US-Ökonomin Deirdre McCloskey:"Piketty bellt am falschen Baum"

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US-Ökonomin Deirdre McCloskey ist überzeugt, dass nur der Kapitalismus zu Wohlstand verhelfen kann - und sei er noch so roh. (Foto: Hans von der Hagen)

Die Amerikanerin Deirdre McCloskey war Marxistin, später wechselte sie ins liberale Lager. Früh geißelte sie die Arroganz der Ökonomen. Dann verwirrte sie ihre Umwelt auch noch mit dem Wechsel des Geschlechts.

Von Hans von der Hagen

Es war natürlich nicht leicht, nach dieser Operation mit dem Chef zu sprechen. Ihm zu erklären, dass man nun kein Mann mehr sei, sondern eine Frau, nicht mehr der Professor Donald McCloskey, sondern Professorin Deirdre McCloskey mit Ohrsteckern. Aber der Chef an der Universität von Iowa, wie Donald ein konservativer Ökonom, reagierte ganz anders als erwartet. "Gott sei Dank", sagte er. "Für einen Moment hatte ich gedacht, Sie würden mir beichten, dass sie zum Sozialismus konvertiert seien." Doch dieser Wechsel sei ja nun wirklich großartig. Einerseits würde sich die Frauenquote erheblich aufbessern, und, noch besser: Er könne ja nun das Gehalt bei ihm als Frau um 30 Prozent kürzen. Er sagte aber auch, dass der Wechsel ihm sehr seltsam vorkäme. Der wichtigste Satz folgte freilich danach: "Wie kann ich Ihnen helfen?" Fortan wurde er, der Chef, zum Fürsprecher von McCloskey, wann immer es nötig war.

Endloser Albtraum

Die 72-Jährige, die gerade für einige Wochen zu Gast beim Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam war, erzählt solche Geschichten gerne, obwohl sie nun auch schon knapp 20 Jahre zurückliegen. Vielleicht, weil sie oft genug auf kein Verständnis trifft. Bis heute sprechen ihre frühere Frau und die längst erwachsenen Kinder kein Wort mehr mit ihr. Ein Albtraum. Aber zwischen diesen beiden Polen, der Offenheit des Chefs und der totalen Ablehnung in der Familie, bewegt sich seither das Leben von Deirdre McCloskey.

Wer sich mit ihr unterhält, merkt rasch: Sie nur als Ökonomin zu sehen und zu beschreiben, wird ihr nicht gerecht. Einerseits, weil sie so umfassend gebildet ist: Sie unterrichtet - mittlerweile an der Universität von Illinois - neben Ökonomie noch Geschichte, Literatur, Englisch und Kommunikation. Andererseits lässt sie eben auch keinen Zweifel daran, dass sie, anders als die meisten Mitglieder der eher spröden Zunft der Ökonomen, über ihre persönlichen Erfahrungen sprechen möchte.

Tragisch-komisches Leben als Frau

Ende der Neunzigerjahre schrieb sie sogar das Buch Crossing über den Wechsel vom Mann zur Frau. Und sie erlebt ja, ungewöhnlich genug, ein Leben aus zwei Perspektiven: 53 Jahre lang als Junge und Mann. Seither als Frau. Mit all seinen tragisch-komischen Geschichten: Zwei Monate nach der Operation etwa sei sie auf einer Konferenz in Rotterdam gewesen. Neu als Frau und allein unter Männern. Lauter Ökonomen. "Ich sagte etwas, aber wurde einfach ignoriert", erzählt sie. Wenige Minuten später habe einer der Männer dann die gleichen Argumente vorgebracht. "Und plötzlich sagten alle: Oh George! Das ist großartig! Du solltest ein Buch darüber schreiben, du könntest den Nobelpreis bekommen." Damals habe sie sich gedacht: "Yes! Sie behandeln mich wie eine Frau." Es war allerdings zugleich das erste und letzte Mal, dass sie eine solche Behandlung lustig fand: Zu oft wiederholte sie sich. "Wer keinen Sinn für Humor hat, sollte den Wechsel des Geschlechts besser bleiben lassen", resümiert sie, ohne zu lächeln.

Wie sieht sie sich nun selbst? "Ich bin eine quantitative, liberale Ökonomin, historisch orientiert, eine episkopale, also anglikanische, in Boston geborene und im Mittleren Westen aufgewachsene Frau, die früher ein Mann war." Nach diesem gedrechselten Satz, der in ähnlicher Form auch ihre Homepage und ihr Twitter-Profil ziert, muss sie lachen - aber nur um gleich anschließend zu ergänzen, dass es sie ärgere, wenn die Leute dächten, dass diese Kategorien zu widersprüchlich seien, um in einer Person vereinigt zu sein. Immer werde nur so simpel gedacht. "Der ist das, jener ist jenes. Damit bloß nichts durcheinanderkommt!"

Einst sei sie Marxistin gewesen, "wie viele Leute, die damals jung waren". Später arbeitete sie Seite an Seite mit dem "persönlichen Freund" und Nobelpreisträger Milton Friedman an der Universität von Chicago, die vielen als Hort des Neoliberalismus gilt. Den Marxismus sieht McCloskey dabei nicht als Widerspruch zu ihrer jetzigen Haltung. Vielmehr habe er das Interesse an dem Thema Armut entfacht und sie damit zur "heart bleeding", zur weichherzigen Liberalen gemacht. Aktuell arbeitet sie an einer vierbändigen Geschichte des Bürgertums, die zugleich eine Art Geschichte des Kapitalismus ist. Ihr Credo: Das beste Mittel zur Armutsbekämpfung ist der freie Markt.

Sorry, aber ist es nötig, diese Urthese aller liberalen Ökonomen noch mal in vier Bänden auszubreiten? "Man kann sie zwar in wenigen Sätzen zusammenfassen, aber man braucht die vier Bände, um es zu beweisen", antwortet McCloskey.

Unternehmenssteuern? "Eine dumme, dumme Sache"

Sie nennt sich "wirtschaftsfreundlich" - und das ist sie in aller Radikalität: Unternehmer sollen in ihrem Tun frei sein. Regulierungen helfen nicht. Steuern auch nicht: Die Abgaben für Unternehmen "sind eine dumme, dumme Sache". Keiner wisse, wer sie am Ende bezahle. Die Aktionäre? Die Arbeitnehmer? Die Kunden? Darum ist McCloskey dagegen. Wie auch gegen den Mindestlohn. Er sei ein Desaster, weil er Teile der Bevölkerung vom Arbeitsmarkt ausschließe. Wirtschaftsfreundlich bedeute in ihrem Fall aber nicht automatisch "reichenfreundlich", betont McCloskey.

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Sicher: Wenn Reiche ihr Geld als Unternehmer verdient hätten wie ein Marc Zuckerberg bei Facebook, "dann kann ich nur sagen: Weiter so. Werdet noch reicher". Andererseits gelte natürlich auch der Satz des längst verstorbenen schottisch-amerikanischen Stahltycoons Andrew Carnegie, der einmal sagte: "Der Mann, der reich stirbt, stirbt in Schande." Und wenn jemand für seinen Reichtum nichts getan habe, dann solle er ruhig besteuert werden.

So ähnlich wünscht sich das auch der derzeit viel beachtete französische Ökonom Thomas Piketty, der die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft geißelt und darum die Reichen härter rannehmen möchte. McCloskey sieht sich aber als Antipoden zu dem Franzosen: "Unglücklicherweise sorgt sich Piketty nicht um die Armen, obwohl das alle denken, sondern er hasst die Reichen", urteilt sie. "Das ist sein großer Fehler." Die Leute würden über Ungleichheit reden, "aber es geht nicht darum, dass die Reichen reich sind, sondern dass die Armen arm sind." Sie nennt Pikettys jüngstes Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert "schon ok", doch "er bellt am falschen Baum". Inwiefern? Weil es nicht darum gehe, die Reichen zu Feinden zu erklären, sondern die Situation der Armen zu verbessern. Und das funktioniere - ganz simpel - nur über den Kapitalismus. Noch nie in der Geschichte der Menschheit hätten sich die Einkommen so stark erhöht wie in den vergangenen beiden Jahrhunderten. Um 1800 habe das durchschnittliche Einkommen pro Tag - gemessen an heutigen Preisen - bei drei Dollar gelegen. Jetzt seien es in Berlin 100 Dollar - 33 Mal mehr also. "Ziemlich gut." Ziemlich gut vor allem dann, wenn man weiter zurückblicke: Zum Beispiel ins zweite Jahrhundert, die Glanzperiode des Römischen Reiches. In dieser Zeit habe sich das Einkommen "möglicherweise verdoppelt".

Sie bleibt da etwas diffus, das ist aber letztlich egal, denn McCloskey ist in diesem Punkt sowieso unbeirrbar: "Jede Form des Kapitalismus ist besser als kein Kapitalismus" - und sei er noch so ungezügelt. Weil nur so der Kuchen für alle größer werde. Sie sagt aber auch: Erst wenn Werte wie Redlichkeit in einem Land etabliert seien und sozial eingefordert würden, könnten viele spürbar vom Kapitalismus profitieren. So ist es oft bei McCloskey: Ihre Thesen wirken einseitig, sie argumentiert jedoch vielseitig, wiewohl mit gleicher Grundkonstante.

Es ist wie bei ihrem Namen: Ursprünglich hieß sie Donald. Das passte nach der Operation natürlich nicht mehr, allein das D. sollte bleiben, "damit die Bibliothekare nicht alle durcheinanderkamen". In der ursprünglich keltischen Bedeutung steht Donald für Weltherrscher. McCloskey fand, dass ihr Neuanfang romantischer ausfallen sollte und landete bei Deirdre - der begehrten, traurigen Frau der irischen Mythologie. Wenn sie diese Geschichte erzählt, sagt sie aber nicht einfach Deirdre, sondern säuselt den Namen auf ihre Art: "Deirdre of the sorrows . . . ooohhhh." Dann bittet sie noch: "Schreiben Sie, ich sei wunderhübsch." Sie ist wirklich gerne Frau.

Linktipps

"The Rhetoric of Economics" - aus dem Jahr 1983; ein Klassiker über die Sprache in der Wirtschaft

Deirdre McCloskey und die Österreichische Schule

© SZ vom 10.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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