Naturbäder:Schwimmen ohne Chlor und rote Augen

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Abkühlung im Naturseebad (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Naturbäder sind im Trend. Chlorgeruch gibt es dort nicht - dafür hat das Wasser einen Grünstich, und manchmal ist eine Schlange im Becken.

Von Andreas Frey

Lahr liegt im Rheintal am Schwarzwaldrand, aber die Luft kommt seit zwei Wochen aus der Wüste. Die kleine Stadt zwischen Freiburg und Offenburg glüht in der Saharahitze, und ihren Bewohnern bleibt nichts anderes übrig, als sich ins Freibad zu retten. Gestern 35, heute 37, morgen vielleicht 40 Grad. In Südbaden hat der Juli neue Kategorien von Hitze geschaffen: Es ist nicht mehr nur einfach heiß, sondern brüllend heiß. Willkommen in Deutschlands Ü35-Region.

Badewetter nonstop also. So auch im kleinen Schwimmbad in Sulz, jenem eingemeindeten Ort wenige Kilometer südlich der Lahrer Altstadt. Die Drehtür noch, dann steht man schon mitten im Freibad. Alles riecht vertraut: Wiese, Pommes, Sonnencreme. Aber etwas fehlt - Chlor! Und das ist Absicht. Denn hier am Schwarzwaldrand liegt eines der ältesten Naturbäder des Landes. Statt mit Chlor wird das Wasser rein biologisch aufbereitet. Öko liegt im Trend: Immer mehr Deutsche wollen natürlich baden, ganz ohne Chemie. Deshalb boomen Biobäder. Doch wie funktionieren sie? Und ist eine chlorfreie Abkühlung nicht unhygienisch?

In Sulz plätschert neben der Schwimmzone noch ein zusätzliches Becken vor sich hin, in dem das Wasser aufbereitet wird. Schilf wächst dort, weiße und rote Seerosen treiben darin, am Boden ist Kies ausgebracht. Insgesamt zirkulieren etwa 2000 Kubikmeter Wasser im gesamten Kreislauf. Auf den ersten Blick sieht das Wasser in den Schwimmbecken aus wie immer. Schaut man jedoch genauer hin, erkennt man im Gegensatz zum konventionellen Bad einen deutlichen Grünstich. Am Grund flitzen ein paar Kaulquappen umher, darüber gibt es Wasserläufer. Und ab und zu verirrt sich eine kleine Schlange in das Bad. Das ist nicht jedermanns Sache.

Ein paar Algen stören sicher nicht. Aber niemand möchte in einem Froschtümpel schwimmen

Die meisten Deutschen bevorzugen weiterhin das klassische Schwimmbad. Chlor ist sauber und gründlich, für manchen Gast allerdings zu gründlich. "Menschen mit Neurodermitis oder Lungenproblemen kommen deshalb zu uns", sagt Fred Snella, zweiter Vorsitzender des eigens gegründeten Vereins des Sulzer Naturbads. Ein Ökobecken erfordert einen Mentalitätswandel - und macht richtig viel Arbeit. "Zu tun hemma immer", sagt Snella. Je heißer der Sommer, desto mehr Arbeit kommt auf ihn und seine Vereinsfreunde zu. Denn erwärmt sich das Wasser schnell wie in dieser Woche, sprießen auch schon die Algen. Nach wenigen Tagen ist das Wasser grün. Dann muss er den Algenteppich täglich abtragen, die Skimmer säubern und die Einstiege schrubben, damit kein Badegast ausrutscht. Chemikalien sind im Naturpool strikt verboten. Das Wasser muss biologisch und mit Filtern gereinigt werden.

Vor vier Jahren wurde zusätzlich ein sogenannter Neptunfilter installiert, der wenige Meter vom Becken entfernt das Schmutzwasser ansaugt und durch Kalksplitt spült. Außerdem entfernt eine Art Schlammsauger nach Badeschluss den Grund des Beckens vom Schmutz. Täglich messen die Bademeister Wassertemperatur, Sauerstoffsättigung und pH-Wert. So soll die Temperatur die 25-Grad-Marke nicht oft übersteigen und darf nur wenige Tage auf maximal 28 Grad klettern. Denn wenn das Wasser zu warm ist, wird die Wasserpolizei bewegungsunfähig: Ciliaten, Flagellaten und Copepoden, die dazu beitragen, das Bad sauber zu halten.

Auch die Trübung des Wassers müssen die Bademeister im Blick behalten. Die Sichttiefe ist ein guter Indikator für die Wasserqualität: Zwei Meter muss man mindestens nach unten sehen können - der Grund des Beckens sollte immer zu erkennen sein. Wird das Wasser zu trüb, muss das Becken geschlossen werden. Wer gerne natürlich badet, den stören ein paar Algen sicher nicht. Trotzdem möchte niemand in einem Froschtümpel schwimmen. Um das zu verhindern, wird das Beckenwasser mit Proben, die man 30 Zentimeter unterhalb der Wasseroberfläche entnimmt, Woche für Woche hygienisch überwacht. Einmal im Monat werden Nitrat, Phosphor und der Härtegrad überprüft.

In Lahr-Sulz funktioniert die Wasseraufbereitung - meistens. An Spitzentagen, wenn mehr als 500 Besucher kommen, hat das Bademeisterteam jedoch große Mühe, die Wasserqualität zu halten. Anfang Juli, während der ersten Hitzewelle in diesem Jahr, musste das Bad für einen Tag schließen. Die Wassertemperatur war auf 29 Grad gestiegen und die Zahl der Pseudomonaden zu hoch. Diese Bakterien können vor allem bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem Lungen- oder Nierenbeckenentzündungen verursachen. In normalen Sommern kommt das zumeist nicht vor.

Aber was ist in diesem Hitzesommer schon normal? Jeder Badegast, der ins Biobecken springt, bringt Bakterien und Nährstoffe ins Wasser ein. Die belasten das Badewasser. "Um Krankheiten zu verhindern, wird das Wasser regelmäßig untersucht", sagt die Landschaftsarchitektin Ines Rohlfing von der Beuth-Hochschule für Technik in Berlin. Man testet das Wasser auf drei Bakterien: Kolibakterien, Enterokokken und eben jene Pseudomonaden. "Das Vorkommen dieser Bakterien zeigt an, ob Gesundheitsrisiken bestehen", sagt Rohlfing, die sich auf Naturbäder spezialisiert hat. Kolibakterien und Enterokokken, die im Darm des Menschen vorkommen, lösen selbst zwar nicht unbedingt Krankheiten aus. Doch wenn diese Bakterien gefunden werden, ist das ein Hinweis auf eine fäkale Verunreinigung.

In konventionellen Bädern wird das Wasser mit Chlor desinfiziert. Die Chemikalie reagiert mit Urin und Schweiß zu Chloraminen, die für den typischen Schwimmbadgeruch sorgen und mitunter rote, juckende Augen verursachen. Da sich gesundheitsschädliche Trihalogenmethane bilden, muss das Wasser regelmäßig ausgetauscht werden. In Deutschland sieht der Gesetzgeber dreißig Liter pro Tag und Badegast vor. "Riecht man die Chlorverbindungen, stimmt etwas nicht mit der Aufbereitung", sagt Ines Rohlfing.

Die biologische Reinigung ist kompliziert. Dafür muss das Wasser nie ausgetauscht werden

Im Biobecken übernimmt die Natur selbst die Reinigungsaufgabe. Biologisch betrachtet ist das Becken nichts anderes als ein kleines, geschlossenes Ökosystem, das Lebensgemeinschaften bildet und sich selbständig regeneriert. Wichtig ist, dass das Biobad im Gleichgewicht bleibt und nicht umkippt. Laub und planschende Badegäste bringen jedoch sehr viele Nährstoffe in das Wasser und belasten das Ökosystem. Daher müssen die Nährstoffe wieder aus dem System entfernt werden. Und deshalb wälzen Pumpen das Schwimmteichwasser beständig durch einen biologischen Filter. Dort baut sich ein sogenannter Biofilm aus Bakterien, Pilzen und anderen Mikroorganismen auf, der dem Wasser Nährstoffe entzieht und Keime tötet.

Um die Nährstoffe schließlich aus dem Bad zu bekommen, gibt es einen Trick: Der Bademeister stellt die Filterpumpe mehrere Tage lang ab. Das Wasser im Filter wird anaerob, weil der Biofilm sehr viel Sauerstoff verbraucht. Die Folge: Ein großer Teil des Biofilms löst sich im Filterwasser auf. Anschließend pumpt man das mineralhaltige Wasser ab. Es wird sogar mitunter als Dünger im Garten verwendet. Auf diese Weise können überschüssige Nährstoffe aus dem Biobad entfernt werden.

"Einfach ist die biologische Wasseraufbereitung nicht. Man kann viel falsch machen", sagt Franz Folghera vom Schweizerischen Verband für naturnahe Badegewässer und Pflanzenkläranlagen (SVBP). Folghera berät viele deutsche Naturbadbauer. Er ist überzeugt: "Eine positive Nährstoffbilanz ist das A und O im Schwimmteichbau." Nur so könne ein Naturbad funktionieren. Ein Wasserwechsel sei eigentlich nie nötig.

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Schwimmteiche werden seit den Neunzigerjahren gebaut - vor allem in Privatgärten. Wenige Tausend davon gibt es mittlerweile in Deutschland. Öffentliche Bäder mit biologischer Wasseraufbereitung gibt es derzeit nur etwa 200. Zum Vergleich: In Deutschland stehen 6000 Bäder.

Experten unterscheiden zwischen stehenden und fließenden Gewässern. Stehende Gewässer wie das in Lahr-Sulz benötigen viel Platz, nicht zuletzt für die Pflanzen. Da sie zudem schnell trüb werden, empfiehlt Franz Folghera, Naturbäder als fließende Gewässer zu bauen. Sie werden ständig durchströmt.

Doch nicht nur bei der Anordnung und Wartung der Bäder können Probleme auftauchen - sondern auch beim Personal. "Wer als Bademeister jahrzehntelang einen gechlorten Pool betreut hat, wird wahnsinnig mit einem biologischen Pool", sagt Folghera. Die Schulung der Bademeister sei mindestens genauso wichtig wie die Beschaffenheit des Bades selbst. "Wenn man sein Becken gerne mit dem Zahnbürsteli putzt, ist man beim Naturbecken am falschen Ort", sagt Folghera.

Die Bedenken gegenüber zu viel Öko im öffentlichen Bad teilen auch viele Kommunalpolitiker. Und das, obwohl Naturschwimmbäder in der Anschaffung deutlich billiger sind als konventionelle Bäder. Auch die Betriebskosten sind meistens niedriger. Dass die Ökobäder in Zukunft jedoch alle gechlorten Schwimmbäder ersetzen werden, ist unwahrscheinlich. Für viele Badegäste gehört der Geruch von Chlor im Freibad einfach dazu.

© SZ vom 17.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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