Streit um Unkrautvernichtungsmittel:Wissenschaftler protestieren gegen Glyphosat-Bewertung

"Wahrscheinlich nicht krebserregend"? 100 Forscher halten die Analyse zu dem Unkrautvernichter in Teilen für "wissenschaftlich inakzeptabel".

Von Silvia Liebrich und Andreas Rummel

Der Streit um den Unkrautvernichter Glyphosat spitzt sich weiter zu. Nachdem die EU-Behörde Efsa vor Kurzem Entwarnung gab und den Stoff als "wahrscheinlich nicht krebserregend für Menschen" einstufte, hat sich nun eine Gegenbewegung in der Wissenschaft formiert. Knapp 100 internationale Forscher erheben in einem offenen Brief (hier als PDF) an EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis schwere Vorwürfe gegen die Efsa und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).

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Die Analyse der deutschen Behörde sowie die darauf aufbauende Bewertung der Efsa enthalte schwerwiegende Mängel, sie sei in Teilen "wissenschaftlich inakzeptabel", und die Ergebnisse seien "durch die vorliegenden Daten nicht gedeckt". In dem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung und dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) vorliegt, fordern die Wissenschaftler die EU-Kommission auf, bei ihren Entscheidungen "die fehlerhafte Bewertung der Efsa nicht zu beachten".

Koordinator des Briefes ist Professor Christopher Portier, einer der früheren Direktoren des US National Toxicology Program, einer wichtigen Einrichtung der amerikanischen Regierung zur Chemikalien-Prüfung. Unter den Unterzeichnern sind anerkannte Wissenschaftler, die für international renommierte Organisationen arbeiten, etwa die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Krebsforschungszentrum Heidelberg, die Leibniz-Gemeinschaft, das italienische Collegium Ramazzini sowie Universitäten in den USA, Australien, Japan und anderswo. Die Unterzeichner aus 25 Ländern weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie für sich selbst sprechen, nicht für ihre Institutionen.

"Sie haben wirklich nicht ihren Job gemacht"

"Sie haben wirklich nicht ihren Job gemacht", sagt Portier über die Arbeit von BfR und Efsa. Den Brief will er am Dienstag in Brüssel übergeben. Portier gehört zu den Forschern, die Glyphosat im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und deren Krebsagentur IARC bewertet haben. Diese hatte den Wirkstoff im Frühjahr als "wahrscheinlich krebserregend für Menschen" eingestuft, was einen heftigen Streit ausgelöst hat.

Das Bundesinstitut weist die Vorwürfe zurück. "Die in dem offenen Brief getroffenen Aussagen zur Kanzerogenität von Glyphosat kann das Bundesinstitut für Risikobewertung wissenschaftlich nicht nachvollziehen", teilte die Behörde am Sonntag auf Anfrage mit. Zur Kritik, dass sich das BfR bei der Analyse vor allem auf Industriestudien stütze, hieß es, alleiniges Kriterium für die Berücksichtigung von Studien sei deren wissenschaftliche Qualität.

Für die Hersteller wie den US-Konzern Monsanto geht es um ein Milliardengeschäft. Glyphosat muss in der EU neubewertet werden, damit es für weitere zehn Jahre zugelassen werden kann - oder eben nicht. Die EU-Kommission muss darüber bis Mitte 2016 entscheiden und orientiert sich an der Efsa und damit an der BfR.

Zwei völlig gegensätzliche Bewertungen

Mit den Urteilen von Efsa und IARC, ergänzt nun durch den Brief der 96 Wissenschaftler, liegen zwei völlig gegensätzliche Bewertungen vor. "Die wissenschaftliche Frage, ob Glyphosat für Menschen nun ein großes Risiko darstellt oder nicht, ist nicht geklärt. Im Sinne der Verbraucher muss das aber geschehen, bevor die Zulassung verlängert wird", sagt der deutsche Epidemiologe Professor Hajo Zeeb vom Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie. Er hat den Brief unterzeichnet. Der Wirkstoff Glyphosat ist in mehr als neunzig Mitteln enthalten, die in Deutschland zugelassen sind.

Hätten die Krebsforscher der IARC Recht, müsste der Wirkstoff in der EU verboten werden. Auch in den EU-Regularien spielt die Kategorie "wahrscheinlich krebserregend für den Menschen" eine wichtige Rolle. Wird ein Stoff so klassifiziert, darf er in der EU grundsätzlich nicht mehr als Pestizid zugelassen werden. Doch BfR und Efsa haben das IARC-Urteil zurückgewiesen.

Kritisiert wird von den 96 Forschern etwa die Wertung von Tierversuchen. Das BfR habe sich auf ältere Studien berufen, sogenannte "historische Daten", um die Vielzahl von Tumorfunden in neueren Studien zu relativieren. Dieser Rückgriff auf "unpassende historische Daten" in "falscher Art und Weise" sei unter "Missachtung einschlägiger OECD-Richtlinien" geschehen.

Einwände gegen die Arbeit von BfR und Efsa kommen auch von EU-Ländern

Auch beim Umgang mit den epidemiologischen Daten sehen die Kritiker Fehler. IARC hatte einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und einem bösartigen Krebs des Lymphsystems gesehen, und deshalb die Einstufung in die zweithöchste Risikostufe, "Verdacht auf krebserregende Wirkung", vorgenommen. Dies habe das BfR zurückgewiesen mit dem Argument, "ein zweifelsfreier und durchgehender Anstieg" sei nicht gegeben. Das BfR gebrauche in dem Zusammenhang "eine irreführende Sprache", was unakzeptabel sei und gegen Richtlinien der EU verstoße, heißt es in dem Brief. Fragen werfe auch die Bewertung von Gentoxizität auf - aus dieser können neben einer krebserregenden Wirkung auch Erbgutschäden resultieren.

Einwände gegen die Arbeit von BfR und Efsa kommen auch von EU-Ländern. Schweden sprach sich schriftlich mit Blick auf mögliche Gentoxizität für weitere Untersuchungen aus. Auch die Einschätzung der Tierversuche durch das BfR wurde von dem Land kritisiert.

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