Gentech-Tiere:Die fliegenden Mutanten

Seit Jahren arbeiten Gentechniker daran, Insekten für menschliche Zwecke zu manipulieren: Impfende Mücken, winterfeste Fliegen - bald könnten gentechnisch veränderte Tiere durch Europa schwirren.

Wiebke Rögener

Insekten sind Erfolgsmodelle der Evolution. Seit mindestens 400 Millionen Jahren bevölkern die Tiere unseren Planeten und stellen heute etwa 80 Prozent aller bekannten Tierarten.

Gentech-Tiere: Die Ägyptische Tigermücke überträgt Gelb- und Dengue-Fieber sowie einige andere Infektionskrankheiten. Manche Forscher wollen die Seuchen eindämmen, indem sie gentechnisch veränderte Moskitos aussetzen.

Die Ägyptische Tigermücke überträgt Gelb- und Dengue-Fieber sowie einige andere Infektionskrankheiten. Manche Forscher wollen die Seuchen eindämmen, indem sie gentechnisch veränderte Moskitos aussetzen.

(Foto: AP)

Doch das ist manchen Gentechnikern nicht genug. Seit Jahren arbeiten sie daran, die durchsetzungsstarken Kerbtiere für menschliche Zwecke zu manipulieren.

Gentechnisch veränderte Insekten könnten schon innerhalb der nächsten zehn Jahre auch im europäischen Luftraum umherschwirren, meint eine Expertengruppe, die im Auftrag der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA untersuchte, welche Risiken und Nebenwirkungen das große Gentech-Krabbeln mit sich bringt.

Die Expertise, die von Wissenschaftlern des österreichischen Umweltbundesamtes, der Universität Bern sowie von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) erstellt wurde, sieht für die nähere Zukunft vor allem im Pflanzenschutz Einsatzgebiete für Gentech-Insekten.

Dafür werden in Schadinsekten Gene eingebaut, die die Tiere unfruchtbar machen oder die Brut verkümmern lassen.

In großen Mengen freigelassen, könnten die Mutanten ihre wilde Verwandtschaft verdrängen: Wenn sich natürliche Insektenweibchen mit unfruchtbaren Gentech-Männchen paaren, geht das Ungeziefer bald zurück, so die Idee.

Heute schon gibt es Schädlingsbekämpfungsprogramme mit Insekten, die mit radioaktiver Strahlung unfruchtbar gemacht werden. Allerdings mindert die Bestrahlung auch Fitness und Überlebensfähigkeit der Mutanten, sodass oft doch wilde Männchen zum Zuge kommen. Mittels Gentechnik ließe sich gezielt die Fortpflanzungsfähigkeit ausschalten.

"Fliegende Spritzen"

Andere Forscher setzen auf Nützlinge, Insekten also, die Schädlinge dezimieren. Solche kleinen Helfer spielen beispielsweise im Ökolandbau eine wichtige Rolle. Gentechnisch aufgemotzt könnten sie kräftiger und langlebiger werden und so mehr Schädlinge vertilgen oder beispielsweise Kälte besser überdauern und dadurch ihren Lebensraum erweitern.

Macht man sie auch noch widerstandsfähig gegen Pestizide, ließen sich Gentech-Nützlinge und chemische Mittel gleichzeitig in den Kampf gegen den Schädlingsbefall führen. Die Raubmilbe Metaseiulus occidentalis - allerdings kein Insekt, sondern ein Spinnentier, das andere Spinnmilben vertilgt - wurde bereits mit solcher Resistenz ausgestattet. Bislang allerdings ist das kampfstarke Tierchen nur im Labor überlebensfähig.

Auch bei der Eindämmung von Seuchen wie Malaria sollen Gentech-Insekten helfen. Zum einen könnten auch hier unfruchtbare Mutanten einen Bevölkerungsrückgang unter Malariamücken auslösen. Zum anderen werden Mücken entwickelt, die den Krankheitserreger nicht mehr übertragen. Offen bleibt allerdings die Frage, so die von der EFSA beauftragten Experten, wie es gelingen könnte, Schwärme von Malariamücken großflächig durch die Gentech-Verwandtschaft zu ersetzen.

Noch abseitiger erscheint die Idee, Insekten als "fliegende Spritzen" zu nutzen. Zwar schlugen die britischen Forscher Bob Sinden und Julian Crampton schon Mitte der 1990er-Jahre vor, Moskitos gentechnisch so zu verändern, dass sie mit ihrem Stich einen Impfstoff gegen Malaria injizieren. Sie ließen sich diese Idee sogar patentieren.

Doch dann blieb es lange still um die Idee der Impfmücken, bis kürzlich Wissenschaftler der Jichi Medical University in Tochigi, Japan, den Gedanken wieder aufgriffen. Sie stellten mit gentechnischen Verfahren Mücken her, deren Speichel einen potenziellen Impfstoff gegen Leishmania-Parasiten enthält. Labormäuse, die von diesen Blutsaugern gestochen wurden, entwickelten Antikörper gegen das verwendete Molekül. Damit sei bewiesen, dass dieses Impfverfahren prinzipiell funktioniere, so die japanischen Forscher.

Allerdings glauben sie selbst nicht recht, dass Insekten bald für Impfkampagnen fliegen werden. Allzu wahllos stechen Mücken zu, sodass sich weder die Dosis kontrollieren, noch das Einverständnis der Geimpften einholen ließe. Außerdem könnte die massenhafte Freilassung von Gentech-Moskitos auf Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung stoßen, fürchten die Forscher.

Bald Freisetzungsanträge in Europa

Auch die Autoren der EFSA-Expertise erwarten nicht, dass die Impfung per Mückenstich in den nächsten zehn Jahren Realität wird. Für andere Gentech-Insekten, etwa die unfruchtbaren Versionen freilebender Tiere, rechnen sie aber durchaus mit Freisetzungsanträgen in Europa.

Zu den wahrscheinlichsten Kandidaten zählen sie die Gelbfiebermücke, die Asiatische Tigermücke, die Mittelmeerfruchtfliege, die Olivenfliege und sechs weitere Arten. Sie alle kommen in Europa vor und breiten sich dort weiter aus. Die beiden Mückenarten übertragen eine Vielzahl von Krankheiten wie Gelbfieber, Dengue-Erreger und das Chikungunya-Virus, das ein hämorrhagisches Fieber auslösen kann.

In Gen-Labors wurden von beiden Mücken Mutanten erzeugt, deren Nachkommen unfruchtbar sind. Freisetzungsexperimente mit Gentech-Tigermücken sollen in Malaysia bevorstehen. Olivenfliege und Mittelmeerfruchtfliege sind vor allem für die Landwirtschaft in den Mittelmeerländern ein Problem. Hier könnten zum Beispiel molekularbiologische Techniken zum Einsatz kommen, die Fliegenweibchen in Männchen umwandeln und so die Fortpflanzung stören.

Allerdings sind die Umweltfolgen derartiger Eingriffe schwer kalkulierbar, besagt der Bericht. Derzeit ist kaum abzuschätzen, wie sich ein neu eingeführtes Gen in einem Insekt verhält und verbreitet. Oft seien Gentech-Insekten weniger fit als ihre wilde Verwandtschaft, heißt es in der Expertise, aber auch das Gegenteil komme vor.

Werden gar Gene eingebaut, die die Nützlinge mit Pestizidresistenz oder Kältetoleranz stärken, scheint besondere Vorsicht geboten. Denn solche Vorzüge werden nicht unbedingt nur an die eigenen Nachkommen weitergegeben: Mikroben, die tote Gentech-Insekten zersetzen, können das eingebaute Erbgut aufnehmen und auf andere Insektenarten übertragen. Diese vermehren sich dann womöglich massenhaft und könnten zu einer neuen Plage werden, die Menschen oder Tiere gefährdet.

Auch Parasiten transportieren Erbgut-Stücke von einer Art zu anderen. Selbst zwischen blutsaugenden Wanzen und Säugetieren kann Erbgut ausgetauscht werden, berichteten US-Forscher kürzlich. Somit scheint kaum absehbar, wo sich neue Insektengene am Ende wiederfinden.

Moskitos, denen die Fähigkeit genommen wurde, einen Krankheitserreger zu übertragen, sind ebenfalls mit Unwägbarkeiten behaftet. Zum einen ist unklar, wie lange eine solche Eigenschaft in freier Wildbahn erhalten bleibt. Ginge sie verloren, würden die freigesetzten Gentech-Mückenschwärme die Zahl der Krankheitsüberträger sogar vermehren.

Zum anderen könnten die manipulierten Blutsauger von anderen Erregern gekapert werden und dann vielleicht Chikungunya-Viren statt Malaria übertragen, heißt es im Richtlinienentwurf einer Expertengruppe, die von den Unterzeichnerstaaten des Cartagena-Protokolls zur Biosicherheit eingesetzt wurde.

Insgesamt beschreibt der Bericht der von der EFSA beauftragten Forscher große Wissenslücken, die vor der Freisetzung von Gentech-Insekten zu schließen wären. Nicht nur für die betreffende Art selbst müssten umfassende Informationen zu Fruchtbarkeit, Lebensspanne, Verhalten und Verbreitung zusammengetragen werden, sondern auch zur Wirkung auf alle Tier- und Pflanzenarten, die mit einem Gentech-Insekt zusammentreffen könnten, sei es als Räuber oder als Beute, als Bestäuber oder als Konkurrent um Nahrung und Lebensraum.

Bei Gentech-Mücken muss beispielsweise auch geklärt sein, welche Tiere sie stechen und welche anderen Blut saugenden Insekten die gleichen Arten befallen. Auch gilt es herauszufinden, mit welchen verwandten Arten sich ein Gentech-Insekt paaren könnte. Viele dieser grundlegenden Informationen fehlen, stellen die Experten fest.

Angesichts der zahlreichen im Bericht beschriebenen Probleme überrascht es nicht, dass die EFSA, die generell als Gentechnik-freundlich gilt, sich diese Expertise nicht zu eigen macht. Es handele sich zwar um eine Arbeit im Auftrag der EFSA, heißt es in einer Fußnote, die auf jeder der 250 Seiten zu finden ist. Doch dürfe man den Bericht nicht als ein Produkt der EU-Behörde ansehen; man behalte sich vor, zu anderen Schlüssen zu kommen.

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