Klimawandel:Das 1,5-Grad-Ziel kann man vergessen

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Wissenschaftler mit Blick auf das Eis in der Arktis. (Foto: David Goldman/dpa)
  • Zwei Studien zeigen: Das 1,5-Grad-Ziel ist so unrealistisch, dass man es eher vergessen kann.
  • Das aktuelle Klimaabkommen sieht vor, die Erderwärmung auf zwei Grad - besser noch auf 1,5 Grad - zu begrenzen.
  • Physikalisch wäre das möglich, sagen Experten. Was fehlt, ist der politische Wille.

Von Marlene Weiß

Zwei Klimaziele hat die Welt 2015 in Paris vereinbart. Erstens wollen die Staaten die globale Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf weniger als zwei Grad im Vergleich zum Niveau vor Beginn der Industrialisierung begrenzen. Und zweitens sollen zugleich Anstrengungen unternommen werden, die Erwärmung sogar schon bei 1,5 Grad zu stoppen.

Schon lange zweifeln Klimaforscher daran, dass dieses zweite, noch ehrgeizigere Ziel überhaupt noch zu erreichen ist - zu langsam geht es bislang voran. Nun erscheinen zwei neue Studien im Fachblatt Nature Climate Change, die den Schluss nahelegen: Das 1,5-Grad-Ziel ist so unrealistisch, dass man es eigentlich getrost vergessen kann.

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Die beiden voneinander unabhängigen Studien haben unterschiedliche Ansätze. Die eine betrachtet rein physikalische Gesetzmäßigkeiten. Thorsten Mauritsen vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg und sein Kollege Robert Pincus von der University of Colorado haben untersucht, wie viel zusätzliche Erwärmung bereits heute im System Erde steckt. Auch wenn von morgen an alle Autos stehenblieben und kein Gramm Kohle oder Gas mehr verbrannt würde: Vorerst würde es weiter wärmer werden.

Das liegt etwa daran, dass die Ozeane träge auf den Treibhauseffekt reagieren und sich verzögert aufheizen. Außerdem würden nach dem Ende der Verbrennung fossiler Rohstoffe Aerosol-Partikel aus der Luft verschwinden, die derzeit noch kühlend wirken; beides führt zu zusätzlicher Erwärmung. Andererseits ist auch mit positiven Effekten zu rechnen: In der Atmosphäre würde Methan abgebaut, ein starkes Treibhausgas. Und auch die Ozeane würden weiter CO₂ aus der Luft aufnehmen, und so das Nach-Aufheizen der Erde etwas bremsen.

Das sind düstere Aussichten

Mauritsen und sein Kollege haben nun die weitere Erwärmung anhand von realen Messungen abgeschätzt; etwa der Wärmemenge, die die Ozeane bereits aufgenommen haben. Im Ergebnis kommen die Forscher auf eine schon heute unvermeidbare Erwärmung von 1,1 Grad Celsius im Vergleich zum Ende des 19. Jahrhunderts. Dieser Wert ist bereits bedenklich nah dran am angestrebten 1,5-Grad-Deckel. Das ist jedoch nur eine Schätzung, es kann auch mehr oder weniger sein, genau weiß man es nicht. Vielleicht würde sich die Erde auch bei einem sofortigen Emissionsstopp noch um 1,5 Grad oder mehr erwärmen. Das Risiko dafür geben die Forscher mit immerhin 13 Prozent an.

Das sind düstere Aussichten. Trotzdem hält Mauritsen fest, dass es durchaus möglich wäre, die 1,5-Grad-Marke zu erreichen - aus Sicht der Physik gesprochen. Er macht sich allerdings wenig Hoffnungen, dass es noch klappt mit dem Ziel. Das Problem sei die Politik, nicht die Technologie: "Menschen sind schlau", sagt er. "Wenn die ökonomischen Anreize so wären, dass sich Klimaschutz lohnt, dann würden sie es umsetzen."

Was die Politik angeht, macht die zweite Studie wenig Hoffnung. Ein Team um Adrian Raftery von der University of Washington in Seattle untersucht darin mögliche Entwicklungen, die der CO₂-Ausstoß der Menschheit nehmen könnte. Das Ergebnis steht dick und fett als Titel über der Studie: "Weniger als zwei Grad Erwärmung bis 2100 unwahrscheinlich". Die Forscher haben anhand historischer Daten und neuer Prognosen für das Bevölkerungswachstum abgeschätzt, wie sich die Emissionen realistischerweise entwickeln könnten. Sie gehen davon aus, dass sich zwar positive Trends durchaus verstärken können, aber keine plötzlichen dramatischen Sprünge im Klimaschutz auftreten. Wo sollten die auch herkommen? Anzeichen für einen schnellen globalen Kraftakt gibt es bislang nicht.

Das Ergebnis ist ein Spektrum vieler möglicher Pfade, die die Welt einschlagen könnte, von sehr wenig Klimaschutz bis hin zu recht forschem Handeln. Auch der Weltklimarat IPCC hatte in seinem jüngsten Bericht von 2013 solche Szenarien entworfen. Die neue Analyse von Raftery und seinen Kollegen zeigt: Unter den vier IPCC-Szenarien ist das schlimmste zwar mittlerweile zum Glück eher unwahrscheinlich geworden. Das optimistischste aber auch . Demnach dürfte es im Jahr 2100 vermutlich rund drei Grad wärmer sein als vor der Industrialisierung. Im besten Fall wären es nur zwei Grad, wenn es schlecht läuft, bis zu fünf. Dem 1,5-Grad-Ziel dagegen geben die Wissenschaftler geringe Chancen: Nach ihren Modellen wird es mit einer Wahrscheinlichkeit von nur einem Prozent erreicht.

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