Verhaltensforschung:Wie Tiere Kinderbetreuung organisieren

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Einmal umgedreht und schon hast du vier Junge am Bein. Unter Zebramangusten kümmern sich nicht die biologischen Eltern um die Aufzucht der Kleinen. Stattdessen suchen sich die Jungtiere Paten, an die sie sich gewissermaßen ranschmeißen und als Vormund in Beschlag nehmen - egal ob diese wollen oder nicht. (Foto: mauritius images)

Von wegen Vater, Mutter, Kind - im Tierreich existieren zahlreiche verblüffende Betreuungsmodelle für den Nachwuchs.

Von Katrin Blawat

Erzieher gesucht! Für eine exklusive Eins-zu-eins-Betreuung der vier Wochen alten Kinder. Voraussetzungen sind ein Mindestmaß an Lebenserfahrung und ein guter körperlicher Zustand. Einsatzort: Uganda; Arbeitszeiten: rund um die Uhr. Der Job ist auf etwa zwei Monate befristet. Bei gleicher Qualifikation werden Weibchen benachteiligt, die demnächst eigenen Nachwuchs planen.

So könnte eine Stellenausschreibung unter Zwergmangusten lauten, die Paten für ihre Kinder suchen. Zweifellos ist das ein anspruchsvoller Job: Die Kleinen brauchen reichlich Nahrung in Form von Insekten, einen Partner für Spiel und Fellpflege sowie einen schützenden Bauch, unter dem sie sich bei Gefahr, Streitereien und zu viel Sonne verstecken können.

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Mutter und Vater selbst übernehmen diese Aufgaben für den eigenen Nachwuchs nur in den seltensten Fällen. Damit haben Zwergmangusten eine für Säuger wohl einzigartige Antwort auf die Frage "Und wer kümmert sich um die Kinder?" gefunden. Wenn die Jungen mit einem Monat den Bau verlassen, tritt die Mutter die Babybetreuung vollständig an ein anderes Gruppenmitglied ab. Wie eng dieses mit seinem künftigen Patenkind verwandt ist, spielt dabei überraschenderweise kaum eine Rolle ( Proceedings B, online). Nur in einem von 15 Fällen behalten Mutter oder Vater die Verantwortung für ihren eigenen Nachwuchs, sagt die Erstautorin der aktuellen Studie, Emma Vitikainen von der Universität Exeter. Zusammen mit Kollegen hat sie eine Zebramangusten-Kolonie in Uganda beobachtet, in der die Forscher die Familienverhältnisse kennen.

Die kleinen Raubtiere sind nicht die einzigen Tiere, die Wege jenseits des klassischen Betreuungsmodells à la Vater-Mutter-Kind praktizieren. Unter Säugern, Fischen und Vögeln gibt es viele Definitionen dessen, was in der Kinderbetreuung "normal" und "natürlich" ist.

Sogar über das Schwangerwerden lässt die Natur mit sich verhandeln. Bei den Seepferdchen (die zu den Fischen zählen) werden die Männchen trächtig. Das Weibchen spritzt ihnen beim Sex die Eier in eine Bauchtasche, die unter anderem Nährstoffe liefert. Nach anderthalb Wochen gebärt das Männchen den Nachwuchs. Allerdings verhalten sich trotz dieses Rollentausches männliche und weibliche Seepferdchen in anderen Aspekten der Fortpflanzung sehr konventionell, wie Laborversuche an der University of Cambridge in den 1990er-Jahren gezeigt haben. Zum Beispiel gehen die Männchen die Partnersuche kompetitiver und mit mehr Show-Effekten an als die Weibchen. Und wenn die Seepferdchen-Jungen nach anderthalb Wochen geschlüpft sind, versorgen sie sich von Anfang an selbst - auch eine Art, das Betreuungsproblem zu lösen.

Die kleinen Zebramangusten kämpfen untereinander um die Gunst der besten Erzieher

Im Gegensatz dazu wirkt das Verhalten der erwachsenen Zebramangusten immerhin insoweit vertraut, als dass ihre Jungen eine Zeit lang intensiv umsorgt werden. Von wem, darüber entscheidet das Kind. Die leiblichen Eltern haben Vitikainens Daten zufolge dabei nur eine geringe Chance, zum Zuge zu kommen. Umso bizarrer wirkt, dass sich Zebramangusten-Jungen bevorzugt Paten suchen, die selbst gerade Eltern geworden sind. Ein Weibchen, das kurz vor seinem eigenen Wurf steht, gilt dagegen nicht gerade als Lieblings-Patin. Außerdem bevorzugen die kleinen Zebramangusten gleichgeschlechtliche Betreuer.

Die Entscheidung für einen Paten fällt nicht nur friedlich. In den ersten Tagen, nachdem alle Jungen einer Gruppe gleichzeitig den Bau verlassen haben, beißt ein Zebramangusten-Kind andere Gleichaltrige aus der Nähe jenes Alttieres weg, das es zu seinem Paten erwählt hat. "Aggressive Monopolisierung" nennt das Co-Autor Jason Gilchrist. Meist schaffen es die properen Jungtiere aufgrund ihrer körperlichen Überlegenheit, sich einen Paten zu sichern, der besonders eifrig Nahrung heranschafft: Wer hat, dem wird gegeben.

Einen Paten kümmert es dagegen zunächst nicht, für wen er die nächsten zwei Monate verantwortlich ist. Er oder sie füttert anfangs einfach jenes Jungtier, das ihm am dichtesten auf den Fersen bleibt. Nach ein oder zwei Wochen lässt sich aber auch der Pate auf die exklusive Beziehung ein und verjagt andere Jungtiere, wenn sie ihm zu nahe kommen.

Ein solch ungewöhnliches Modell der Kinderbetreuung zu erklären, fällt den Wissenschaftlern schwer. Auch deshalb, weil die Patenschaften der Zebramangusten zum Teil der sogenannten Hamilton-Regel widersprechen. Ihr zufolge sollte ein Tier bei sonst gleichen Umständen einen nahen Verwandten vor anderen Artgenossen bevorzugen, um die Chance zu erhöhen, indirekt möglichst viele seiner eigenen Gene weiterzugeben.

Wie passt dazu das Paten-Modell der Zebramangusten, bei dem sich die Eltern als engste Verwandte von ihren Kindern abwenden? Vermutlich könnten es sich die jungen Zebramangusten leisten, bei der Wahl ihrer Paten die genauen Verwandtschaftsverhältnisse außer Acht zu lassen, da alle Mitglieder der Kolonie ohnehin irgendwie miteinander verwandt sind, argumentieren die Autoren um Vitikainen. Dann spiele es wohl keine Rolle mehr, ob der Pate zum Beispiel ein Halb- oder Vollgeschwister ist. Im Gegenteil: Möglicherweise schütze es den Nachwuchs sogar vor Infantizid, wenn die familiären Spuren verwischt werden.

Wer Teil der Gruppe bleiben will, der muss gefälligst bei der Aufzucht helfen

Eine Erklärung fällt den Forschern auch deshalb nicht leicht, weil exklusive Eins-zu-eins-Patenschaften bisher nur von Zebramangusten bekannt sind. Was jedoch nicht heißt, dass es im übrigen Tierreich an kreativen Fürsorge-Lösungen mangele. Zebramangusten mögen eine extreme Art der Fremdbetreuung praktizieren, doch Elemente ihres Modells finden sich auch bei weiteren Arten. So ist es grundsätzlich beliebt, andere Erwachsene, ob verwandt oder nicht, als Co-Betreuer hinzuzuziehen. Elefantenkälber zum Beispiel können auf die Unterstützung anderer weiblicher Gruppenmitglieder bauen, in seltenen Fällen sogar bei ihnen saugen.

Auch die mit den Zebramangusten verwandten Erdmännchen setzen auf diese Art der Fremdbetreuung. Bei ihnen sind es vor allem kinderlose Weibchen, die sich mit um den Nachwuchs ihrer Geschlechtsgenossinnen kümmern - allerdings nicht im Rahmen exklusiver Zweier-Beziehungen wie bei den Zebramangusten. Außerdem halten sich die Männchen raus. Sie verlassen nach der Pubertät ihre Ursprungs-Gruppe. Daher hätten sie selbst nichts davon außer Zeit- und Energiekosten, würden sie sich für die Jungen anderer engagieren.

Denn auch das gehört zum Blick auf die Kinderbetreuung im Tierreich: Wer sich um fremden Nachwuchs kümmert, tut das nicht ohne Eigennutz. Besonders offen zeigt sich diese stets präsente Kosten-Nutzen-Kalkulation bei afrikanischen Buntbarschen. Für diese im Tanganjikasee heimischen Fische heißt es für rangniedrige, kinderlose Weibchen knallhart: "Pay to stay", frei übersetzt: Willst du in der Gruppe bleiben und deren Schutz genießen, dann arbeite gefälligst dafür und hilf mir mit meinem Nachwuchs! In der Buntbarsch-Welt bedeutet das etwa, den Ablageplatz für die Eier vorzubereiten - eine sehr energiezehrende Arbeit - und die Eier zu beschützen. Besonders anstrengen müssen sich Weibchen, die nicht mit der werdenden Mutter verwandt sind und nicht auf ein familiär begründetes Bleiberecht vertrauen können, wie Forscher um Markus Zöttl von der Uni Bern im Fachmagazin Nature Communications beschreiben.

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Auch die Praxis, die Betreuung des Nachwuchses nach dessen Geschlecht aufzuteilen, findet sich nicht nur unter Zebramangusten. Ähnlich halten es einige Vögel, etwa ein Madagaskarweber. Auch bei ihm versorgt der Vater die Söhne, die Mutter die Töchter. Beim Graudrossling hingegen kümmern sich die Eltern ausschließlich um den Nachwuchs mit dem jeweils anderen Geschlecht. Möglicherweise resultiert das aus dem Versuch der Männchen, sich keine Konkurrenz im eigenen Nest heranzuziehen. Ein anderer Singvogel, die Südseegrasmücke, achtet zwar nicht auf das Geschlecht ihrer Jungen. Dennoch teilen sich auch hier Mutter und Vater einen jeweils festen Teil des Nachwuchses zu, nachdem dieser erstmals das Nest verlassen hat. Wer sich um die Kinder kümmert, dazu sind der Natur eben sehr verschiedene Ideen gekommen.

© SZ vom 12.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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