Warnung des IWF:Die Angst treibt das Geld aus dem Süden

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Das Problem am Rand frisst sich durch bis zum Kern: Eine dramatische Kapitalflucht aus den Krisenstaaten der Euro-Zone in stabile Staaten droht die Währungsunion zu zerreißen, fürchtet der Internationale Währungsfonds. Noch profitieren Länder wie Deutschland von der Angst der Anleger. Doch der IWF warnt - und fordert deutlich schärfere Maßnahmen gegen die Krise.

Jannis Brühl

Das Kapital verlässt Krisenländer wie Griechenland: Ein Mann blickt über die nächtliche Skyline von Athen. (Foto: Bloomberg)

Die Seitenzahlen im neuesten Bericht des Internationalen Währungsfonds IWF verraten, worüber sich die Finanzexperten derzeit am meisten Sorgen machen. Nur eine Seite behandelt die USA, eine Japan, eine alle Schwellen- und Entwicklungsländer gemeinsam. Über die Euro-Zone schreiben die Ökonomen dagegen zwölf Seiten. Und wenn es ganz arg kommt, könnten sie der Krisenregion im nächsten Globalen Bericht zur Finanzstabilität zwei statt einem Kapitel widmen: Der IWF sieht eine zunehmende Spaltung zwischen Kern und Peripherie der Währungsunion, die das internationale Finanzsystem gefährden könnte.

Der Kern, das sind Deutschland, Finnland, Österreich, Frankreich, Belgien und die Niederlande. Die Peripherie, das sind die hilfsbedürftigen Staaten Irland, Italien, Spanien und Griechenland, je nach Definition auch Zypern. Um ein Auseinanderbrechen zu verhindern, fordert der IWF noch mehr Anstrengungen von Europa. Die Sparprogramme und Rettungsaktionen reichten nicht aus.

Im Gegenteil: Die Fragmentierung der Währungsunion habe zugenommen, das Vertrauen in das weltweite Finanzsystem sei im Vergleich zum letzten Bericht im April "sehr fragil" geworden. "Die Euro-Krise bleibt die Hauptbedrohung der internationalen Finanzstabilität", schreiben die Autoren.

Die Statistiken des IWF zeigen, wie der Kontinent seit Dezember 2010 auseinanderdriftet. Während in Deutschland die Zinsen für Kredite an Haushalte und Firmen jeweils um mehr als 40 Prozent gesunken sind, stiegen sie in den Peripheriestaaten drastisch an. In Zypern um etwa 40 Prozent, in Spanien um etwa 60 Prozent - und in Italien und Portugal gar um mehr als 80 Prozent. Die gesamte Kreditvergabe in diese Staaten ging zurück, selbst in Irland, das eigentlich auf einem guten Weg ist, um mehr als 15 Prozent.

Der IWF lobt die Hilfsanstrengungen gegen die Krise, besonders das Programm der Europäischen Zentralbank, Staatsanleihen zu kaufen - auch wenn es zu früh sei, um dessen Effekte festzustellen. Die Währungshüter um Mario Draghi wollen mit dem Kauf von Staatsanleihen der Peripherieländer die Zinsen drücken, damit sie sich wieder zu günstigeren Konditionen Geld leihen können.

Doch die Politik müsse "zusätzliche, entschiedene" Schritte tun, fordert der IWF. Sonst könnten die Kreditsysteme in den Randländern austrocknen. Eine Abwärtsspirale drohe.

Allein aus Spanien hätten Anleger bis zum vergangenen Juni binnen eines Jahres fast 300 Milliarden Euro abgezogen - und aus Italien mehr als 230 Milliarden, sagt José Viñals, Leiter der Kapitalmarktabteilung des IWF. Im Bericht heißt es: "Gläubigerstaaten holen Kapital aus Schuldnerstaaten zurück, selbst wenn der Preis dafür hoch ist."

Im schlimmsten Fall, sagt der IWF, schrumpfen die Bilanzen der Großbanken der Euro-Zone zwischen 2,8 und 4,5 Milliarden Dollar. Die Kreditvergabe in den Krisenländern könnte dadurch bis Ende 2013 um 18 Prozent sinken - Firmen bekommen dann weniger Geld, die Konjunktur könnte massiv einbrechen.

Dabei setzen die Sparprogramme dem Wachstum der Krisenländer sowieso schon zu. Selbst der IWF sieht in Griechenland laut seiner gerade veröffentlichten Wachstumsprognose eine "tiefer als erwartete Rezession" ( PDF). Das ist für IWF-Verhältnisse eine drastische Wortwahl - und zeigt, dass viele Prognosen im Verlauf der Krise zu optimistisch ausfielen.

Komme es nicht zu neuen Hilfsaktionen, könnte das die Peripherie laut IWF vier Prozent des Bruttoinlandsprodukt kosten, den Kern immerhin noch 1,5 Prozent.

Um ein besseres Ergebnis zu erreichen, empfiehlt der IWF, dem Hilfsfonds EFSF beziehungsweise seinem Nachfolger ESM zu erlauben, Banken direkt mit Geld zu versorgen. Bei der Abwicklung maroder Banken sollten aber auch private Investoren ihre Last tragen und notfalls zum Verlust gezwungen werden - durch einen sogenannten bail-in.

Die Bankenunion müsse allumfassend umgesetzt werden, ein paneuropäischer Mechanismus zur Abwicklung von Kriseninstituten und eine "adäquate" gemeinsame Einlagensicherung müssten eingeführt werden. Über diesen Punkt gibt es in der Euro-Zone allerdings Streit. So stemmt sich der deutsche Sparkassenverband dagegen, die Rücklagen seiner Mitglieder, die bisher national und separat von denen der Privatbanken garantiert werden, mit denen von Banken aus schwächeren Ländern zu verschmelzen. Aber ohne vollständige Bankenunion, schreibt der IWF, "bleiben die Kosten von Bankkapital an ihr Heimatland gebunden, gleichzeitig hängt die Kreditwürdigkeit eines Staates weiter an der ihrer Banken". Das kann also für beide höhere Zinsen ohne eigenes Zutun bedeuten.

Deutschland zahlt im Moment negative Zinsen, verdient also noch daran, sich Geld zu leihen, weil nervösen Investoren Sicherheit wichtiger ist als hohe Zinsen. Dem IWF zufolge schaffen Anleger ihr Geld in den Euro-Kern, um auf ein Auseinanderbrechen in zwei Euro-Zonen vorbereitet zu sein - oder gleich auf die Rückkehr zu nationalen Währungen.

Sind somit die Kapitalflüsse gut für die Kern-Staaten? Am Ende nicht, schreibt der IWF, schließlich sei Europa noch so vernetzt, dass das Auseinanderdriften am Ende auch Ländern wie Deutschland schaden dürfte. Die Organisation warnt: "Wenn das Vertrauen in die Euro-Zone nicht wiederhergestellt wird, werden die Kräfte der Fragmentierung wahrscheinlich das Bankgeschäft schrumpfen lassen, den Geldverleih einschränken, die wirtschaftlichen Probleme der Peripherie verstärken und dann auf den Kern übergreifen."

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