Raumsonde "Rosetta":Ein Pieps um 19.18 Uhr

Raumsonde Rosetta

Nach dem "Aufwachen" steht Raumsonde "Rosetta" ihre große Mission erst noch bevor: die Erkundung eines Kometen.

(Foto: AFP)

Montagabend, die Forscher im Raumfahrtkontrollzentrum Darmstadt bangen: Wird sich "Rosetta" zurückmelden? In Hunderte Millionen Kilometer Entfernung steht der Raumsonde nun eine wichtige Mission bevor.

Von Alexander Stirn

Es wäre nur ein kleiner Pieps für eine Raumsonde, aber ein großer und wichtiger Schritt für die europäische Raumfahrt. Nur: Die Raumsonde piepst nicht.

Montagabend, 18.30 Uhr. Andrea Accomazzo sitzt vor seinem Monitor im Europäischen Raumfahrtkontrollzentrum Esoc in Darmstadt. Er wartet, er bangt. Doch alles, was der Projektleiter dieser Mission auf dem Bildschirm sieht, ist das Rauschen aus den Tiefen des Alls. Eine grüne, flache, zitternde Linie. Kein Signal von der Euro-Raumsonde Rosetta. Nichts.

Gut 31 Monate hat die Sonde, die seit März 2004 im Weltall unterwegs ist, nichts von sich hören lassen. Das war geplant. Rosetta war - um Strom zu sparen - in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt worden. Doch jetzt soll sie wieder ihre Arbeit aufnehmen. Sie soll, als weltweit erstes Raumschiff, einen Kometen anfliegen, ihn ein Jahr lang umkreisen und dabei sogar eine Tochtersonde auf dem eisigen Himmelskörper absetzen.

Doch dazu müsste Rosetta sich nach fast 1000 Tagen wieder bei der Erde melden.

Umweltfreundlich: "Rosetta" fliegt allein mit Solarenergie

"Diese Art des Winterschlafs ist nie zuvor versucht worden", sagt Andrea Accomazzo. "So ganz wohl fühlen wir uns nicht dabei." Die Kontaktpause war allerdings unumgänglich. Im Gegensatz zu allen anderen Sonden, die sich bisher ähnlich weit von der Sonne entfernt hatten, hat Rosetta keine Radionuklidbatterie an Bord. Solch ein Minikraftwerk verwandelt Wärme aus radioaktiven Zerfällen in Strom. Rosetta dagegen fliegt allein mit Solarenergie. Umweltfreundlich.

Die Kraft der Sonne reicht in den weit entfernten Regionen des Alls, in denen sich die Sonde derzeit aufhält, aber gerade mal, um die Temperatur an Bord über dem Gefrierpunkt zu halten. Drei von vier Bordcomputern mussten auf der langen Reise abgeschaltet werden, erzählt Gunther Lautenschläger, Projektmanager beim Raumfahrtkonzern Airbus Defence and Space, der die Sonde gebaut hat. Der eine verbliebene Rechner hatte einzig die Aufgabe, den Wecker zu stellen und die Heizung zu kontrollieren. Folglich blieb Accomazzo und seinem Team nichts anderes übrig, als die Sonde in einen fast zweieinhalbjährigen elektrischen Winterschlaf zu schicken.

Es ist 18.57 Uhr. Noch immer kein Pieps.

Sterne erkennen, Position ermitteln, Rotation bremsen

Bereits einige Stunden zuvor müsste Rosetta ihren Wecker gehört haben. Anschließend sollte die Sonde ein Aufwärmprogramm durchlaufen. Sie sollte Kameras auf Temperatur bringen, die Sterne erkennen und so die Position ermitteln. Sie sollte ihre Rotation bremsen, die bislang nötig war, um ohne Hilfe eines Bordcomputers stabil durchs All zu fliegen. Sie sollte ihre zwei Meter große Antenne auf die Erde ausrichten und sich um 18.30 Uhr melden.

Zwei Jahre lang hatten die Ingenieure den Winterschlaf und dessen Abschluss am Boden durchgespielt. Sie hatten für alle Eventualitäten eine Automatik eingebaut. Der Bordcomputer zum Beispiel durfte sich bei einem Stromausfall lediglich neu starten und den Countdown zum Aufwecken an der zuletzt gespeicherten Stelle fortsetzen. Unter keinen Umständen durfte er Alarm schlagen und den Rest der Sonde aktivieren. Niemals. "Wie ein Bär, der während seines Winterschlafs nicht durch Kleinigkeiten geweckt werden darf und dann ohne Futter in der Kälte herumirrt, durfte auch Rosetta nicht durch irgendwelche Probleme wachgerüttelt werden", sagt Gunther Lautenschläger. "Es galt: Augen zu, Ohren zu, stillhalten."

Eisige Botschafter aus den Urzeiten des Sonnensystems

Stille herrscht auch im Esoc-Kontrollraum. Noch ist das kein Grund zur Panik, Rosetta darf sich nach dem langen Schlaf ruhig Zeit lassen. Aufwärmen kostet Zeit, Uhren können falsch gehen. Allen Anwesenden ist aber klar: Wenn bis 19.30 Uhr kein Signal angekommen ist, hat Darmstadt ein Problem. Europa auch.

Planetenforscher stünden in diesem Fall vor einem herben Rückschlag. Kometen zu erkunden ist hochinteressant. Sie gelten als eisige Botschafter aus den Urzeiten des Sonnensystem. Während die Materie in anderen Himmelskörpern durch geologische Prozesse und die Strahlung der Sonne in den vergangenen 4,6 Milliarden Jahren verändert wurde, ist sie in Kometen - wie in fliegenden Kühltruhen - erhalten geblieben. "Einen Kometen vor Ort zu untersuchen ist, als würde man ein Fenster zurück in die Zeit öffnen und auf die Anfänge unseres Sonnensystems sowie seine Evolution blicken", sagt Alvaro Gimenez, Wissenschaftschef der Europäischen Raumfahrtorganisation Esa. Das macht Kometen so interessant, und das macht die Rosetta-Mission so wertvoll.

Um 19.18 Uhr kommt die Erlösung. Es piepst.

Andrea Accomazzo springt auf, jubelt, umarmt seine Kollegen. Ob Rosetta beim Aufwachen mit Problemen zu kämpfen hatte, wird sich erst in den kommenden Tagen zeigen. Der grüne Pieps, genau genommen ein hochfrequentes Trägersignal mit etwa zwei Gigahertz, enthält noch keine Informationen über den Zustand der Sonde; diese Daten müssen Accomazzo und sein Team erst anfordern. Das dauert: Beim derzeitigen Abstand von fast 810 Millionen Kilometern zwischen Erde und Sonde brauchen Signale fast 45 Minuten.

ESA Director General Dordain and ESOC Director General Reiter react after ESA's satellite Rosetta resent a signal to ESOC in Darmstadt

Jubel in Darmstadt: "Rosetta" meldet sich mit einem Pieps aus ihrem Winterschlaf.

(Foto: Reuters)

Sie hat offenbar ausgeschlafen

Auch Stephan Ulamec atmet tief durch. Der Projektleiter vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist verantwortlich für Philae, Rosettas Landeeinheit. Im November soll sich das kühlschrankgroße Raumfahrzeug von der Muttersonde lösen und mit einer Geschwindigkeit von drei bis vier Kilometern pro Stunde auf dem Kometen andocken.

"Noch wissen wir nicht, auf welche Bedingungen wir dort stoßen", sagt Ulamec. "Die Oberfläche kann extrem weich sein, wie Pulverschnee auf der Erde, oder aber extrem hart." Im August und September soll Rosetta den Kometen daher kartieren. Die DLR-Forscher sind zudem gut vorbereitet: Um von einer allzu harten Oberfläche nicht abzuprallen und ins All zurück geschleudert zu werden, verfügt Philae über Stoßdämpfer an seinen vier Beinen. Er kann sich mit einer Harpune im Boden verankern und hat Eisschrauben unter den Sohlen. Lediglich mit einer Eventualität wird die Sonde nicht klarkommen: einer extrem unebenen Oberfläche. "Letztlich können wir nur hoffen, auf dem Kometen keine Landschaft mit meterhohen Eiszapfen anzutreffen", sagt Ulamec.

Philae darf noch bis Ende März schlafen, bevor der Lander zusammen mit den weiteren Bord-Instrumenten an Bord geweckt werden soll. Rosetta dagegen wird in den kommenden Wochen jede Menge Tests durchlaufen, um sicherzugehen, dass die Zwangspause keine Spuren hinterlassen hat. Viel Arbeit für die Sonde. Aber immerhin: Sie hat offenbar ausgeschlafen.

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