Erderwärmung:Helfen Weltuntergangs-Szenarien dem Klimaschutz?

A family  wades through flood waters while evacuating Baseera, Pakistan

Ganz ausschließen kann man es nicht, dass Naturkatastrophen wie die Flut in Pakistan im Jahr 2010 künftig alltäglich werden. Aber Panikmache hilft nicht weiter, meinen viele Forscher.

(Foto: REUTERS)

Dürfen Wissenschaftler die Apokalypse ausmalen, um vor der Erderwärmung zu warnen? Kritiker von derlei "Klima-Porno" warnen: Das führt erst recht zu Resignation und Zweifeln.

Von Christopher Schrader

Der fieseste Drache der Klimaforscher hat viele Namen. Der derzeit gängigste lautet RCP8.5. Das Kürzel steht für das schlimmste anzunehmende Horrorszenario: Die Staaten der Welt stoßen genau wie in der Vergangenheit weiter Treibhausgase aus, ungehemmt und rücksichtslos. "Business as usual" nennt man das auch. Es bedeutet, dass die globale Erwärmung schon 2050 die Marke von zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit durchbricht und sich die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um die fünf Grad Celsius aufheizt. Zieht man alle Unwägbarkeiten in Betracht, ist es ein Szenario, mit dem man Angst und Schrecken verbreiten kann.

Aber ist das auch sinnvoll oder angemessen? Viele Wissenschaftler glauben inzwischen, dass dieser Drache gebändigt ist. Zwar räumen etliche auch ein, dass sie die im Klimaabkommen von Paris vereinbarten Ziele für unrealistisch halten. Mathematisch, physikalisch, technisch sei es möglich, die Erwärmung langfristig auf weniger als zwei Grad zu begrenzen - politisch, wirtschaftlich und kulturell fehlten jedoch entscheidende Voraussetzungen. Ein ungebremster Klimawandel sei aber auch nicht zu erwarten, sind sie überzeugt - auch wenn sie das lieber nicht so laut sagen, um keine Ausrede für Drückeberger zu liefern. Schließlich werden erneuerbare Energien immer billiger, die weltweiten Emissionen stagnieren bereits; und Hoffnung macht auch das Pariser Klimaabkommen, an dem die meisten Staaten beim G-20-Gipfel tapfer festgehalten haben.

In diese gute Stimmung platzte jedoch in der vergangenen Woche eine Titelgeschichte des US-Magazins New York. "Die unbewohnbare Erde", hieß sie; der Autor David Wallace-Wells beschrieb darin, welche extremen Folgen des Klimawandels Forscher für möglich - wenn auch für ziemlich unwahrscheinlich - halten. Dafür fütterte er den Drachen auch noch mit Aufputschmitteln. Er setzte nicht nur voraus, dass die Freisetzung von Treibhausgasen ungebremst weitergeht. Sondern der Klimawandel verstärke sich sogar noch, weil die Permafrostregionen der Erde auftauen und große Mengen Methan freisetzen.

"Das Ökosystem der Erde wird brodeln", heißt es im Artikel. Die Erde könne sich um sechs, acht oder gar zwölf Grad Celsius erwärmen; Naturkatastrophen würden alltäglich. Die Ozeane vergifteten sich selbst. Viele Regionen würden unbewohnbar, weil es die Menschen draußen wegen Hitze und Feuchtigkeit nicht mehr aushalten, geschweige denn arbeiten können. Die Produktion von Lebensmitteln bräche ein, die Weltwirtschaft könne auf die Hälfte schrumpfen, permanente Kriege stürzten die Völker weiter ins Elend.

Ein Magazinbeitrag wird als "Klima-Porno" kritisiert - weil er brutal das Äußerste schildert

Wallace-Wells stützt sich dabei auf seriöse Forscher. Doch er beschuldigt die Wissenschaft, ihre eigenen Ergebnisse weichzuspülen. Und er übt Kritik am Publikum: "Wir alle leiden an einem unglaublichen Mangel an Vorstellungsvermögen." Darum will der Journalist die Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit aufrütteln.

Das ist ihm gelungen. Der Artikel hatte sofort gewaltige Resonanz. Das war aus zwei Gründen erstaunlich: Nicht nur, weil das Thema Klimawandel in den USA überhaupt Aufmerksamkeit erregte, just als Details eines Wahlkampf-Treffens von Donald Trumps Sohn mit einer russischen Anwältin bekannt wurden. Sondern auch, weil beißende Kritik von unerwarteter Seite auf Wallace-Wells regnete. Nicht Klimawandel-Leugner meldeten sich zu Wort, die gern "alarmistische" Klima-Berichte verreißen. Stattdessen kritisierten Wissenschaftler Wallace-Wells, auch mehrere Online-Medien fielen über ihn her. Sie alle warnen üblicherweise selbst vor den Folgen der globalen Erwärmung.

Ein Forscher nannte den Artikel einen "Klima-Porno", und meinte damit wohl die ungefilterte und brutale Zurschaustellung von Extremen. Manche kritisierten sachliche Fehler: Die aus dem Permafrost drohende Gefahr sei längst nicht so dramatisch, der Zusammenhang von Klimawandel und Krieg nicht so klar - und sollte es tatsächlich zu einer globalen Rezession kommen, könne man nicht zugleich annehmen, dass die Emissionen weiter ins Unermessliche steigen. "Viel gelesen und wenig verstanden", urteilt der Max-Planck-Forscher Jochem Marotzke.

Die meisten Kritiker aber wenden sich grundsätzlich gegen Wallace-Wells' Aufrüttelungsansatz: Mit Untergangsszenarien, meinen sie, erreiche man keine Veränderung. "Die Beweise, dass der Klimawandel eine ernsthafte Herausforderung ist, sind sehr klar", schrieb etwa der prominente Klimaforscher Michael Mann von der Pennsylvania State University in der Washington Post. "Es ist nicht nötig zu übertreiben, besonders wenn das eine lähmende Geschichte von Verderben und Hoffnungslosigkeit nährt." Das Online-Medium Mashable.com zitierte Katharine Hayhoe von der Texas Tech University: "Die schlimmsten und gefährlichsten Folgen sind vermeidbar, aber dafür müssen wir verstehen, dass es auf unser Verhalten wirklich ankommt." Die Angst vor dem Untergang jedenfalls werde die Menschheit nicht motivieren.

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