Hygiene:Die Neuerfindung der Toilette

Mit viel Geld verfolgt die Gates-Stiftung den Plan, eine neuartige Toilette zu entwickeln. Die Technik soll Millionen Leben retten.

Von Gunhild Seyfert

Jeder dritte Mensch auf der Erde hat nur eine verdreckte oder gar keine Toilette zur Verfügung: das sind 2,5 Milliarden. Besonders schlecht ist die Lage in Indien und den Ländern südlich der Sahara. Dort leben zwei Drittel der Bevölkerung in einer alltäglichen Sanitärmisere. In diesen Regionen gelangen große Mengen Fäkalien in die Umwelt. Die Folgen sind gravierend: Viele Menschen leiden unter Parasitenbefall und schweren Magen-Darm-Erkrankungen. Weltweit sterben jedes Jahr 1,5 Millionen Kinder, weil ihr Essen oder ihr Trinkwasser mit Fäkalbakterien verseucht war. Und Frauen gehen, wenn sie sich irgendwo draußen hinhocken müssen, aus Scham oft erst in der Dunkelheit hinaus - mit dem Risiko, überfallen und vergewaltigt zu werden.

Angesichts dieser Lage sucht die Stiftung des Microsoft-Gründers Bill Gates nach Lösungen. "Reinvent the Toilet", erfindet die Toilette neu, heißt der Wettbewerb, den die Bill and Melinda Gates Foundation 2011 ausgeschrieben hat. Die Anforderungen waren hoch, aber angepasst an die Wirklichkeit in den Siedlungen der Armen: Die neue Toilette muss ohne Anschluss an ein Strom- und Wassernetz sicher funktionieren und ohne Kanalisation und zentrale Kläranlage auskommen. Sie muss die Ressourcen schonen und darf höchstens fünf US-Cent pro Tag für den Benutzer kosten.

Etwa 30 Universitäten und Firmen haben seither Fördergelder bekommen. Viele der ausgezeichneten Vorschläge setzen auf modernste Technik. So entwickelte das California Institute of Technology in Pasadena eine Hightech-Toilette, die aus Urin und Fäkalien keimfreies Wasser und Strom machen kann. Die britische Loughborough University setzte auf einen Prototypen, der aus Exkrementen durch Verglimmen sowohl Energie als auch Mineralien zur Verbesserung von Ackerböden gewinnt und Wasser für die Toilettenspülung und das Händewaschen zur Verfügung stellt. Ob sich solche Toiletten für die harten Bedingungen in den Slums eignen, ist aber fraglich. Ihre Bauteile sind wenig robust und wegen der Armut und der hohen Kriminalitätsrate in Slums ist es zudem sehr wahrscheinlich, dass sie bald gestohlen werden.

Die Modelle müssen den Realitätstest bestehen: etwa im Slum während der Regenzeit

Realistischer und schon recht weit entwickelt ist hingegen das Modell "Blue Diversion Toilet" der schweizerischen Behörde Eawag (Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz), die für zehn regelmäßige Benutzer ausgelegt ist. Die möglichst einfach gehaltene Technik verbirgt sich in einem Block unter der Toilettenschüssel und in einer Rückwand. Wer sie benutzt, hockt auf einem Podest über zwei Öffnungen, die feste und flüssige Bestandteile getrennt aufnehmen.

Es wurde sogar schon getestet, ob Menschen aus verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen Sitten und Gebräuchen die ungewöhnliche Toilette akzeptieren. Im Jahr 2013 stand die blaue Plastiktoilette vier Wochen lang in einer Armensiedlung von Kampala, der Hauptstadt Ugandas im Hof einer siebenköpfigen muslimischen Familie. Ein Jahr später baute das Team einen weiterentwickelten Prototyp in Mukuru, einem Slum im Industriegebiet von Nairobi auf, direkt neben der Hütte einer achtköpfigen christlichen Familie. Es war Regenzeit, Mukuru versank im Schlamm. "Das war ein Wirklichkeits-Check mit wichtigen Erkenntnissen", sagt der Ingenieur und Infrastrukturplaner Christoph Lüthi, der mit einem Team der Eawag vor Ort war und die Feldversuche leitete.

Sowohl die muslimische Familie, die Wasser für ihre Hygiene verwendete, als auch die christlichen Familie, die Papier benutzte, akzeptierte das neue Toilettensystem. Für beide Familien war das Beste an dieser Toilette, dass es zuverlässig Wasser gab: für die Spülung, für die Hygiene, zum Händewaschen.

Aber beim Realitätstest zeigten sich auch Probleme: In der Regenzeit hockten sich die Menschen in Mukuru mit Gummistiefeln auf die "Blue Diversion Toilet". Schlamm geriet in die Schüssel und verstopfte ein empfindliches elektronisches Ventil. Daraufhin gab es eine Einweisung, wie die Familie die Toilette trotz widriger Bedingungen sauber und funktionsfähig halten kann. In Kampala wurde der Wasserhahn bald gestohlen. Im Nachfolge-Modell gab es deshalb einen Wasserspender, gegen den man von unten drücken muss.

Das Ziel ist ein autarkes WC

Das Wasser wird in der Rückwand der "Blue Diversion Toilet" auf erstaunlich einfache Weise vollständig recycelt. Zu Beginn verhindert ein elektronisch gesteuertes Ventil im vorderen Bereich der Schüssel, dass Urin ins Spülwasser gerät. Es folgt eine Filterung des Spülwassers über so genannte Gravity Driven Membranen. Bei jeder Filtration bildet sich auf Membranen nach kurzer Zeit ein Schmierfilm, der den Durchfluss behindert. Zunächst hatten die Entwickler angenommen, dass dieser Film in kurzen Zeitabständen durch Spülungen mit Druck oder mit Chemikalien entfernt werden müsse. Eawag-Ingenieurin Maryna Peter entdeckte jedoch, dass der Belag sich innerhalb von acht bis zehn Tagen zu einem stabilen Ökosystem aus Bakterien und Viren entwickelt. Die Fließgeschwindigkeit wird zwar reduziert, die Filtration bleibt aber konstant und hygienisch sicher.

Das Wasser ist danach hygienisch, aber optisch noch nicht einwandfrei: es hat eine leichte Braunfärbung. Ein Solar-Panel produziert den Strom, der für den zweiten Schritt gebraucht wird: Durch Elektrolyse verschwindet die Braunfärbung des Wassers. Zuletzt wird etwas Chlor, das bei der Elektrolyse entsteht, zugefügt. Trinkbar ist das Wasser allerdings nicht, weil es recht salzig wird.

Die Fäkalien sammeln sich in separaten Behältnissen. Sowohl in Kampala als auch in Mukuru wurden sie regelmäßig abgeholt und gegen leere ausgetauscht. Die Firma Sanergy, ein lokaler Dienstleister, bietet in Mukuru diese besondere Müllabfuhr bereits seit einigen Jahren an. Mit einem Handkarren, der auch im engen Slum noch Platz hat, kamen Mitarbeiter des Franchise-Unternehmens ein- bis zweimal wöchentlich und brachten die Exkremente zu einer zentralen Anlage, wo sie zu Kompost, Dünger und Biogas weiterverarbeitet wurden.

Die Hygieneprobleme haben auch kulturelle Ursachen

Die Gates-Stiftung verfolgt jedoch ein noch ehrgeizigeres Ziel: die autarke Toilette. Sie soll völlig unabhängig von anderen Versorgungsstrukturen funktionieren, sicher und billig sein und dennoch wertvolle Stoffe aus den menschlichen Exkrementen zurückgewinnen. "Es ist eine große Herausforderung, all dies in einer kleinen Toilette umzusetzen", sagt der Umweltingenieur Bastian Etter. Er koordiniert das "Autarky Project" der Eawag. In einem Technik-Block, direkt unter der Toilettenschüssel gelegen, will man in Zukunft aus Urin Dünger gewinnen, zum Beispiel den für das Pflanzenwachstum unabdingbar notwendigen Phosphor. Ein Verfahren dafür hat die Eawag bereits. Durch Zugabe von Kalziumhydroxid wird der Urin zunächst stabilisiert, sein pH-Wert steigt damit auf einen Wert über zwölf. So wird verhindert, dass Ammoniak ausgast. Deshalb stinkt hier nichts und Krankheitserreger werden abgetötet. Der stabilisierte Urin wird verdampft, es entsteht eine Mischung verschiedener Salze, die sich als Dünger in der Landwirtschaft verwenden lassen.

Dieses Verfahren ist einfach und billig. In Urin löst sich nur so viel Kalziumhydroxid bis der hohe pH-Wert erreicht ist. Komplizierte Einrichtungen zur richtigen Dosierung braucht man nicht. Außerdem ist Kalziumhydroxid preisgünstig und weltweit verfügbar. Wie in einer autarken Toilette die Fäkalien behandelt werden könnten, ist dagegen weit weniger klar. Sicher ist nur, dass dieser Prozess zuverlässig und relativ schnell geschehen muss, um üble Gerüche und die Ausbreitung von Krankheitserregern zu unterbinden. Das Ziel der Forschung ist, aus den Fäkalien Energie für die Verdampfung des Urins zu gewinnen, zum Beispiel indem man sie unter hohem Druck oxidiert.

Eine solche komplett autarke Toilette wäre vermutlich auch für den Einsatz in Indien geeignet, wo zwei Drittel der Bevölkerung im sanitären Elend leben. Dort gibt es zusätzliche Hindernisse, denn nach hinduistischer Tradition ist der Umgang mit fremden Exkrementen die niedrigste Arbeit. Ausschließlich Kastenlose reinigten deshalb Toiletten und Latrinen - unter mittelalterlichen Bedingungen mit Besen, offenen Eimern und Körben. Um diese Diskriminierung zu beenden, hat die Regierung 1993 den "Manual Scavengers Act" erlassen. Das Gesetz verbietet es, Menschen dafür zu bezahlen, dass sie die Exkremente von anderen mit ihrer Hände Arbeit entfernen. Eigentlich sollten dadurch Missstände in der Gesellschaft aufgehoben werden, aber das Gesetz blockiert auch Lösungen wie die "Blue Diversion Toilet", die darauf basieren, dass menschliche Exkremente in Behältnissen transportiert werden - auch wenn dies hygienisch geschieht.

"Wir brauchen noch einige Jahre Forschung", schätzt Christoph Lüthi. Derweil finanziert die Gates-Stiftung die notwendige wissenschaftliche Arbeit an verschiedenen Universitäten weiter. Das ehrgeizige Ziel: In zehn Jahren soll die Toilette neu erfunden sein und Verbreitung finden. Das in Kooperation entwickelte Modell soll dann in Massen produziert werden, bezahlbar für die Armen sein und das Ende ihres sanitären Notstands einläuten. Zumindest technisch wäre das möglich.

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