Psychologie:Glückliche Jagd nach sinnlosen Punkten

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Viele Besucher von Fitnessstudios motivieren sich mithilfe von Apps und Punktezahlen. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Fitness-Apps, Schulen und selbst die CDU nutzen heute Bonussysteme. Forscher zeigen nun: Selbst völlig sinnfreie Punktezahlen steuern menschliches Verhalten.

Von Sebastian Herrmann

Der Ernst des Lebens tarnt sich heute als unendlicher Spaß. Sogar bei der CDU, die kaum als vergnügungssteuerpflichtige Vereinigung gilt, setzen Strategen auf den Spieltrieb des Menschen. Per App hat die Partei im Wahlkampf Nordrhein-Westfalens Unterstützer mobilisiert, indem diese mit Punkten belohnt wurden für diverse Tätigkeiten, etwa bei Facebook posten, Freunde behelligen oder an fremden Haustüren klingeln. Die CDU-Fans wurden dadurch belohnt, dass sie ihren Status von "Lehrling" bis auf "Wahlkampf-Legende" steigern konnten - Wahlkampf als Spiel, in dem Punkte und die Jagd nach einem Highscore motivieren.

Das Prinzip funktioniert, und es wird stetig ausgeweitet. Wer einst nur Bonus-Herzen an der Supermarktkasse gesammelt hat, der kann sich heute fast überall mit Punkten motivieren. Fitness-Apps zählen Schritte und verleihen dafür Auszeichnungen. Für Kinder mit Diabetes gibt es Programme, die jede Blutzuckermessung mit Punkten belohnen. Das gleiche Prinzip soll Schüler motivieren, sich in Bücher zu versenken. Im Internet können sie Auszeichnungen für jede gelesene Seite sammeln. Mercedes versucht Autobesitzer spielerisch zu erziehen, indem sparsame Fahrer sogenannte Bonus-Kilometer erhalten, die lediglich fleißbildchenhaften Wert haben.

Quatsch-Punkte wirken motivierend

Es reicht nämlich, Menschen mit bedeutungslosen Punkten auszuzeichnen, um ihr Verhalten zu steuern. Das zeigen die Sozialwissenschaftler Luxi Shen und Christopher Hsee in einer Studie im Fachmagazin Psychological Science. Sogar explizit als bedeutungslos angekündigte Zahlenwerte motivieren Menschen. Die Teilnehmer der Experimente mussten binnen drei Minuten ein Wort niederschreiben, so oft sie es schafften. Andere Probanden schwitzen im Fitnessstudio oder füllten im Akkord Formulare aus.

In allen diesen Versuchen war der Fortschritt auf einem Display abzulesen, das neben den relevanten Zahlen einen zusätzlichen, steigenden Wert anzeigte, den die Forscher zuvor als völlig aussagefrei angekündigt hatten. Auf die Psyche der Probanden wirkten die Quatsch-Punkte trotzdem, sie motivierten, schneller zu schreiben oder sich noch ärger zu quälen. Am stärksten wirkte der sinnlose Wert, wenn er mit wachsender Geschwindigkeit anstieg. Das erzeuge die Illusion, die immer schneller zunehmende Zahl spiegele die eigene Leistung wider - selbst wenn man wisse, dass sie aussagefrei ist, so Shen und Hsee.

Die Forscher bezogen ihren Antrieb für die Studie aus ihrer eigenen Sucht nach Apps, mit denen sie Ernährung und Sportprogramm quantifizieren konnten und numerisch belohnt wurden. "Diese Punkte ergaben für uns überhaupt keinen Sinn, genauso wie unsere Obsession dafür", sagt Shen. Nun wissen die Forscher: Die Punkte müssen gar keinen Sinn ergeben, sie wirken dennoch.

Doch das Leben lässt sich nicht ohne Nebenwirkung per spielerischer Zahlenskala optimieren. So berichtete Jordan Etkin jüngst im Journal of Consumer Research, dass die Jagd nach Punkten Spaß an Tätigkeiten zerstört. Wer Schritte zählt, die Leseleistung überwacht oder den Kalorienverbrauch beim Sex misst, der verliert leicht die Lust daran. Das kann auch ein Highscore nicht wettmachen.

© SZ vom 06.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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