weitere Koalitionspartner. Gegebenenfalls müsste die Allianz es auch auf einen Showdown ankommen lassen: Entweder, es wird ein wirksames Weltklimaregime installiert, oder die Allianz droht damit, die globale Klimapolitik für definitiv gescheitert zu erklären.

Dann bliebe jedem einzelnen Staat nur noch das Motto: "Jeder rette sich, so gut er kann." Für Deutschland hieße das: Die deutsche Klimaschutzpolitik sollte sich dann viel stärker als bisher an den eigenen Interessen orientieren und nicht wie bisher ohne große Rücksicht auf die Kosten versuchen, primär nationale Anstrengungen zum Weltklimaschutz zu leisten: Da der deutsche Beitrag gegenüber den Mehremissionen anderer Staaten fast belanglos ist, wird gelten müssen: Höhere Aufwendungen für die nationale Vorsorge gegen klimabedingte Extremwetterereignisse haben eindeutig Vorrang vor Ausgaben und Subventionen zur Senkung deutscher Emissionen.

Die Verweigerer tragen die Verantwortung

Wenn es definitiv keine wirksamen globalen Klimavereinbarungen gibt, ist es nicht nur nicht verwerflich, sondern sinnvoll, sich auf drei Arten von Maßnahmen zu beschränken: Erstens: Wegen der zu befürchtenden Fluten muss der Küstenschutz wesentlich verstärkt werden. Auch andere Kommunen werden sich auf noch viel extremere Wetterereignisse einstellen müssen.

Zweitens sollten nur noch solche Maßnahmen gefördert werden, die mittel- und langfristig rentabel sind: Also solche Maßnahmen, die ohne Dauersubventionen dem Lebens- und Wirtschaftsstandort Deutschland helfen, etwa durch Senkung des Energiepreisniveaus für Verbraucher und Wirtschaft. Notwendig wäre es, einen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit (etwa durch Entlastung ärmerer Strombezieher) und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu leisten und nicht - wie heute - die Energiepreise weiter steigen zu lassen. Drittens kann Solidarität mit den Höchstbetroffenen dann nur durch direkte Hilfe zur Selbsthilfe gezeigt werden.

Aber zunächst gilt es, mit aller Kraft die Voraussetzungen für ein wirksames Beyond-Paris-Klimaschutzsystem zu schaffen und dies auch durchzusetzen. Sollte es nicht dazu kommen können, trügen die Verweigerer die Verantwortung dafür, dass durch den Klimawandel die Lebensgrundlage von Milliarden Menschen zerstört wird, für neue Flüchtlingsströme und Konflikte mit unzähligen Opfern. Noch muss es nicht so weit kommen - auch wenn es fast schon zu spät ist.

Weltklimagipfel in Paris: Lutz Wicke, 72, ist ehemaliger Wissenschaftlicher Direktor am Umweltbundesamt. Der Artikel basiert auf einem Aufsatz, der am 2. Juni in der Zeitschrift "et - Energiewirtschaftliche Tagesfragen" erscheint.

Lutz Wicke, 72, ist ehemaliger Wissenschaftlicher Direktor am Umweltbundesamt. Der Artikel basiert auf einem Aufsatz, der am 2. Juni in der Zeitschrift "et - Energiewirtschaftliche Tagesfragen" erscheint.

(Foto: oh)
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