Zusatzbeiträge der Kassen:Aderlass für Millionen Versicherte

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Pakt auf Kosten der Mitglieder: Eine Reihe von Krankenkassen schröpfen die Versicherten und pochen auf Zusatzbeiträge. Doch das ist erst der Anfang.

Es geht um viel, an diesem Morgen. Es geht darum, das Unaussprechliche endlich auszusprechen. "Hier sind Leute, die das Tabu brechen", sagt Herbert Rebscher, der Vorsitzende der Krankenkasse DAK. Das Tabu heißt Zusatzbeitrag.

Die Gesundheitskosten in Deutschland steigen für Versicherte weiter. (Foto: Foto: dpa)

Etwas mehr als ein Jahr kamen die gesetzlichen Kassen ohne zusätzliches Geld von ihren Versicherten aus, doch das ändert sich jetzt. Mit der DAK verlangt künftig eine große gesetzliche Krankenkasse Zusatzbeiträge. "Ich werde meinem Verwaltungsrat empfehlen, ab Februar acht Euro zu nehmen", sagte Rebscher in Berlin. Und der DAK-Chef weiter: "Ich glaube wir müssen diesen Weg enttabuisieren. Wer den Wettbewerb will, der darf diesen Preisunterschied von einem Prozent nicht überbewerten."

Den verwaltungstechnischen Aufwand, den die Sonderabgabe mit sich bringt, beurteilte Rebscher gleichwohl als hoch. Die Zusatzbeiträge werden nicht direkt vom Lohn abgezogen und müssen von Arbeitnehmern und Rentnern extra überwiesen werden. "Dass es schwierig wird, die acht Euro einzutreiben, ist jedem klar."

Dem Beispiel der DAK werden weitere Krankenversicherer folgen: Fast alle gesetzlichen Kassen müssten im Jahr 2010 mehr Geld verlangen, erwartet der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkasse.

Die Deutsche BKK hat dies schon am Donnerstag im Gespräch mit sueddeutsche.de angekündigt, auch die KKH-Allianz wird noch im ersten Halbjahr einen Zusatzbeitrag erheben, ebenso die BKK Westfalen-Lippe. Offenbar wollen weitere Betriebskrankenkassen mitziehen. Die AOK Schleswig-Holstein plant ebenfalls die Erhebung des Zusatzbeitrages, allerdings ist nach Angaben des Vorstandsvorsitzenden Dieter Paffrath noch unklar, wann der zusätzliche Obolus erhoben werden soll. Paffrath gab sich gleichwohl pessimistisch: "Schon in den nächsten zwei Jahren werden den Kassen acht Euro nicht mehr reichen."

Die 7,3 Millionen Versicherten der Techniker Krankenkasse haben dagegen zunächst Glück. Denn ihre Kasse wird erst einmal keinen Zusatzbeitrag erheben.

Zwar müsse die Entwicklung des Jahres abgewartet werden, sagte ein Sprecher. Aber: "Wir sind zuversichtlich, 2010 ohne Zusatzbeitrag auszukommen."

Jeder zweite Versicherte betroffen

Die Techniker Krankenkasse wird offenbar ein Einzelfall bleiben. Die Vorstandschefin des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung, Doris Pfeiffer, rechnet damit, dass solche Zahlungen spätestens im kommenden Jahr für fast alle gesetzlich Versicherten fällig werden.

"Wir haben bei den gesetzlichen Krankenkassen in diesem Jahr ein Defizit von 7,8 Milliarden Euro", sagte sie im Deutschlandfunk. Das sei kein Managementfehler. Es werde aber zu viel Geld für nutzlose Dinge ausgegeben. Trotz eines Zuschusses aus der Staatskasse bleibt unter dem Strich wohl ein Minus von vier Milliarden Euro übrig.

Gesundheitsexperten wie Wolfgang Lange vom Brancheninformationsdienst dfg oder der Kieler Gesundheitsökonom Thomas Drabinski sagten in der Bild-Zeitung, dass zur Jahresmitte jeder Zweite der rund 51 Millionen Kassen-Mitglieder von Zusatzbeiträgen betroffen sein wird. Das wären rund 25 von 51 Millionen zahlenden Kassenmitgliedern. Zusammen mit den beitragsfrei Mitversicherten gibt es insgesamt rund 70 Millionen Versicherte.

Etliche davon denken nun darüber nach, die Kasse zu wechseln. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, Wolfram-Arnim Candidus, riet jedoch davon ab. Ob man dann besser wegkomme, wisse man nicht. Er kritisierte im Sender N-TV: "Wir haben eine falsche Gesundheitspolitik, die daher rührt, dass man eigentlich nur nach Einnahmen und Ausgaben reagiert." Die Politik traue sich nicht, die Strukturen zu verändern und das Gesundheitswesen effizienter zu machen.

Neues Konzept der SPD

Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, kündigte in der Saarbrücker Zeitung ein Alternativkonzept zur Gesundheitspolitik der Bundesregierung an: Die Arbeitgeber sollten anders als von Schwarz-Gelb geplant an der Finanzierung künftiger Mehrlasten beteiligt bleiben. Die Zusatzbeiträge sollten abgeschafft werden. Und alle Kassen sollten wieder ihren Beitragssatz selbst bestimmen.

Kritik kam auch von den Wohlfahrtsverbänden. "Damit verschieben sich die Lasten noch stärker einseitig auf die Arbeitnehmer und Rentner", sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher der Frankfurter Rundschau.

Die Zusatzbeiträge der Krankenkassen dürfen ein Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens nicht überschreiten. Bis zu einem Betrag von acht Euro im Monat müssen die Kassen die Einkommen der Versicherten im Hinblick auf die Obergrenzen nicht individuell prüfen. Für eine solche Nachforschung ist ein hoher Verwaltungsaufwand erforderlich.

Im Video: Die DAK hat als erste große Krankenkasse Zusatzbeiträge ab Februar angekündigt: Acht Euro pro Monat will sie von ihren Mitgliedern fordern.

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