Klimagipfel:"Die Industrieländer kneifen wieder"

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"Die Wanne ist voll": Klimaexperten sind empört über das absehbare Scheitern eines weltweiten CO2-Abkommens.

P. Illinger und C. Schrader

Vor der großen Weltklimakonferenz Anfang Dezember in Kopenhagen macht sich Pessimismus breit. Sogar US-Präsident Obama zweifelt, dass ein globales Abkommen zum Klimaschutz zustandekommen wird. Die Welt rückt damit von dem im Prinzip bereits vereinbarten Ziel ab, ihren Ausstoß an Treibhausgas bis 2050 zu halbieren. Politiker wie Dänemarks Ministerpräsident Rasmussen sprechen nun von einem Minimalkonsens, der in Kopenhagen erreicht werden soll. Klimaforscher äußern sich auf Anfrage der SZ wenig erfreut über diese Entwicklung.

Inseln, wo zuvor keine waren. Naturkatastrophen wie diese Überflutung in Malaysia nehmen zu. Experten sehen Zusammenhänge mit dem Klimawandel. (Foto: Foto: AFP)

Das bisschen Aufschub ist doch kein Problem, schließlich hat sich das Klima schon immer gewandelt? Schon richtig, Ökosysteme wie Korallenriffe haben sich im Laufe der Erdgeschichte immer wieder erholt, dummerweise aber erst nach Millionen von Jahren. Auch der Mensch hat schon höhere Temperaturschwankungen überdauert, dummerweise aber nur als jagender Nomade. Die moderne Kultur, bestehend aus Landwirtschaft, Arbeitsteilung, Handel und fragiler Infrastruktur hat sich in einem kurzen, klimatisch stabilen Zeitfenster entwickelt. In den vergangenen fünftausend Jahren schwankte das Weltklima nur um wenige Zehntel Grad pro Jahrhundert, im industrialisierten 20. Jahrhundert waren es plötzlich 0,8 Grad. Der heutige CO2-Wert in der Luft ist bereits höher als in den vergangenen Millionen Jahren. Der Mensch wird deshalb nicht als Spezies aussterben, aber das Ausmaß und die unglaubliche Beschleunigung des Wandels bedrohen die Zivilisation. Die atmosphärische CO2-Wanne ist voll, der Abfluss zu klein. Daher muss jetzt, ohne Aufschub, gehandelt werden.

Reinhold Leinfelder ist Paläontologe, Direktor des Berliner Naturkundemuseums und berät die Bundesregierung über globale Umweltveränderungen

Der Klimagipfel in Kopenhagen ist die wichtigste globale Konferenz nach 1945. Wenn der weltweite Klimawandel ernsthaft aufgehalten werden soll, müssen die Weltnationen es schaffen, ein globales Abkommen zu erwirken. Wenn jetzt die Investitionen in die richtigen Bahnen gelenkt werden, lassen sich die Energie- und Klimakrise gleichzeitig lösen. Fossile Energien werden knapper und teurer. Der Einsatz von heimischen Energieträgern und die Optimierung der Energieeffizienz verbessern nicht nur Marktpotentiale, sondern machen weniger abhängig von Energieimporten und Preisschocks. Die Welt braucht dringend eine klimaschonende Energieversorgung und Mobilität. Die Kohletechnologie muss umweltschonend werden, die erneuerbaren Energien müssen ausgebaut werden, wir müssen viel mehr Energie sparen und verstärkt Wärme und Strom gleichzeitig produzieren und nutzen sowie klimaschonende Antriebsstoffe und -techniken einsetzen. Immer mehr Unternehmen fordern zu Recht ein langfristiges Abkommen, um die Investitionssicherheit zu gewährleisten. Eine bessere Ausgangsvoraussetzung für ein solches Abkommen gab es bisher nie: Nahezu alle Regierungschefs der wichtigsten Industrienationen haben sich für Klimaschutz ausgesprochen. Die ökonomischen Kosten eines Scheiterns sind ungleich höher als die Kosten des Handelns.

Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung

Es ist sehr schade, dass das Ambitionsniveau so öffentlich und so früh zurückgenommen wird. Jetzt wird es schwierig, das Momentum zu erhalten. Die Frage ist auch, ob die Regierungschefs noch nach Kopenhagen kommen oder ob die Konferenz abgewertet wird. Es hatte sich allerdings schon abgezeichnet, dass es nicht mehr klappen wird, die 200 Seiten Entwurf des Vertragstexts bis zum Gipfel in Kopenhagen durchzuarbeiten. Außerdem haben die USA einfach keine Zahlen auf den Tisch gelegt. Ich habe daher erwartet, dass im Lauf der Konferenz eine ähnliche Lösung vorgeschlagen wird, wie sie sich jetzt abzeichnet. Das Szenario ist nun, dass der Gipfel ein zehnseitiges politisches Papier verabschiedet, dass innerhalb von sechs Monaten oder einem Jahr zu einem juristisch bindenden Vertrag ausgearbeitet wird. Die Enttäuschung, dass es so kommt, ist bei mir nicht an diesem Wochenende aufgetreten, sondern vor einigen Wochen. Jetzt ist aber Gefahr im Verzug, länger als ein Jahr darf es nicht dauern, bis es ein bindendes Abkommen gibt.

Niklas Höhne, Beratungsunternehmen Ecofys in Köln, und führender Autor des Weltklimarat-Berichts von 2007

Jetzt wird offen ausgesprochen, was man sich schon zugeflüstert hat. Es hat seit Monaten ein negatives Erwartungsmanagement gegeben. Es war also nicht der Apec-Gipfel, der die Erwartung auf ein Abkommen beerdigt hat. Es ist falsch, diese Entwicklung wie eine Naturgewalt darzustellen. Der Zeitplan für diese Konferenz in Kopenhagen ist vor vielen Jahren aufgestellt worden, alle kannten ihn, und das Verhandlungsmandat der Konferenz in Bali vor zwei Jahren hatte auch die anvisierten Ziele gut definiert. Aber dann ist zu wenig passiert. Dafür sind die USA mitverantwortlich: US-Präsident Obama hätte auch zuerst das Klimagesetz und dann die Gesundheitsreform durch das Parlament bringen können. Wenn man zu wenig Dampf macht, darf man sich nicht wundern, wenn die Lokomotive nicht rechtzeitig ins Ziel kommt. Aber durch die Verzögerung muss noch nichts verloren sein. Weil jetzt nur noch wenig Zeit war, bestand die Gefahr, ein Abkommen mit dem allerkleinsten gemeinsamen Nenner zu bekommen. Nimmt man sich mehr Zeit, kommen am Ende vielleicht doch ehrgeizigere Ziele heraus. Dazu müssen aber die politischen Führer auch wirklich alle nach Kopenhagen kommen und sich in die Augen schauen und zeigen, dass es nun ernst werden soll - allen voran Barack Obama und Hu Jintao. Wenn aber Kopenhagen stattdessen kläglich scheiterte, wäre das fatal.

Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Berater der Kanzlerin

Aus der Perspektive der Energieversorgung ist ein Abkommen in Kopenhagen entscheidend. Viele Investionen sind wegen der Finanzkrise verschoben worden. Sobald sich die Wirtschaft erholt, werden sie nachgeholt. Wenn die Geldgeber, besonders aus der Strombranche, kein klares Signal aus Kopenhagen bekommen, werden viele in nicht-nachhaltige Technik investieren, zum Beispiel in ineffiziente Kraftwerke. Nach unseren Berechnungen kosten die nötigen Investitionen, um Energie umweltschonend zu erzeugen und zu verwenden, 500 Milliarden Dollar mehr für jedes Jahr, um das sich ein Abkommen verzögert.

Fatih Birol, Chefvolkswirt der Internationalen Energieagentur in Paris

Die Industrieländer kneifen wieder. Seit fast 20 Jahren stellen sie sich nicht ihrer Verantwortung. Schon die Konferenz in Bali vor zwei Jahren hat einen Verhandlungsplan verabschiedet, darum wäre es sehr traurig, wenn in Kopenhagen wieder nur ein Verhandlungsplan herauskommt. Vor allem, weil Naturwissenschaftler sagen, dass es nicht fünf, sondern eine Minute vor Zwölf ist. Die Industriestaaten werden beim Klimaschutz früher oder später deutlich nachlegen müssen, dann können sie auch gleich damit anfangen.

Wolfgang Sterk, Abteilungsleiter für Klimapolitik, Wuppertal-Institut

Steigende Temperaturen, schmelzende Gletscher, tauender Permafrost, veränderte Niederschlagsmuster und der steigende Meeresspiegel zeigen, dass die Erde sich in einem tiefgreifenden Wandel befindet. Messungen lassen keinen Zweifel daran, dass sich die Arktis besonders schnell erwärmt, doppelt so stark wie die Erde im globalen Mittel. In der Arktis nimmt das Meereis insbesondere im Sommer drastisch an Fläche und Dicke ab und beeinflusst das dortige Ökosystem und die Küstenzonen stark. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass das Meereis deutlich dünner geworden ist. Aufgrund der Erwärmung schrumpfen Gletscher und Eisschilde und tragen mit ihrem Schmelzwasser zum Meeresspiegelanstieg bei. Noch steigt der Meeresspiegel um drei Millimeter pro Jahr, wobei etwa 40 Prozent auf das Schmelzwasser und 60 Prozent auf die Erwärmung des Ozeans zurückzuführen sind. Die Erderwärmung während des 20. Jahrhunderts wirkt sich in dem besonders sensiblen System der Arktis bereits dramatisch aus und führt schon jetzt zum Tauen und Zurückweichen der riesigen Permafrost-Flächen. Neben den natürlichen Ursachen trägt der Mensch einen entscheidenden Beitrag zur globalen Erwärmung bei. Einen Misserfolg in Kopenhagen kann sich die Menschheit eigentlich nicht leisten.

Peter Lemke ist Polarexperte am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und war von 2000 bis 2006 maßgeblicher Autor der Berichte des Weltklimarats IPCC

Ich bin sehr enttäuscht vom Ergebnis des Apec-Gipfels in Singapur. Es gibt Dinge, und da gehört der Klimaschutz dazu, die man einfach nicht ständig vertagen kann. Das in den kommenden Jahren emittierte CO2 bleibt im Mittel noch bis über das Jahr 2100 hinaus in der Atmosphäre und wird das Klima für die folgenden Generationen prägen. Der Weltklimarat IPCC hat in seinem jüngsten Bericht klar gesagt, dass nur noch wenig Zeit bleibt, den Klimawandel auf ein Maß zu dämpfen, bei dem gefährliche, unumkehrbare Prozesse noch vermieden werden können. Dazu hatten sich im Juli die G8-Staaten sowie China und Indien bekannt. Nur die Konsequenzen, die rasche Reduktion der Treibhausgasemissionen, will man noch nicht ziehen. Wir befassen uns bei Munich Re seit mehr als 35 Jahren mit dem Klimawandel und sehen deutliche Zunahmen von wetterbedingten Naturkatastrophen - in Deutschland hat sich die jährliche Anzahl von 1970 bis heute etwa verdreifacht. Wir müssen jetzt handeln, um Schlimmeres zu verhindern. Wie Lord Stern und andere Ökonomen bin ich überzeugt, dass sich ambitionierter Klimaschutz langfristig auszahlt. Neuere Studien zeigen auch, dass es bereits kurzfristig mehr Wirtschaftswachstum erzeugt und viele neue Jobs schafft.

Peter Höppe leitet den Bereich GeorisikoForschung des Versicherungskonzerns Munich Re

© SZ vom 17.11.2009/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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