Abgasskandal:Viel Lärm um viel bei Volkswagen

Volkswagen

Etwa ein Fünftel der in den USA betroffenen Autos wird VW wohl zurückkaufen müssen.

(Foto: dpa)
  • Die US-Regierung hat Volkswagen wegen der über Jahre gefälschten Abgaswerte verklagt.
  • Auf wie viele Milliarden Dollar die Regierung VW verklagt hat und wie hoch die Gesamtstrafe ist, bleibt vorerst offen.
  • Konzernintern geht man mittlerweile davon aus, in den USA gut 115 000 Autos zurücknehmen zu müssen.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Irgendjemand hatte gleich zu Beginn diese Zahl in die Welt gesetzt, und weil sie so schön schauerlich klang, wurde sie vielerorts begierlich aufgegriffen: Auf 90 Milliarden Dollar, so hieß es, habe die US-Regierung den Autobauer Volkswagen verklagt, weil dieser über Jahre die Abgaswerte seiner Dieselmotoren gefälscht habe. Angesichts eines Börsenwerts von umgerechnet nur 67 Milliarden Dollar musste man kein Nobelpreisträger sein, um zu errechnen, dass eine solche Geldstrafe für den Konzern existenzbedrohend wäre.

Die aus VW-Sicht gute Nachricht lautet: Die 90 Milliarden Dollar lassen sich in der Klageschrift weder finden noch aus ihr herleiten. Und doch schrillen in Wolfsburg zu Recht alle Alarmglocken, denn die Vorwürfe, die das Justizministerium in dem 31-seitigen Konvolut erhebt, sind so harsch, dass Experten eine Milliardenstrafe sehr wohl für denkbar halten. Die SZ beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.

Warum kann die US-Regierung überhaupt Zivilklage gegen VW erheben?

Volkswagen verkaufte über viele Jahre in den USA Diesel-Pkw der Marken VW, Audi und Porsche, die viel mehr Abgase ausstießen als erlaubt. Damit verstieß der Konzern gegen den Clean Air Act, das Luftreinhaltungsgesetz. Zudem waren es US-Behörden, die den Skandal aufdeckten. Deshalb kann das Justizministerium VW nun straf- und zivilrechtlich verfolgen.

Was genau wirft man Volkswagen vor?

Der zentrale Vorwurf lautet, VW habe zwischen 2009 und 2015 in den USA 580 000 Diesel-Pkw ohne amtliche Betriebserlaubnis verkauft. Zwar verfügten die Autos formell über Zulassungen. Diese waren aber ungültig, weil der Konzern seine Motoren mit illegalen Softwarecodes versehen hatte, die bei Tests den Stickoxidausstoß manipulierten: Stand das Auto auf dem Prüfstand, hielt es die staatlichen Grenzwerte ein, fuhr es auf der Straße, lagen die Emissionen um bis zu 40-mal darüber. Laut Klageschrift "wusste Volkswagen oder hätte wissen müssen", dass die Software dazu diente, falsche Testergebnisse zu produzieren. VW schiebt die Manipulationen dagegen auf eine kleine Gruppe von Ingenieuren.

Welche Strafen fordert Washington?

Die Klage ist in vier Punkte unterteilt, jeder ist mit einer Strafforderung versehen. Punkt 1: Da den Autos die Zulassung fehlte, soll VW pro Pkw bis zu 37 500 Dollar, also maximal 22 Milliarden Dollar, zahlen. Für Wagen, die vor 2009 verkauft wurden, soll die Buße 32 500 Dollar betragen - es ist aber unklar, ob es solche Fälle gibt. Punkt 2: Noch einmal dieselben Summen verlangt das Ministerium für die Verwendung einer nicht angemeldeten Abgassteuerungssoftware. Punkt 3: Da die Software dazu diente, die Testergebnisse vorsätzlich zu verfälschen - die Amerikaner sprechen von einer "Defeat Device" - sollen pro Stück weitere 3750 Dollar fällig werden, also insgesamt 2,2 Milliarden Dollar. Punkt 4: Wegen fortlaufender Verstöße gegen Melde- und Informationspflichten verlangt die Regierung für jeden Tag seit dem Einbau unzulässiger Software Wiedergutmachung von erneut 37 500 Dollar, also bisher mindestens 100 Millionen Dollar.

Wie hoch fällt die Gesamtstrafe aus?

Das ist völlig offen. Rein rechnerisch ergibt sich für die Jahre 2009 bis 2016 eine Schadenssumme von bis zu 46 Milliarden Dollar (etwa 43 Milliarden Euro). Alle Erfahrung spricht aber dafür, dass am Ende ein Vergleich mit einer deutlich geringeren Buße stehen wird. Den japanischen Hersteller Toyota etwa verklagten die USA wegen Verstößen gegen Umweltgesetze auf die Zahlung von 58 Milliarden Dollar - am Ende blieb davon mit 34 Millionen Dollar nicht einmal ein Tausendstel übrig. Die koreanischen Autobauer Hyundai und Kia zahlten 2014 wegen Verstößen gegen den Clean Air Act insgesamt 100 Millionen Dollar.

Viel Lärm um nichts also?

Mitnichten, denn es gibt im Fall VW auch eine ganze Reihe Faktoren, die strafverschärfend wirken könnten. Dazu zählen, dass der Konzern in voller betrügerischer Absicht handelte und dass er die Aufklärung des Skandals zunächst hintertrieb. Finanzmarktexperten großer Banken wie Goldman Sachs, Merrill Lynch und UBS halten es deshalb für denkbar, dass Volkswagen allein die gerichtliche Auseinandersetzung mit den US-Behörden zwischen einer halben und 20 Milliarden Dollar kosten könnte. Ein warnendes Beispiel ist der britische BP-Konzern, der nach dem Umweltdesaster um die Ölplattform Deepwater Horizon in den USA 23 Milliarden Dollar Strafen und Vergleichskosten zahlen musste.

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