Vermessung des Wohlstands:Ein Wachstum an Einsicht - immerhin

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Wie viel Wachstum verträgt unser Planet? So grundsätzlichen Fragen zur Zukunft des Wohlstands ging der Bundestag nach. Das Ergebnis ist ein 957 Seiten langer Bericht - und ein Wohlstandsindikator, der künftig Bildung, Treibhausgase und Artenvielfalt messen soll.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Der Gesamtbericht ist 957 Seiten lang, und er enthält, das Parlament arbeitet gründlich, exakt 33.938 Zeilen. So gesehen ist es das umfassendste Werk, das der Deutsche Bundestag jemals zum Thema Wirtschaftswachstum erarbeitet hat. Und es ist zugleich eines der umstrittensten: An die 60 Sondervoten haben Parlamentarier und Experten eingereicht, um ihre abweichende Meinung zu manifestieren. Es sind Sondervoten manchmal samt Replik der Gegner und Replik auf die Replik: So viel Dissens war noch nie in einer Enquêtekommission des Bundestags - die doch eigentlich alle politischen Lager überbrücken soll. "Wir haben viel gelernt", sagt der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein. "Auch über die Unterschiede."

Allerdings haben die Abgeordneten auch kaum ein Thema ausgelassen: Der Bericht setzt sich mit der Verfassung der Finanzmärkte ebenso auseinander wie mit dem Artensterben, mit dem Ressourcenbedarf einer wachsenden Weltwirtschaft wie den Folgen der Überdüngung. "Dieser Bericht ist ein ungehobener Schatz in vielen, vielen Fragen", sagt Michael Müller, einer der Sachverständigen des Oppositionslagers. "Aber er ist in den Grundfragen zu wenig klar." Was auch daran liegen mag, dass nicht nur Parlamentarier, sondern auch die Sachverständigen mitunter erbittert um Positionen kämpften.

So bleibt als erste große gemeinsame Erkenntnis, dass Wachstum auf kurz oder lang an Grenzen stoßen muss - jedenfalls, was die Belastbarkeit des Planeten angeht. Und auch, dass der sparsamere Umgang mit Ressourcen alleine noch nicht reichen muss, den Raubbau zu beenden: Wenn für ein einzelnes Produkt zwar weniger Rohstoffe verwendet werden, dieses Produkt aber öfter verkauft wird, ist der Effekt schnell wieder dahin. "Rebound" nennt die Wissenschaft diesen Effekt. Konkrete Schlussfolgerungen aus dieser Erkenntnis zog die Kommission allerdings nicht.

Manch einer spekuliert bereits über Folge-Kommissionen

So bleibt als greifbarstes Ergebnis der Wohlstandsindikator, auf den sich Union, FDP und SPD - freilich bei Sondervoten von Grünen und Linkspartei - verständigten. Unter dem Kürzel W3 soll er künftig das Bruttoinlandsprodukt als Maßzahl des wissenschaftlichen Erfolges anreichern, etwa um Zahlen zur Beschäftigung, zu Bildung, Gesundheit, Treibhausgas-Ausstoß oder Artenvielfalt. Ein solcher Jahreswohlstands-Bericht soll künftig in regelmäßigen Abständen erscheinen - das letzte Wort darüber hat aber der Bundestag selbst, der im Mai auch die Arbeit der Kommission noch formal absegnen muss.

Einstweilen sind alle halbwegs zufrieden. Ob man das Glas eher als halb voll oder als halb leer betrachte, sei eine Frage der "persönlichen Konstitution", sagt der Grünen-Politiker Hermann Ott. "Ich tendiere dazu, das positiv zu werten." Manch einer spekuliert jetzt schon über Folge-Kommissionen, die sich dann noch spezieller mit Einzelfragen des Wachstums beschäftigen könnten. Auch beim Thema Klimawandel hatte der Bundestag mehrere Enquetekommissionen anberaumt.

"Wunderbar", sagt die Ausschussvorsitzende Daniela Kolbe schließlich am Nachmittag, "dann kommen wir jetzt zu dem Zeitpunkt, wo wir über unser kleines Baby abstimmen können. Es hat zumindest das Gewicht." Ist ja kein Wunder, bei 957 Seiten.

© SZ vom 16.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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