Ehec-Ausbruch in Deutschland:Steigende Opferzahlen - und ein Hauch von Hoffnung

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Fast zweihundert neue Ehec-Fälle in den vergangenen zwei Tagen zählt das Robert Koch-Institut. Doch "man hat ein bisschen das Gefühl, dass es etwas abflaut", stellt ein Experte fest. Immerhin ist der Erregertyp nun eindeutig identifiziert - es ist ein alter, aber seltener Bekannter.

Während die Zahl der Patienten, die sich mit Ehec-Bakterien infiziert haben, weiter stark zunimmt, hoffen Experten, dass die Erkrankungswelle nun doch endlich ihren Höhepunkt überschritten haben könnte.

Der Bakteriologe Holger Rohde vom Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) zeigt einen Auszug des genetischen Codes (Genom) des Ehec-Erregers O104. (Foto: dpa)

"Wir haben es mit einer der größten durch Bakterien verursachten Epidemien in Deutschland der letzten Jahrzehnte zu tun", erklärte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, Reinhard Brunkhorst. Aber "man hat ein bisschen das Gefühl, dass es etwas abflaut". Die Zahlen gäben das allerdings noch nicht eindeutig her, erklärte er Reuters

Es bestehe zudem der deutliche Eindruck, dass die eingeleiteten Therapien bei einzelnen Patienten wirkten, fügte er hinzu. "Aber es ist nicht mehr als ein Eindruck, es ist nicht das Ergebnis einer klinischen Studie", betonte Brunkhorst.

Wie das Robert-Koch-Institut am Freitag mitteilte, wurden in den vergangenen zwei Tage allerdings 199 Infektionen gemeldet - davon hätten 50 Betroffene das lebensgefährliche Hämolytisch-Urämische Syndrom (HUS) entwickelt. Insgesamt liegen dem Institut Meldungen von 1733 Menschen mit dem Ehec-Erreger vor, darunter 520 Fälle mit dem lebensgefährlichen HUS. 18 Patienten sind in Deutschland offenbar gestorben, ein Todesopfer wurde aus Schweden gemeldet.

Mittlerweile hat sich der Darmkeim auf zwölf Länder ausgebreitet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) listete alle bislang gemeldeten Fälle von Ehec-Infektionen und Patienten mit dem durch Ehec ausgelösten hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) auf, das akutes Nierenversagen verursachen kann.

Außer aus Deutschland wurden demnach bislang aus Schweden 28 Ehec-Infektionen und 15 HUS-Patienten sowie aus Dänemark zehn Ehec-Infektionen und sieben HUS-Patienten gemeldet. Auch die Niederlande (vier Fälle von Ehec, vier HUS-Patienten), Großbritannien (vier Ehec-Infektinen, drei HUS-Fälle), Frankreich (sechs Ehec-Patienten), Spanien (ein HUS-Patient), Tschechien und Norwegen (je ein Ehec-Fall) stehen auf der Liste.

Aus Österreich und der Schweiz wurden laut WHO je zwei Ehec-Infektionen gemeldet, aus den USA zwei HUS-Fälle. Bei allen Fällen außer einem handelte es sich um Menschen, die aus Norddeutschland stammten oder dort gewesen seien, erklärte die WHO. Bei dem anderen Fall sei der Patient mit einem aus Norddeutschland kommenden Menschen in Kontakt gekommen.

Nach anfänglichem Optimismus ist die Wirksamkeit des neuen Wirkstoffs Eculizumab zur Behandlung schwer erkrankter Ehec-Patienten weiter unklar. "Man kann zur Effektivität bisher wenig sagen", erklärte Ulrich Kunzendorf von der Universität Kiel. "Es mag eine Tendenz zur Besserung geben unter dem Antikörper." Auch Kollegen aus Hamburg und Hannover, die den Antikörper bei manchen Patienten mit der schweren Komplikation hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) einsetzten, konnten keine Aussage zur Wirksamkeit machen.

"Wir werden einige Wochen warten müssen, bis wir eine gesicherte Datenlage haben", sagte der Nierenspezialist Rolf Stahl vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Derzeit stehe im Vordergrund, die Patienten "durch diese schwierige Situation" zu bringen. Hermann Haller von der Medizinischen Hochschule Hannover betonte: "Es gibt keine Therapie zum jetzigen Zeitpunkt, die alle Patienten schlagartig gesund macht."

Inzwischen ist immerhin eindeutig geklärt, um welchen Ehec-Erreger es sich handelt. Wissenschaftler aus Hamburg und China entzifferten seine Erbsubstanz. "Es handelt sich um einen besonderen Typ eines Ehec-Erregers", sagte Bakteriologe Holger Rohde vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). "Dieser Stamm ist nur ein ganz entfernter Verwandter der üblichen Ehec-Bakterien."

Meldungen, wonach es sich bei dem aktuellen Erreger um einen völlig neuen Typ handele, seien allerdings nicht zutreffend, erklärte Helge Karch, Direktor des Instituts für Hygiene am Universitätsklinikum Münster. Die Genomsequenzierung untermauere die bisherigen Untersuchungen des dortigen HUS-Konsiliarlabors. "Es handelt sich bei dem Ausbruchsstamm um einen Hybrid-Klon, der Virulenzeigenschaften unterschiedlicher Erreger vereint."

Karch und sein Team haben den Typ HUSEC041 (O104:H4) aus Proben von 60 HUS-Patienten identifiziert. "Stämme, die zu HUSEC041 gehören sind nicht neu", erklärte Karch, "sondern auch schon früher aufgetreten. Allerdings sind sie extrem selten und zwar weltweit."

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Seltenheit des Erregers bestätigt. "Er ist bekannt, jedoch noch nie bei einem Ausbruch aufgetreten", sagte eine Sprecherin in Genf. Dies sei vom Referenz- und Forschungszentrum der WHO für Escherichia und Klebsiella, dem Staatlichen Serum-Institut in Dänemark, bestätigt worden. Die molekularen oder genetischen Eigenschaften dieses Erregers könnten den zuständigen Behörden wesentlich bei der Identifizierung von Fällen in anderen Ländern helfen, erklärte die WHO weiter.

Nach wie vor ist allerdings die Quelle des Erregers nicht eindeutig ermittelt. Es wird desehalb weiterhin vor dem Verzehr von rohen Salatgurken, Tomaten und Blattsalaten gewarnt. Die WHO empfiehlt darüber hinaus "normale Hygienemaßnahmen", wie Händewaschen nach dem Toilettenbesuch und vor dem Kontakt mit Lebensmitteln.

"Wer blutigen Durchfall und starke Bauchschmerzen bekommt und sich in jüngster Zeit in Norddeutschland aufgehalten hat, sollte dringend ärztlichen Rat suchen", erklärte die UN-Organisation weiter. Handelsbeschränkungen, etwa für Obst und Gemüse, würden nicht empfohlen. Die Europäische Union forderte Russland unterdessen erneut auf, sein Einfuhrverbot für Gemüse aus der EU wieder aufzuheben. Es sei in keiner Weise gerechtfertigt und verstoße zudem gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO), sagte der EU-Vertreter in Moskau, Fernando Valenzuela.

© sueddeutsche.de/Reuters/dpa/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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