Volkswagen:VW-Chef Müller zwischen Demut und Trotz

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In den USA hat VW-Chef Matthais Müller ein herausforderndes Programm vor sich: Erst die Automesse in Detroit, dann ein Treffen mit der Chefin der Umweltbehörde EPA. (Foto: dpa)
  • Die Automesse in Detroit wird zur Bewährungsprobe für den neuen VW-Konzernchef Müller.
  • Auf seiner ersten USA-Reise nach dem Diesel-Skandal entschuldigt er sich für die Manipulationen - und kündigt eine Hunderte Millionen schwere Investition an.
  • Am Mittwoch trifft sich Müller dann mit der aufgebrachten Chefin der US-Umweltbehörde EPA.

Von Thomas Fromm, Detroit

Auf der Internetseite der Automesse von Detroit zeigt sich die Stadt mit ihrer Skyline praktischerweise von oben. Der Blick auf ein Detroit mit Dachlandschaften und verzierten Ornamenten kommt ohne Verfall aus, und zum urbanen Häusermix passt dann auch das nächste Bild: eine Bar in trendigem Jahrhundertwende-Industrieloft-Ambiente ("Dining in Detroit"). Von wegen Stadtkrise. Von wegen Ruinen in Detroit-Suburbia, eingeworfene Fensterscheiben und brennende Mülltonnen zwischen Art-Deco-Hotels. Auf den richtigen Bild-Ausschnitt kommt es an. Und auf die Perspektive. Normalität und Coolness statt Krise.

Jetzt einfach runterscrollen, und - Ladies and Gentlemen - da ist auch schon das nächste Bild: VW-Chef Matthias Müller als er noch Porsche-Chef war vor einem roten Cabrio. Müller, den die Diesel-Affäre Ende September von Porsche zur Mutter VW hochspülte, ist hier auf der Internetseite noch der lockere Sportwagen-Conférencier. Dabei ist er längst der VW-Mann, der zum ersten Mal seit Bekanntwerden des Skandals im September den großen Auftritt in Übersee wagen und als VW-Chef um Vergebung und Vertrauen bitten muss.

Manchmal hinkt die digitale Welt dem realen Lauf der Dinge ziemlich hinterher. Man könnte es auch so sagen: VW im Januar 2016, das ist ein Konzern, der nach Normalität sucht und so gerne wieder cool wäre. Aber stattdessen in der Krise steckt.

Nirgendwo ist das VW-Image so schwer ramponiert wie in den USA

Amerika, hier begann die Sache mit der betrügerischen Software in 480 000 Diesel-Fahrzeugen; von hier aus weitete sich der Skandal auf elf Millionen Autos weltweit aus. Nirgendwo ist das Image des alten Autobauers so schwer ramponiert wie in den USA, und von hier aus drohen Schadenersatzforderungen und Geldstrafen in zigfacher Milliardenhöhe, die dem Unternehmen das Genick brechen könnten. Da sind die 650 Sammelklagen auf Schadenersatz; und da ist die Klage, die das US-Justizministerium wegen des Verstoßes gegen das Luftreinhaltegesetz vor einer Woche gegen VW eingereicht hat.

Eine fast aussichtslose Sache: Schon vor der Dieselaffäre waren die USA für VW kein guter Markt; Betriebsratschef Bernd Osterloh sprach mal von einer "Katastrophenveranstaltung". Seit Jahren kommen die Wolfsburger in den USA auf keinen grünen Zweig; es fehlten die richtigen Autos, dann waren Verluste an der Tagesordnung. Nach der Diesel-Affäre ging es verschärft bergab. Im Dezember lag das Minus der Marke VW in den USA bei 9,1 Prozent. Verlieren in einem Wachstumsmarkt - wenn es schon vorher eine Katastrophe war, was ist es dann erst heute? Und jetzt noch die Automesse in Detroit.

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Entschuldigungen und neue Investitionen

Es sind Tage, an denen es für einen Konzern wie VW darauf ankommt. Die Tage, in denen die Hersteller ihre neuen Fahrzeuge präsentieren, feiern und bewerben. Ausgerechnet VW aber hat andere Sorgen und keine Zeit für business as usual.

Am Vorabend der Automesse bittet Müller deshalb erst einmal um Entschuldigung "für das, was bei Volkswagen falsch gelaufen ist" und erklärt: "Unser ganzer Einsatz zielt jetzt darauf ab, die Dinge in Ordnung zu bringen." Das gilt offenbar nicht nur für die Technik, sondern auch fürs Image. Die USA "sind und bleiben ein Kernmarkt" für das Unternehmen, betont Müller - und kündigt eine Großinvestition an: 900 Millionen Dollar am Standort Chattanooga für den Bau eines neuen Sportgeländewagens. Damit verbunden seien auch etwa 2000 neue Jobs.

Am Mittwoch wird der frühere Porsche-Mann Müller dann von Detroit weiter nach Washington reisen und Gina McCarthy treffen, die Leiterin der US-Umweltbehörde EPA. Es ist das erste Treffen, seit Müller VW-Chef ist, und es geht ans Eingemachte: Um die Frage, wie mit den betroffenen VW-Diesel-Fahrzeugen, in denen die betrügerische Software steckt, umzugehen ist. Denn so einfach wie in Europa, wo die Abgasvorschriften weniger streng sind und in vielen Fahrzeugen ein Softwareupdate genügt, ist es in den USA nicht. Hier ist der technische Aufwand ungleich größer, und daher sieht für die Amerikaner die ideale Lösung so aus: Auto zurück, Geld zurück. In Wolfsburg hofft man, dass man bei den Gesprächen am Mittwoch weiterkommt und sich annähert. "Wir erwarten eine grundlegende Richtungsentscheidung", heißt es dort.

Harsche Töne von den US-Behörden

Doch die Lage ist verfahren; die Amerikaner sind verärgert, fühlen sich nach Monaten an der Nase herumgeführt und werfen VW vor, die Aufarbeitung zu hintertreiben. "Die Bemühungen der Vereinigten Staaten, die Wahrheit über die Emissionsüberschreitungen und andere Ungereimtheiten zu erfahren (. . .), wurden behindert und gehemmt durch das Vorenthalten von Material und irreführende Informationen, die Volkswagen zur Verfügung gestellt hat", hieß es schon in der Klageschrift der US-Regierung vor einer Woche.

Das klang nicht so, als würde man sich gut verstehen. Und am Freitag, kurz vor dem so wichtigen USA-Besuch von VW-Chef Müller, sagt der New Yorker Bundesanwalt Eric Schneiderman der New York Times auch noch diesen Satz: "Unsere Geduld geht zu Ende". VW habe sich geweigert, US-Staatsanwälten E-Mails und andere Kommunikationen von Führungskräften offenzulegen. Auch deshalb wächst nun der Druck, einen Mediator einzusetzen; einen hochrangigen und anerkannten Juristen, der Brücken bauen kann zu den amerikanischen Behörden und verlorenes Vertrauen wiederherstellt.

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"Der Diesel ist, nach allem was passiert ist, in den USA erledigt"

VW arbeitet seine Krise auf, die anderen feiern, so wird es sein, wenn an diesem Montag die Autoshow in Detroit eröffnet wird. Benzin ist billig, auch deshalb werden die Großen der Branche zwar viel über Elektroautos und Hybridantriebe sprechen, aber vor allem benzinschluckende Limousinen und SUV-Geländewagen in die Landschaft stellen. Hier die großen Benzin-Schlucker, da der Diesel, der vor allem von den deutschen Herstellern vertreten wird und der durch die VW-Affäre schwer unter Druck gekommen ist - die Profiteure in dieser Gemengelage sind die amerikanischen Hersteller großer Schlitten und Unternehmen wie Toyota, die verstärkt auf Hybridantriebe, also eine Mischung aus Benzin- und Elektromotor, setzen. Jetzt ist klar: Daimler und BMW, die VW-Rivalen, hätten im September mit Schadenfreude auf den Skandal reagieren können. Das haben sie aber nicht getan, weil sie wussten, dass der Diesel-Skandal bei VW am Ende auch sie betrifft. Er bleibt nicht ohne Folgen.

"Wir sehen auf dem amerikanischen Automarkt eine Re-Nationalisierung und das Comeback der heimischen Marken", sagt Gabriel Seiberth, Automobilexperte bei der Beratungsfirma Accenture. Die Lösung: "Die Deutschen müssen jetzt schnell den Wandel hin zum Hybrid- und Elektroantrieb schaffen, denn der Diesel ist, nach allem was passiert ist, in den USA erledigt."

Es geht ums Ganze: VW teilte am Freitag mit, dass im vergangenen Jahr weltweit 4,8 Prozent weniger Autos der Kernmarke Volkswagen verkauft wurden. Für ein Unternehmen, das seit Jahren nur Wachstum kannte, ist das nun: Krise. Wie man da rauskommen soll, weiß noch keiner.

© SZ vom 11.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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