Vor Frankreich-Wahl:Deutsche Unternehmer zittern vor Le Pen

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Schreckgespenst Marine Le Pen: Die Aussicht auf einen Wahlerfolg der rechtsextremen Präsidentschaftskandidatin macht vielen Angst. (Foto: Eric Gaillard/Reuters )
  • Viele deutsche Unternehmer befürchten eine Protektionismus-Welle, sollte Marine Le Pen die Präsidentenwahl gewinnen.
  • Einige Unternehmen bereiten sich bereits darauf vor, im Ernstfall schnell Geld abziehen zu können.
  • Andere widerum rechnen Le Pen keine Chancen aus und sehen in Frankreich weiterhin ein attraktives Land für Investitionen.

Von Leo Klimm, Paris

Wenn Frankreich extrem wählt, will Daniel Hager nicht kalt erwischt werden. "Wir prüfen alle Notfallpläne", sagt Hager. "Anfang nächster Woche müssen wir bereit sein, zu handeln." Bereit sein, Kapital aus Frankreich zu schaffen. Der Chef des saarländischen Elektrokonzerns Hager, der mehr als 20 Prozent der Erlöse von fast zwei Milliarden Euro im Nachbarland erzielt und dort ein Drittel seiner 11 000 Mitarbeiter beschäftigt, könnte die Liquidität der Frankreich-Filiale "auf ein Minimum zurückführen", sollten am Sonntag die Rechtsextreme Marine Le Pen oder der Linksradikale Jean-Luc Mélenchon in den Stichentscheid um das Präsidentenamt gelangen. Oder beide. "Was ist, wenn uns Mélenchon die Konten sperrt?", fragt Hager.

Gewöhnlich ist er ein besonnener Mann - aber den beiden extremen Kandidaten mit dezidiert protektionistischen Wirtschaftsprogrammen traut Hager alles zu. Also will er in der Lage sein, schnell Geld abzuziehen. Es geht um einen dreistelligen Millionenbetrag, der vielleicht bald nicht mehr bei den französischen Banken des deutschen Mittelständlers liegen darf.

Vor der Präsidentenwahl in Frankreich halten deutsche Unternehmenslenker den Atem an. Sie fürchten nach dem Brexit einen neuen, noch schlimmeren Tiefschlag. Das trifft gerade für jene zu, die das Land gut kennen - wie Daniel Hager, Gerhard Cromme, der Siemens-Aufsichtsratschef, oder Bernhard Simon, Erbe und Geschäftsführer des Logistikkonzerns Dachser. Auch wenn sie mit dem Frankreich-Risiko unterschiedlich umgehen.

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Bei dieser Präsidentschaftswahl ist alles anders als bisher: Eine Rechtsextreme und ein Quereinsteiger liegen vorn, die Kandidaten der Volksparteien sind nahezu chancenlos. Das ist kein gutes Zeichen.

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Warnung vor einem "Votum für Protektionismus"

Le Pen gegen Mélenchon - für Hager wäre das "eine Katastrophe". Le Pen strebt einen Euro-Austritt Frankreichs an. Durch Steuern will sie den heimischen Markt vor ausländischen Produkten und Arbeitnehmern abschotten. Mélenchon wiederum schwärmt von "intelligentem Protektionismus", will Unternehmensgewinne stärker besteuern, den Euro neu verhandeln - und sonst ebenfalls den Frexit forcieren.

Zwar sagen die Demoskopen insbesondere Le Pen kaum Siegchancen in der Stichwahl am 7. Mai voraus. Allerdings schließen sie auch ein Duell der beiden extremen Kandidaten nicht aus. Im Gegenteil, die Wahrscheinlichkeit dafür stieg zuletzt. Das sorgt für Unruhe an den Finanzmärkten. Auch Frankreichs Arbeitgeberverband - der allen Skandalen zum Trotz seine Präferenz für den konservativen Kandidaten François Fillon nicht verhehlt - gibt sich alarmiert: "Le Pen und Mélenchon wollen das Gleiche, also die Firmenchefs zwingen, besteuern, sanktionieren, kontrollieren", so Verbandschef Pierre Gattaz. Und diese Woche sahen sich gar 25 Ökonomie-Nobelpreisträger veranlasst, die Wähler vor einem Votum für Protektionismus zu warnen, der "sich für Frankreich so schädlich erweisen wird wie für die Handelspartner". Frankreichs wichtigster Handelspartner heißt: Deutschland. Es hat demnach viel zu verlieren bei der Präsidentenwahl.

Das Vertrauen in Frankreich war gerade erst zurückgekommen

2016 hatten deutsche Investoren nach langer Zurückhaltung wieder Vertrauen in den Partner geschöpft. Sie beurteilten ihre Geschäfte in Frankreich positiv und steigerten die Zahl ihrer Investitionsprojekte dort um 35 Prozent. Mehr als 3800 deutsche Firmen sind mit Niederlassungen präsent und beschäftigen mehr als 300 000 Menschen. Nun droht sich dieses Frankreich, das wirtschaftlich so eng mit Deutschland verwoben ist wie kein zweites Land, abzuwenden. Dieter Kempf, Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, zeigt sich in Pariser Medien besorgt. Andere Wirtschaftslenker veröffentlichen in französischen Regionalzeitungen flammende Plädoyers für Europa.

Etwa Daniel Hager, dessen Firma sich seit den Fünfzigerjahren auf beiden Seiten der Grenze entwickelt hat. In der Nähe der Pariser Prachtstraße Champs-Elysées hat er kürzlich eine Immobilie erworben, in der er Büros und einen Showroom einrichten will, um seine Stromverteiler zu bewerben. "Nach der Wahl sehen wir, ob wir daran festhalten", sagt Hager. Er zweifelt auch an den unternehmensfreundlichen Kandidaten Fillon und Emmanuel Macron. Fragt sich, "ob sie die Kraft haben, gegen die Korporatismen anzukommen". Hager wäre schon froh, wenn sich der wirtschaftspolitische Rahmen in Frankreich nach der Wahl nicht verschlechtert.

Gerhard Cromme dagegen mag nicht in den Chor der besorgten Deutschen einstimmen. Der Siemens-Chefkontrolleur organisiert jährlich ein Treffen deutscher und französischer Top-Manager und verbringt mehrere Monate im Jahr in Frankreich. "Ich glaube nicht an ein Duell zwischen Le Pen und Mélenchon", sagt er. Das gelte auch für andere Lenker von Dax-Konzernen, glaubt Cromme: "Deutsche Großunternehmen treffen nach meiner Kenntnis keine Vorkehrungen im großen Stil, um im Fall der Fälle das Frankreichgeschäft schnell herunterzufahren." Sollte doch ein extremer Kandidat in den Elysée-Palast einziehen, schließt Cromme aus, dass Le Pen oder Mélenchon bei der Parlamentswahl im Juni die nötige Mehrheit erhalten, um ihre Programme auch durchzusetzen. Cromme versteht aber die Verzweiflung vieler Franzosen. Industrie und Landwirtschaft hätten wegen mangelnder Reformen gelitten. "Wo Verzweiflung herrscht, bekommen die Extremen Auftrieb."

Von seinem Chefbüro im Allgäu aus, das von einem Bild mit Trikolore geschmückt wird, verfolgt Dachser-Chef Bernhard Simon das Wahlspektakel. Frankreich trägt rund 15 Prozent zum Umsatz von 5,71 Milliarden Euro seines Logistikkonzerns bei und ist damit der wichtigste Markt nach Deutschland. Vor einigen Jahren musste Simon 100 Millionen Euro für die Restrukturierung der Frankreich-Sparte aufwenden - was sich heute sehr bezahlt mache. Jetzt haben Präsidentschaftsanwärter Chancen, die den Kern des Dachser-Geschäfts angreifen: den grenzüberschreitenden Warenaustausch.

"Ich mag gar nicht an einen Euro-Austritt Frankreichs denken", sagt Simon. "Das wäre ein Erdbeben für Europa." Doch egal, was passiert: "Wir werden weiter in Frankreich investieren." Das Land bleibe attraktiv und er orientiere sich nicht an kurzfristigen Faktoren wie Politik und Konjunktur. "Wir als Unternehmen können vor allem eines tun", sagt Simon.

"Weiter wachsen und sichere Arbeitsplätze bieten." Bei aller Unruhe, mit der deutsche Unternehmen die Frankreich-Wahl verfolgen: Selbst in den Katastrophenszenarien liegen Chancen, trösten sie sich. Hager glaubt etwa, dass er durch eine Rückkehr Frankreichs zu einem schwachen Franc den Absatz weltweit steigern könnte, weil seine Produkte günstiger würden. Und Dachser-Chef Simon sagt: "Ein Logistikkonzern kann auch an neuen Zöllen verdienen." Aber natürlich wünschen sich die Unternehmer etwas anderes. "Diese Wahl birgt auch eine Chance", sagt Simon. "Dass Frankreichs Politiker von den Bürgern wachgerüttelt werden."

© SZ vom 21.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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