TTIP-Abkommen:Wie China den Freihandel verschlief

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Textilfabrik in Shengzhou: Kommen auf China durch TTIP gravierende Veränderungen zu? (Foto: Feng Li/Getty)

China schaut hilflos zu, wie EU und USA im Freihandelsabkommen die Wirtschaft der Zukunft formen. Eigene Initiativen vernachlässigte Peking lange, jetzt bezahlt es dafür. Doch richtig genutzt, könnte TTIP dem Land sogar bei seinen Reformen helfen.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

In Brüssel, Ottawa, Washington wird die Zukunft ausgehandelt. Nur die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist außen vor. Hier verhandeln Europäer mit Amerikanern, dort Europäer mit Kanadiern. Und dann noch die Amerikaner mit den Japanern. Aber nirgendwo spielte bislang die Volksrepublik China eine tragende Rolle, wenn es um den Freihandel der Zukunft geht.

Sicher verzeichnet Peking selbst ein paar Erfolge, wie beim kürzlich in Kraft getretenen Abkommen mit der Schweiz oder einigen Partnern aus Südostasien und Südamerika. Aber da geht es vornehmlich um Zölle. International relevante Normen und Standards, die für die Wertschöpfungskette des Exportweltmeisters China immer wichtiger werden, setzen die anderen fest.

Entsprechend misstrauisch beobachtet Peking die Verhandlungen zwischen USA und EU über deren Abkommen TTIP. "Die beiden größten Handelspartner Chinas besprechen neue Bedingungen ihres Austauschs. Der Ausgang der Gespräche könnte enorme Auswirkungen haben", sagt Cui Hongjian vom Institut für Internationale Studien in Peking, einer Denkfabrik des Außenministeriums.

Sollten sich Amerikaner und Europäer einigen, sieht Politologe Cui die Volksrepublik in einer ähnlichen Situation wie 2001 beim Eintritt in die Welthandelsorganisation WTO, der große Umwälzungen mit sich brachte. Es kostete das Land enorme Anstrengungen, die Bedingungen für den WTO-Beitritt zu erfüllen. Mit einem Unterschied: "Damals wusste die Regierung genau, was auf sie zukommt. Jetzt könnte es schlagartig Veränderungen geben, auf die das Land nicht vorbereitet ist", sagt Cui.

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Kurzsichtige Politik der Euphorie

13 Jahre nach der Aufnahme in die WTO werden die Chinesen nun von ihren Versäumnissen eingeholt. Jahrelang, sogar jahrzehntelang hatte sich Peking mit der Dynamik des eigenen Wachstums beruhigt. Die Konjunktur kannte nur eine Richtung: aufwärts, meist im zweistelligen Prozentbereich. In der Euphorie aber vernachlässigten die Chinesen, die Zukunft zu planen. Sie verschanzten sich zum Schutz eigener Unternehmen hinter Protektionismus und Bürokratie. Bis heute erfüllt China bei weitem nicht alle Bedingungen, die das Land der WTO zugesagt hat. Der weiterhin mangelhafte Schutz geistigen Eigentums, der schwierige Zugang zum chinesischen Markt für Investoren und Dienstleister oder fehlende Transparenz in vielen Geschäftsfeldern sind einige wenige, aber längst noch nicht alle Beispiele für die Defizite.

Es war eine kurzsichtige Politik, wie sich heute herausstellt. "Eine vorausschauende Handelspolitik mit dem Ziel bilateraler oder multilateraler Abkommen hätte die Basis legen können für chinesische Einflussnahme auf internationale Standards und Normen. Die Chance ist vertan", sagt Professor Chen Bo von der Finanz- und Wirtschaftsschule in Shanghai. Die neue Staatsführung um Präsident Xi Jinping bemüht sich jetzt, den Schaden zu begrenzen.

In Europa werben die Chinesen für ein mögliches Abkommen mit der EU, auch den Beitritt zur Transpazifischen Wirtschaftspartnerschaft TTP nimmt die Regierung wieder verstärkt ins Visier. Die im vergangenen Jahr eröffnete Freihandelszone in Shanghai-Waigaoqiao war ein wichtiger Schritt, die Voraussetzungen für mehr Marktwirtschaft in bislang staatlich streng kontrollierten Sektoren zu schaffen und damit möglichen Abkommen mit wichtigen Handelspartnern den Weg zu ebnen. Doch der Reformprozess ist zäh und zeigt, welche enormen Herausforderungen vor den Chinesen liegen, um die Freihandelsreife zu erreichen.

Den richtigen Zeitpunkt verpasst

Deswegen laufen parallel Gespräche über ein alternatives Abkommen für den Pazifikraum - ohne die Amerikaner. Der Name: RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership). Neben China gelten Indien, Südkorea, Japan, Australien, Neuseeland und die zehn ASEAN-Staaten als potenzielle Beitrittskandidaten. Doch einerseits müssen erst einmal wachsende politische Spannungen in Ost- und Südostasien abgebaut werden, ehe RCEP Realität werden kann. Andererseits weiß China, dass ein Abkommen zwischen Amerikanern und Europäern wegen seines Volumens zahlreichen Nationen als Maßstab für die eigene Wirtschaft dienen würde.

Was also tun? "China würde besonders eine Annäherung an Europa helfen, um gemeinsam mit der EU den Amerikanern eigene Bedingungen aufzudrängen", sagt Ökonom Chen. Doch auch dafür hat das Land den günstigsten Zeitpunkt längst verschlafen und muss nun rasch versuchen, die großen Lücken bei den gegenseitigen Vorstellungen zu schließen. Wer aber unter Druck steht in Verhandlungen, muss meist mehr Zugeständnisse machen, als ihm lieb ist. Eine mögliche Einflussnahme der Chinesen auf die TTIP-Gespräche über dritte Akteure schließt Chen völlig aus. "China hat keinerlei Einfluss auf europäische Politiker oder Gewerkschaften, die sich im Sinne des Landes einer TTIP-Einigung verweigern würden."

Unter diesen Voraussetzungen wirkt TTIP als Bedrohung für die Volksrepublik. Zumal auch geostrategische Aspekte eine Rolle spielen: Die Chinesen sehen im Freihandel zwischen USA und EU auch eine wirtschaftliche Basis, um militärischen Herausforderungen gemeinsam zu begegnen - selbst wenn das den Europäern momentan gar nicht bewusst sein mag. Deswegen wird die Volksrepublik darauf drängen, das möglichen Abkommen transparent zu machen und für Dritte zu öffnen.

Doch TTIP könnte auch einen positiven Effekt auf die Chinesen haben, glaubt Cui Hongjian von der Pekinger Denkfabrik. Es könne dabei helfen, die Verwandlung des chinesischen Booms hin zu mehr Dienstleistungen und Binnenkonsum zu beschleunigen - denn das Abkommen verdeutliche, dass sich China verändern müsse, diese Dringlichkeit könne die Beteiligten antreiben. Die Märkte könnten wesentlich schneller deutlich weiter geöffnet und gleiche Bedingungen für ausländische Unternehmen geschaffen werden. Staatseigene Unternehmen müssten dazu reformiert und liberalisiert werden - das ist erklärtes Ziel der Regierung. "Letzten Endes funktioniert TTIP zum Wohle Chinas. Es wird die Kosten senken, Handelsbarrieren abbauen und Investitionen erleichtern", sagt Cui.

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