Zentralbank vor Bundesverfassungsgericht:Es ist gefährlich, die EZB politisch zu demontieren

EZB

Wie viel Vertrauen genießt die EZB? Bleibt die Notenbank so unabhängig wie sie bisher ist oder braucht sie mehr Kontrolle durch staatliche Institutionen?

(Foto: dpa)

Die Europäische Zentralbank ist die einzige Institution, die aktiv im Interesse der ganzen Euro-Zone handeln kann. An diesem Dienstag steht sie vor dem Bundesverfassungsgericht.

Kommentar von Nikolaus Piper

An diesem Dienstag steht die Europäische Zentralbank (EZB) zum zweiten Mal vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht. Die Richter in Karlsruhe sollen darüber entscheiden, ob ein Programm der EZB zum gezielten Kauf von Staatsanleihen ("Outright Monetary Transactions", OMT) in der bisherigen Form dem geltenden EU-Recht und damit auch dem Grundgesetz entspricht oder nicht.

Die Lage ist schwer zu durchschauen. In einer ersten Entscheidung hatte das Verfassungsgericht der EZB für ihre OMT-Käufe Grenzen gesetzt. Der Europäische Gerichtshof widersprach den Deutschen daraufhin, weil deren Vorschriften OMT weitgehend wirkungslos gemacht hätten. Jetzt muss das Verfassungsgericht nochmals entscheiden. Die Frage ist: Wird sich Karlsruhe gegen den EuGH stellen - wegen eines Programmes, das bisher noch gar nicht in der Praxis eingesetzt wurde?

Im Kern geht es dabei nicht nur um OMT, sondern um viel grundlegendere Fragen: Wie viel Vertrauen genießt die EZB? Bleibt die Notenbank so unabhängig wie sie bisher ist oder braucht sie mehr Kontrolle durch staatliche Institutionen? Welche Aufgaben muss sie erfüllen, welche Regierungen und Parlamente und wo verläuft die Grenze?

Die Fragen betreffen nicht nur Mario Draghi und die EZB, sondern alle wichtigen Notenbanken. Früher gab es einmal einen Konsens über die Aufgaben der Geldpolitik: Die Notenbanken sicherten über die Zinsen den Geldwert. Sie standen zwar immer wieder in der Kritik; mal glaubten die einen, meist Linke, dass die Zinsen zu hoch seien und so Wachstum und Beschäftigung gefährdeten, mal fürchteten die anderen, Konservative, zu niedrige Zinsen könnten Inflationserwartungen wecken. Als Institutionen jedoch stellte niemand EZB und Federal Reserve in Frage, jedenfalls nicht in der breiten Mitte des politischen Spektrums.

Zerbrochener Konsens

Mit der Finanzkrise ist dieser Konsens zerbrochen. In der Antikrisenpolitik ist die Bedeutung der Geldpolitik auf zuvor nicht vorstellbare Weise gestiegen. Das war in den Vereinigten Staaten so, wo die Federal Reserve de facto über den Bestand von Banken entschied und, angesichts eines durch Grabenkämpfe gelähmten Kongresses, zeitweise die einzige Institution in den Vereinigten Staaten war, die Konjunkturpolitik betrieb.

Monatelang achteten die Börsen auf fast nichts anderes, als auf Hinweise, und seien sie auch noch so klein, was Ben Bernanke und Janet Yellen über Zinsen und Anleihen dachten. Parallel dazu baute sich, besonders bei der republikanischen Rechten, regelrechter Hass auf die Fed auf. Im Kongress gab es ernsthafte Bestrebungen, der Notenbank ihre Unabhängigkeit zu nehmen - vor der Finanzkrise undenkbar.

Ganz ähnlich, wenn auch unter anderen Bedingungen, ist die Lage der EZB. Deren Präsident Draghi stoppte die Krise des Euro im Juli 2012 mit seiner Versicherung, man werde die Gemeinschaftswährung retten, "mit allem, was dafür nötig ist". Die Notenbank ist die einzige Institution, die aktiv und täglich im Interesse der ganzen Euro-Zone handeln kann. Damit wird sie aber viel mehr politisiert, als dies ihr selbst gut tut.

Das OMT-Programm knüpft den Kauf von Anleihen eines Staates daran, dass dessen Regierung finanzpolitisch verantwortungsvoll handelt. Das geht weit über die normale Kompetenz eine Zentralbank hinaus. Die übrigen Anleiheprogramme machen das Geldausgeben für alle leichter, was in Deutschland den Verdacht weckt, Draghi nehme den Reformdruck von anderen. Das erhöht die Spannungen in der Währungsunion. Auch die Beteiligung an der "Troika", die die Sanierung Griechenlands überwachen soll, hat die EZB politisiert.

Mag sein, dass das Verfassungsgericht noch Korrekturen verlangt - entscheidend für den Bestand des Euro ist es, dass die EZB handlungsfähig bleibt. Die Zentralbank muss klar machen, dass sie sich strikt an ihr Mandat hält: die Sicherung des Euro und seines Wertes und sonst nichts. Gleichzeitig müssen sich Europas Politiker, besonders die Deutschen, schützend vor die EZB als Institution stellen. Natürlich kann Mario Draghi kritisiert werden, wie jeder andere auch.

Aber so maßlos, wie die Angriffe auf ihn wochenlang waren, grenzten sie ans Gemeingefährliche. Etwa wenn CDU und CSU Draghi für das Aufkommen der AfD verantwortlich machten. Die EZB ist noch eine junge Institution, sie muss durch eine Krise gehen, mit der keiner der Gründerväter des Euro gerechnet hatten. Es gibt viele Gründe, der Notenbank zu einer zügigen Normalisierung ihrer Geldpolitik zu raten. Aber wenn die EZB erst einmal politisch demontiert ist, wird der Preis sehr hoch sein.

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